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Dienstag, 20. August 2013

Technik formt Technizisten

Technik idealisiert, abstrahiert eine Gesetzlichkeit der Natur. Sie kümmert sich aber aus sich heraus nicht um deren Gewicht im Rahmen der Gesamtwirklichkeit, die dem Menschen als "Bewegendes" begegnet: in der Widerständigkeit von Gegenständen. Die er nur erfährt, die er nur erkennt, wenn er sich davon formen läßt, wenn er ihnen "gehorsam" ist.

Denn der Logos der Dinge ist keineswegs "tot" - diese Ansicht verdanken wir wesentlich einer naturwissenschaftlichen Anschauung, die das Leben nur noch anhand toter Dinge untersucht, die deshalb überhaupt die Welt für "tot" erklärt. Der "Geist" der Dinge des Erkennens (und das ist alles, was in unserer Welt vorhanden ist, und auf allen Dingebenen, die leiblichen Ausdruck haben) ist vielmehr "aktiv", er geht in den Erkennenden über, er leuchtet uns ein (H. Beck).*Der Mensch kann ja auch nur erfinden, was er in den Möglichkeiten der Dinge, die ihm in ihrer Idee einleuchten, vorfindet: als Angleichen des menschlichen Geistes an das Mögliche der Dinge (in der Phantasie).

Nun also erkennt der Mensch aus seiner Bewegung, aus seiner sinnlichen Bewegtheit, die ihm Idee liefert, wie ihn zu einer Reaktion, einer Stellungnahme, einem Urteil herausfordert. Er löst in pulsierender Interaktion die Urteile über die Dinge und über die Welt ab.

Bedient er Technik, so "ideiert" sich die einer Technik immanente Gesetzlichkeit. Mit der Bedienung einer Technik löst sich also die ihr zugrundeliegende Wirklichkeitsauffassung, und formt den Bediener leiblich (als gewissermaßen Trägermaterie wie Schlachtfeld seines Geistes) nach ihr. Das ist ein simples Gesetz des Erkennens überhaupt: mit jeder Wirklichkeitserfahrung, mit jeder Erfahrung mit einem GEGENstand, wird das Wesen der Wirklichkeit erkennbar und erkannt, wenn man sich nach ihr formen läßt, sie umhüllt, und das Mögliche positiv erwachsen läßt.

Deshalb löst sich im Betrachter ein der Technik analoges (ähnliches) Geistesbild einerseits, aber er selbst wird getrieben, ihre weiteren Möglichkeiten zu schaffen.

Es ist bekannt, daß Technik zu einer wahren Sucht werden kann. Programmierer sind ausgezeichnete Beispiele dafür, die meist in ihre Abläufe regelrecht hineinkippen. Aber bei Anwendern ist es nicht anders: was den Anwender einer Technik treibt, und jeder kann das an sich selbst fühlen, ist eine eigentümliche Dynamik, die dazu treibt, ein technisches Ding, ja überhaupt ein Ding weiterzutreiben, seine Möglichkeitsgrenzen zu finden und zu überschreiten, weil nur so die Grenze und damit das Ding erkennbar wird. Bei Software ein wahres Problem, denn die tendiert zur Unendlichkeit, je mehr sie prinzipiell ist, zumal sie aus sich gestaltlos ist, weshalb die Liebe (via Sinne) keine Ganzheit (eines Objekts) geben kann.

Umgreift die Technik mehr und mehr Lebensabläufe (und das tut sie auch dort, wo Abläufe technisiert, mechanisiert, "objektiviert" werden), so wird die Weltanschauung des Bedieners diese Gesetzlichkeit der Technik widerspiegeln. Es ist seine Wirklichkeitsrezeption. 

Technik KANN gar nicht anders entstehen, als daß Züge der Wirklichkeit herausgegriffen und abstrahiert - reiner dargestellt - werden (siehe: die Nähe zur Kunst). Sie strebt aus sich heraus zu einer Verstärkung und reineren Darstellung dieser ihrer (konstruktiven!) Idee. Und sie provoziert im Rezipienten, im Anwender, eine schöpferische Reaktion (wie alle Dinge), die vom nicht vollendeten Möglichen des Dings erwächst, das er (in seinem "Sehnen", Streben) erkennt.

Aus diesem Grund kommt Friedrich Kittler zu der Meinung, daß unser heutiges Weltbild hauptsächlich von den Programmierern gebildet wird. Ihre Art der Wirklichkeitsauflösung - in Gesetze, und nur so können sie programmieren - ist es, die wir als Weltanschauung übernehmen, sobald wir die Geräte bedienen, die von ihren Programmen gesteuert werden.

Deshalb ist es nur als tragisch zu bezeichnen, wenn man sich von der proklamierten Anwendung der Technik, ihrem vorgeblichen Zweck, über ihre Natur täuschen läßt. Denn wie in der gesamten Internet- und social media-Technik wird ihr Zweck nur behauptet - Kommunikation**, Information. Aber diese Begriffe sind - von den technischen Möglichkeiten! - völlig anders interpretiert, als die Wirklichkeit, auf die sie sich ursprünglich bezogen haben. Der Anwender verhält sich nicht zu den nominalen Inhalten etwa einer Botschaft, sondern - weil es gar keine "nominalen Botschaften" in der Kommunikation gibt! - zum "technischen Akt", an dem er teilnimmt. Seine Antwort führt also die Technik zu ihrer Vollendung, die für ihn der eigentliche Akt ist, auf den er reagiert. Er führt nicht (sagen wir: ein Liebesgeständnis) das Humane in seine Vollgestalt.***

Denn man kann nur steuern und führen, wenn man auch bereit ist, sich der Gesetzlichkeit der Dinge anzugleichen. Auch jedes Naturding zwingt im Fortgang der Handhabung den Menschen zu einem stets steigendem Mindestmaß an Positivität - das ist ja das Wesen der Welt in ihrem Sinn.
Nicht Technik "an sich" ist also abzulehnen, und auch nicht die Arbeitsteiligkeit, die sie durch ihre Spezialisierung auf bestimmte Vorgänge bewirkt bzw. erfordert, sondern sie ist dort abzulehnen, wo ihr Schaffensgeist nicht in den Sinn- und Wesensbezügen der Dinge bleibt, die diesem Vorgang in seinem Gesamtgefüge zukommt. Dort wird der Mensch, den die Arbeitsteiligkeit zu sich selbst herausfordert, rasch überfordert und fortgerissen. Technik muß also eine sehr sehr sorgfältig gehütete Frucht bleiben, weil sie den Menschen sonst aus seiner Mitte fortreißt.
Das muß das Maß des Umgangs damit vorgeben. Wenn, wie im Kapitalismus heutiger Prägung, das Maß aber die Maschine (im weitesten Sinn) selbst vorgibt, zwingt sie dem Menschen ihre Gesetze auf, und entfremdet ihn von sich selbst. Denn der Mensch geht in die Ziele der Technik ein, sein Geist paßt sich den Gesetzen der Natur (die die Technik potenziert) an.
Aber mit der Technik soll ja etwas ersetzt werden - und DAS sind die Inhalte, als Zweckbestimmungen, als Zielungen. Technik kann also nur dort eingesetzt werden, wo ihre Wirkung direkt mit den Zielsetzungen übereinstimmt, ihr nicht widerspricht. Und das ist überall dort der Fall, wo das WESEN der Maschine, ihr in ihr verwirklichter Konstruktions- und Funktionsgeist sozusagen, nicht der inhaltlichen Zielung ENTSPRICHT. Technik muß das sonst ungeborgene Wesen eines Naturdings realisieren, es zu höherer Möglichkeit führen können (die aber in ihm angelegt sein muß), die ihm ohne Mensch nicht möglich wäre. (Simples Beispiel: Tier- oder Pflanzenzucht; oder, wie im Telephon, aber bereits eingeschränkt: Der Ruf; die Stimme ist nämlich schon nur noch sehr bedingt potenzierbar, wenn überhaupt noch weiter vergeistigbar.)
Wenn es aber heißt, daß die Technik den Menschen von der Natur unabhängiger gemacht hat, so stimmt das einfach nicht, zeigt Heinrich Beck in seiner "Philosophie der Technik". Denn mit der Zunahme der Technik stiegt die Notwendigkeit, sich den Gesetzen der Natur (die in den Maschinen wirken) zu unterwerfen! Ein kleiner Fehlgriff in einem Atomkraftwerk, eine Fehlreaktion im Auto, ein Fehltritt auf der Leiter - und die Folgen sind unabsehbar.



*Jedes Ding, alles Seiende, ist nur als Entelechie begreifbar: Wo ein Sein aktiv danach strebt, sich als Ding in die Welt zu treiben. Alles will es selbst sein! Was begreifbar macht, wenn man die Welt fälschlich als "beseelt" ansieht. (Aristoteles bezeichnet dieses Aktive als "Seele", aber er tut es nur analog, als geistiges Prinzip, nicht weil er damit die Seele des Lebendigen meint, vielmehr äußert sich Seele eben im Lebendigen als Träger des Lebens, im toten Ding gleichermaßen, aber anders, als Seinsakt, der sich im Seienden zeigt.) Denn wir erfahren von den Dingen, daß sie ihrer Zerstörung widerständig sind, daß sie möglichst vollkommen sie selbst sein wollen, als WÄREN sie beseelt.

**Es ist grotesk, wenn die Beherrschung der social media-Techniken als "Kommunikationsfähigkeit" bezeichnet wird. Wie ein jüngst erschienener Artikel (der streng nach PR riecht) in der Presse behauptet. Der doch tatsächlich vorgibt, es sei ein Fortschritt in der Kommunikation (im "Recruiting"), diese auf social media verlegt zu haben. In Zusammenhang mit Bewerbungen, wie hier, bedeutet dies sogar eine dramatische Verschlechterung, und provoziert eine Bewerberauswahl, die bereits selbst vorgibt, wo sie verenden wird: in unschöpferischer Anwendungsmechanik. Denn social media sind in Wahrheit der Tod jeder Kommunikation, die eine Konstituierung eines "Miteinander" ist. Sie brechen den anderen, und was immer auf ihnen zu laufen gebracht wird, und damit auch sich selbst auf simple Zweckaspekte, zum Objekt um.

***Sodaß sich die Frage ergibt, und sie wurde bis heute nicht gelöst, ja nicht einmal gestellt, wofür social media ÜBERHAUPT verwendbar sind. Außer für ganz ganz kleine, spezielle Randbereiche sieht der Verfasser dieser Zeilen keinen Bereich, in dem sie als Kommunikationsmittel legitim anwendbar wären. Ganz sicher nicht sind sie verwendbar, um "Botschaften" zu überbringen. Denn sie können aus ihrer Natur heraus nur "Mechanik" provozieren. 




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