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Sonntag, 18. August 2013

Verlorene Ehre

Anmut und Demut, schreibt Prinz Asfa-Wossen Asserate in "Manieren", sind die beiden Grundkomponenten der europäischen Manieren. Sie sollten mit Beiläufigkeit, ohne Ostentation, ohen alles Aufplustern und Zelebrieren daherkommen. So wie zu jenen Zeiten des Mittelalters, als Demut noch kraftvolle Tugend war, die mit großer innerer Unabhängigkeit einherging, und nicht diese saft- und kraftlose Kriecherei, als die sie heute meist schon mißverstanden wird. 

Ausgefaltet in einer Aufmerksamkeit, die alleine schon mit Höflichkeit übersetzt werden kann. Als Grundhaltung des Menschen der Welt gegenüber, die sich jeden Moment gewahr wird, die Lage, in der er sich befindet, zu erkennen. Und so nicht sich selbst, sondern die umgebenden Phänomene betrachtet, sich selbst ausschließlich im Spiegel des anderen sieht.

Aber Manieren sind nur dem Ehrbewußten möglich. Der sich nicht "mit allen Fehlern und Schwächen annimmt", wie es heute heuchlerisch (weil in Wahrheit: die Nachlässigkeit in eine Tugend umfälschend) heißt. Sondern der sich dessen bewußt ist, daß ihm ein Schatten eines besseren Ich vorausgeht, dem er immer nachwachsen muß. Als Genius, gewissermaßen: man selbst noch einmal in Überlebensgröße, durchaus im Sinne des heidnischen Geburtsgottes, der jedem Menschen gegeben war oder ist.

Die Freiheit, die zu Zeiten, in denen die Ehre hoch stand, wie zu Zeiten des äthiopischen Kaisertums den einzelnen Menschen eigen war, und zwar dem einfachsten Bauern genauso wie dem König selbst, ist uns gar nicht mehr vorstellbar. Er war souveräne Instanz in allen Fragen seiner Person und seiner Familie.

Der Prinz aus dem äthiopischen Königsgeschlecht, das sich auf die Königin von Saba zurückführt, auf jeden Fall aber eines der ältesten Herrschergeschlechter der Erde ist, beklagt, daß sich die Frage der Ehre für den Europäer offenbar erledigt hat. Denn so muß, wer gekränkt und verletzt wird, seinen Ärger hinunterschlucken. Ja, Asfa-Wossen Asserate geht so weit zu sagen, daß die Unmöglichkeit, eine verletzte Ehre zu rächen, die Unmöglichkeit bedeutet, dem anderen zu verzeihen.

Vermutlich trennt uns das am meisten von unserer eigenen Vergangenheit - der Verlust des Begriffs von Ehre.




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