Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 20. Juni 2013

Gesellschaftlicher Dogmatismus

Wilhelm Dilthey schreibt einmal, daß überall das Leben zur Reflexion führt in dem, was ihm aufgegeben, was ihm gesetzt ist. Die Reflexion aber führt zum Zweifel. Soll sich diesem Zweifel gegenüber aber das Leben durchsetzen, so muß das Denken im Wissen enden. In dieser Hinsicht ist der Konfuzianismus Chinas zu verstehen, der sich in einer Epoche erhob, als die alte Gesellschaftsordnung auseinanderfiel, und mit ihr alle Lebensordnung bedroht war. Im 7. und 6. vorchristlichen China finden sich zunehmend Berichte von grausamen und ungerechten Fürsten, die sogar an die Geister nicht mehr glaubten.  Rivalitäten traten auf, und das Reich war um 500 v. Chr. in Gefahr zu zersplittern. Nur die geistliche Macht blieb noch ungeschorene Domäne des Herrschers. Seine weltliche war längst brüchig, China war das Land der "kämpfenden Staaten".

Diese Reichsordnung hatte in der Religion des alten China immer eine besondere Prägung. Und gründete wie alle Religion tief in der Metyphysik als letzter Welterklärung, in China aber immer mit dieser besonderen Note - dem unangreifbar betonten Zusammenhang von weltlicher Ordnung und göttlichem Plan. Der Herrscher war deshalb in besonderer Weise dieser kosmischen Ordnung verpflichtet, war oberster Priester, und seine Pflicht war, dieser Ordnung in seinem Reich zum Durchbruch zu helfen, sie zu bewahren. Versagte er, war es auch ein göttliches Urteil, wenn er die Macht verlor, wenn sein Reich von Feinden erobert wurde. Jeder Herrscher fühlte sich aber zuallererst dieser göttlichen Ordnung, diesem kosmischen Gang gegenüber verpflichtet.*

Deshalb hatte die Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung, die allen alle Lebensordnung zugleich war, ein besonderes Gewicht, und dieses Gewicht hat sich mehr und mehr zum tragenden Grund entwickelt. Daraus läßt sich die dominierende Rolle des Kun Fu Tse besser verstehen, der nichts schriflich hinterlassen, nur gelehrt hatte, und dessen Lehre auf in der Philosophiegeschichte beispiellose Art nur durch mündliche Tradition weitergegeben wurde, darin nur den Stiftern der Weltreligionen vergleichbar. In mehreren Schulen, die schließlich im Verbund mit staatlicher Autorität in einer geeint wurden. Der Konfuzianismus war deshalb im Grunde eine aristokratische Religion bzw. Ethik, denn zur Religion fehlte ihm der metaphysische Unterbau, der sich in China nicht entwickelt und dann klar ausgefällt hat - die uralte metaphysische Strömung faßte sich im Taoismus, dem Pantheismus, der zur selben Zeit entstand, wie der Konfuzianismus, in einem letzten Aushauchen zusammen. Der Konfuzianismus war das Neue.**

Aus den realen Wirren heraus hat sich keine Metaphysik entwickelt, sondern eine Reihe von schulmäßigen Formulierungen und intellektuellen Formeln, Pragmatismen, die die Resultate dieser Bewegungen festhielten. Die in den später entstandenen Kompilationen verschiedener Schulen auch Bestandteile von Schriften enthalten, von alten Lehren, deren metaphysischer Hintergrund aber nicht mehr verstanden wurde und auch kaum noch erkennbar ist. Anders als in Indien, wo die Metaphysik eine ständige Weiterentwicklung eines im Grunde immer gleichen religiösen Fühlens und Wissensuntergrundes war, war die chinesische Philosophie ein Mittel, eine lebendige Macht der Staatserhaltung und der Handlungsausrichtung. Die Chinesen glaubten nicht an eine göttlich geoffenbarte Wahrheit, ihr Respekt vor den Ahnen bezog sich konkret auf die Herkunft aus uralten, historischen, weisen Herrschergestalten. 

Auch der Taoismus war ja darin nicht anders, auch er bedeutete wie jede subjektivistisch-mystizistische Richtung einen Bruch mit der Überlieferung, legte die Einung mit dem Alleinen als Ziel in einen durch Askese erreichbaren subjektiven Erlebensgrund. In China zeigen sich damit die beiden extremen Pole jeder philosophischen Denkbewegung.

Der Konfuzianismus ist somit eine Ethik der Erhaltung der Ordnung, der Einheit und Harmonie der Gesellschaft. Immer stark von der Aristokratie und den Beamten getragen, getragen auch von uralten, noch den metaphysisch durchpulsten, kultivierten reich ausgestalteten Formen des zwischenmenschlichen Verkehrs. Und er hat als ein Art "Geist" überlebt, ehe er auch schriftlich gefaßt wurde.

Sieht man von der Periode starker buddhistischer Strömungen ab, die sich von 200 vor bis 1000 nach Christus verbreiteten, aber den Konfuzianismus nie ganz verdrängten, herrschte diese allen gleichermaßen verbindliche Ethik bis 1911, bis zur Revolution, die eine Republik brachte. Und sie macht auch das China des Mao Tse Tung verständlich, dessen Kommunismus, dessen Vorrang des Gesamtgesellschaftlichen vor dem Individuum, auf diese in Jahrtausenden gewachsene Grundhaltung aufsetzen konnte.



*In welch beeindruckendem Ausmaß sich chinesische religiöse Traditionen und Riten, die Rückgebundenheit an eine kosmische Ordnung, mit der biblischen, ja christlichen Geschichte und Glaubensauffassungen decken, zeigt Chan Kei Thong in "Chinas wahre Größe". Selbst der alte Name für China, Shen Zhou, "Gottes Land", zeigt ein Verhältnis zum Land, das mit der hebräischen Landnahme zu vergleichen ist. Die Auffassung der Kaiser und Herrscher deckt sich bis ins Detail mit der jüdisch-christlichen Auffassung als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Die Opfer, die Zeremonien, die jährlichen Feiern - sie finden sich fast deckungsgleich mit biblischen Berichten, und der personale Charakter der Wahrheit ist unbedingter Bestandteil ältester Lehren. Die Erscheinung eines Kometen 4 v. Chr., die eindeutig als welthistorisches Ereignis gedeutet w8urde die Sonnenfinsternis des Jahres 31 n. Chr. (mit einem drei Tage später folgendem Lichthof) - Zeitpunkt der Geburt, Kreuzigung und Auferstehung Christi - wird in chinesischen astronomischen Berichten als besonderes Zeichen erwähnt, dessen historischer Bedeutung man sicher war, ohne sie aber erkennen zu können. In den Schriften des Kaisers finden sich sogar Passagen, die von der Schuldtrage der Welt durch EINEN Menschen sprechen.

**Mehrere Autoren kommen zur Ansicht, daß es ein Irrtum der Aufklärung in Europa war, dem Konfuzianismus bzw. Kun Fu Tse "Agnostizismus" vorzuwerfen. Vielmehr deutet alles darauf hin, daß der Konfuzianismus aus derselben religiösen Haltung herstammt, in der das Alte China gewußt werden kann: Wo sich aus einer kosmischen Ordnung und aus kosmischem Geist her die Welt zu ordnen habe. Nur so ist auch sein langes Bestehen erklärbar, auf der Grundlage eines ungebrochenen metaphysischen Bewußtseins. Dilthey schreibt dazu, daß der Skeptizismus nie in der Lage ist, eine Kultur zu tragen. Zweifel als solcher ist unfruchtbar. Alles geschichtlich Große braucht es das Leben in seinen Positivitäten der Menschennatur als Grundlage. Der Konfuzianismus ist in vielem dem Christentum, das gleichfalls (anders als z. B. Indien) die Verbindung von Philosophie und Mystizismus schaffte, äußerst nahe und verwandt.



***