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Mittwoch, 26. Juni 2013

Last der Freiheit

Anders als Tiere und Pflanzen findet der Mensch sich nicht ein einer selbstverständlichen Einordnung in der Welt. Es mangelt ihm, schreibt Leo Gabriel in "Logik der Weltanschauung", an der Geborgenheit und Gesichertheit seines Daseins im Natur-Zusammenhang. Sein Dasein fügt sich nicht glatt in diese Ordnung ein; es hat im "ordo naturae" seine Schwierigkeit. Es ist, als solle er von Natur aus für sich selbst sorgen.

Und er muß es auch. Als bloße Gegebenheit in der Natur kann der Mensch nicht existieren, er muß sich behaupten, er muß sich durchsetzen. Und dazu muß er sich selbst setzen, sich in jener Ordnung begründen, in der er überhaupt erst bestehen kann: im "ordo humanus".*

Die Existenz des Menschen ist also keine Gegebenheit, sondern verlangt Setzung und Verwirklichung seiner Eigenwelt. Hier kommt die Rolle der Wahrheit zum Tragen. Denn sein Erkennen kann sich nur auf jene Ordnung beziehen, die der Welt an sich vorausgeht, die er überall vorfindet. Alles, was der Mensch vorfindet, steht in einem solchen Geflecht der Ordnung. Verstößt er gegen diese Ordnung, so entzieht es sich ihm.

Und in diese Ordnung hinein muß er sich selbst in Spontaneität setzen, als Folge der Freiheit, die er besitzt, muß er in seinem Erkennen diese Ordnung in sich selbst begründen, die ihn überhaupt erst ermöglicht. Das zwingt ihn auch, eine Weltanschauung, einen Standpunkt zu setzen, aus dem heraus er erst handeln kann. Erst wenn man den Menschen in dieser Gefährdung sieht, wenn man ihn in dieser geforderten Freiheit der schöpferischen Setzung sieht, kann man ihn verstehen.

Daraus ist auch die Versuchung verstehbar, in der sich der Mensch in einem Massenselbst auflösen möchte, dessen Handlungsimperative er dann in sich übernimmt. Sie geben ihm einerseits Sicherheit, anderseits entbinden sie ihn - scheinbar - von seiner Last der Freiheit, sich schöpferisch zu setzen. Und genau darin verfehlt er sich dann, in seinen grundlegendsten Antrieb.

Eine gesellschaftliche Ordnung (als Staat, Land, Verein, Genossenschaft, ja Ehe und Familie, etc. etc.) kann deshalb nur dann gerecht sein, wenn sie diese Grundnatur des Menschen ERMÖGLICHT, nicht behindert. Sie kann sie nicht ersetzen oder übernehmen.

Das macht aber auch klar, daß das Wesen von Manipulation wie Freiheit mit Art und Wesen von Autorität untrennbar verknüpft ist. Denn ohne Autorität zuzugeben, zu akzeptieren, kann der Mensch gar nicht erkennen. Und damit kann er keine Ordnung setzen, in die er sich eingründet. Liegt hier sein Schaden, ist diese Autorität nicht definiert, beginnt der Mensch herumzuschlagen, sich ins Periphere der zufälligen Lebenserscheinungen zu verkrallen.**

Weil alles seinem Wesen nach wirkt, weil alles seiner Art nach erkennt, ist es dieses Spannungsfeld von Weltanschauung, Erkenntnis und Vorgefundenem, das das Wesen seines Handelns bestimmt. Daraus bestimmt sich der Charakter seines Wirkens als Charakter seines Willens.

Hier ist die Schnittstelle, die Weiche, die in drei Wege aufteilt. Deren zwei auf einer Skala liegen - als Fatalismus, der gar keine Gestaltungsmöglichkeit sieht, sondern den Menschen einspannt in bloße Ablauffolgen, und als Voluntarismus, der die menschliche Freiheit absolut setzt und entsprechend willkürlich die Welt gestaltet. Der dritte Weg liegt nicht "dazwischen", er ist der andere, der eigentliche Weg seiner Würde: der des Schöpferischen. Der in der Gestaltung nach einem Urbilde im Geheimnis des Göttlichen sucht, an dem er teilhaben, dem er sich öffnen kann, um so die Welt aus ihrer Wirklichkeit heraus auszufalten, dem Nichts der Welt mutig die Gestalt entgegenzusetzen, Welt damit zu wirken.




*Daraus läßt sich das Wesen von Ideologien und politischen Utopien sehr gut erfassen, so wie sich erfassen läßt, was unsere heutigen Lebensordnungen eigentlich sind: Modelle dieser Geborgenheitheit, Versprechen dieser tief existentiellen Sicherheit. Sie geben genau diese natürliche Ordnung vor, die zu schaffen sie versprechen, um dafür nur einen Schritt zu verlangen: Das Aufgeben der schöpferischen Selbstsetzung, die Übernahme des Gesamt- als Individualstandpunkt.

**Ein Aspekt, der beim ADHS völlig übersehen und verdrängt wird, weil er zu weit folgenschwereren Ursachenanalysen folgen würde. Es liegt also zwar Wahrheit in dem Satz, daß ADHS mit der Lebensführung der Familie zu tun hat. Aber von Ursachenermittlung ist er noch weit entfernt. Er bleibt aber richtiger Hinweis.




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