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Mittwoch, 15. Mai 2013

Menetekel

Als der letzte deutsche Papst - nach heutigem Begriff ein Niederländer, das sich im 17. Jhd. von Deutschland trennte - Adrian Florinsz (sein vermutlicher Vatername) von Utrecht, Hadrian VI., gewählt wurde, konnte er aus verschiedenen Gründen Spanien, wo er (keineswegs gerne, aber mit viel Geschick) Kaiser Karl V. vertrat, nicht gleich verlassen. Er war beim Konklave ja nicht einmal anwesend gewesen, und in dem Sinne Kompromißkandidat, als die wählenden Kardinäle (ohnehin nur ein gutes Dutzend) sich in zwei Gruppen gespalten hatten, die je einen Kandidaten favorisierten - Hadrian war der fast zufällige Kompromiß, mit dem alle leben konnten. Als sein Name fiel, war die Wahl im nächsten Urnengang entschieden.

Aber der niederländische Kardinal konnte zum einen nicht gleich weg (und wollte auch gar nicht so recht; als der vatikanische Gesandte ihm die Botschaft seiner Wahl brachte, war er baß erstaunt, daß Hadrian sich so überhaupt nicht freute.) Zum anderen traten ganz handfeste Hindernisse auf, und seien es Probleme mit den Schiffsausrüstungen. So hieß er Rom ein halbes Jahr lang ohne ihn auskommen, beließ und bestätigte aber per Schreiben alle Kurienkardinäle und -bischöfe in ihren Funktionen. Das hatte interessante Folgen.

Denn diese Amtsträger begannen in großem Ausmaß Privilegien zu vergeben, Günste zu gewähren, auch im materiellen Sinne Pfründe zu vergeben. Als Hadrian im August 1522 in Rom einzog, mußte er ein radikales Ausräumen der Mißwirtschaft starten, weil das Vorgefundene den ihm (und anderen) ohnehin bewußten Reformbedarf der Kurie noch einmal übertraf.

Anfang 1523 bildete Hadrian eine eigene Kommission aus sechs Kardinälen, die eine präzise Vorgabe über die Aufhebung der (im Schwerpunkt natürlich aber von seinem Vorgänger Leo X., der genau diesen Fehler gemacht bzw. verstärkt hatte, geschaffenen) Kurial- und Hofämter ausarbeiten sollten.

Was war aber wirklich passiert? Wollen wir es abstrahieren, natürlich nicht ohne Grund ... Wer untere Ebenen nach oben zieht, beauftragt, stattet sie mit seiner Autorität aus. Ist der Aufgabenbereich nicht klar definiert, und ganz klar ist er so gut wie nie definiert weil definierbar, bedeutet das, daß sich diese vormals unteren Ebenen mit immer mehr Selbstherrlichkeit schmücken. Und beginnen, "als Ganzes" zu handeln. Gleichzeitig aber fehlt ihnen die Rückbindung an die Verantwortung, die ja nur der Papst (in dem Fall) haben kann.

Das ist das Problem jeder "Reformkommission", der Verfasser dieser Zeilen kennt es aus eigenen Erfahrungen, und seien es die profaner Art, als Unternehmer, oder als er einen Industriebetrieb umorganisieren sollte, und dabei gleichfalls solche Gremien ins Leben rief. Solche Gremien befinden sich hierarchisch in einem seltsamen Niemandsland, und neigen aus sich heraus dazu, reale Macht, Teil der Allmacht zu usurpieren. Dadurch geraten sie unweigerlich mit der wirklichen Leitung in Konflikt. Ist diese nicht stark genug, wird sie selbst dadurch ausgehebelt. Verantwortung hört damit auf, wahrnehmbar zu sein, oder ist nur noch mit brachialen Mitteln wiederherstellbar.

Hadrian ging brachial vor, in den Einsparungen und Zusammenstreichungen genauso wie gegen die vielfältigen sittlichen Mißstände. Mit einer weiteren interessanten Parallele zum jetzigen Papst: Er schränkte sofort (aus Ersparnisgründen, v. a. weil er Geld für den Kampf gegen die Türken brauchte) den Pomp des Vatikan radikal ein. Was ihm die Römer schwer übelnahmen. Zusammen mit den Einschränkungen in der Verwaltung s.o. zog er sich außerdem den Haß von ehemaligen oder degradierten Kurialen, aber auch der Fürsten zu (was sich im Kampf gegen Luther als schwerer diplomatischer Fehler herausstellen sollte), und entging mehreren Attentaten nur knapp.

Der Papst aus Utrecht aber, dem man persönlich einen heiligmäßigen Lebenswandel zusprach, und der oft geseufzt haben soll, daß er sich so nach seiner früheren Kirche in Holland zurücksehne, gilt in der Kirchengeschichte als tragische Figur des Scheiterns, der die Dynamik der Kirchenspaltung erst so richtig begann. Er hat alles ehrlich und "gut gemeint", daran hat(te) niemand Zweifel. Und er schrieb sich die Finger wund, um zu bestürmen, zu drohen, zu bitten und zu flehen, daß sich die Fürsten einigen, die Bischöfe der Bedrohung der Reformation annehmen sollten. Aber er hat alles falsch und/oder zur falschen Zeit gemacht. Selbst das große öffentliche Schuldbekenntnis der Kirche, das die von ihm angestrebte Selbstreinigung einleiten sollte, wirkte nur wie ein öffentlicher Selbstmord, der die Protestanten entscheidend stärkte, weil es als Beweis der fehlenden Glaubwürdigkeit der Kirche wirkte. Wäre damals nicht Bayern gewesen, wäre wohl ganz Europa entkatholisiert worden. Hadrian wurde im August 1523 schwer krank, und starb nach nicht einmal zwei Jahren Regentschaft, möglicherweise durch Vergiftung.

Was aber war eines seiner Hauptprobleme? Die starken italienischen und europäischen Fürsten. Und wer hatte die gestärkt, damit die Entwicklung entscheidend bewirkt? Friedrich II., 300 Jahre zuvor, der genau das auch gemacht hatte: Er hatte in seinen Reformen (einige konkret, alle indirekt) Fürsten (als Personen) in seine Machtherrlichkeit gehoben, deren Geschlechter in die Sphärik des absoluten Willens versetzt, sodaß Italien für viele Jahrhunderte nicht mehr einigbar, Europa aus demselben Grund zerfallen, das Abendland damit zu schwach gegen die Vorstöße der Türken war. Daß es 1529 (Wien) nicht fiel, war ein reines Wunder. Während sich im Inneren der Protestantismus - als "Reform", in der endgültig alles zerfiel, denn dort ist bekanntlich jeder (nicht: keiner! jeder!) "Papst" - rasant ausbreitete. Dasselbe Vorgehen also, dieselben Wirkungen.





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