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Dienstag, 17. September 2013

Der Staat darf nicht Programme realisieren

Nur wo durch kulturelle "Selbstverständlichkeiten" der größte Teil unseres Handelns vorgezeichnet ist, findet jene Entlastung statt, die es überhaupt möglich macht, innerhalb des gegebenen Rahmens freie Entscheidungen zu treffen oder auch den vorgegebenen Rahmens selbst - nicht generell, aber mit bestimmter begrenzter Zielsetzung - in Frage zu stellen.* Sind es vor allem die informellen, kulturellen, sittlichen und religiösen Traditionen, die diese Vorgabe leisten, so ist es vor allem Sache des Staates, die Verantwortung für die Nebenfolgen zu tragen, zu definieren und zu verteilen. Ja, dies ist seine wichtigste Aufgabe überhaupt.

Für den Staat gilt nicht, wie für das Individuum, daß das Handeln nur durch partielle Blindheit gegen entferntere Folgen ermöglicht wird. Der Staat hat, im Unterschied zum Individuum, die Pflicht, so weit zu sehen, wie es unter Zuhilfenahme aller in einer bestimmten Epoche zur Verfügung stehenden Mittel möglich ist.

Gerade deshalb kann er sich selbst nicht, ohne seine eigentlichen Aufgaben zu verfehlen, als Verwirklicher von "Zielen", von "Programmen" verstehen wollen. 

Er kann seiner primären Aufgabe, die unerwünschten Nebenfolgen menschlicher Zweckhandlungen zu neutralisieren, nur genügen, wenn er nicht selbst als der größte Realisierer von Zwecken auch die größten, und dann von niemandem  mehr kontrollierten Nebenfolgen produziert. 

In Familie, Gemeinde und Staat, nicht im Individuum konkretisiert sich die Pflicht des Menschen, seine Zweckverfolgungen so einzuschränken, daß nicht Risiken auf andere, insbesondere aber auf kommende Generationen abgewälzt werden.


Robert Spaemann in "Atomkraft ein Weg der Vernunft? - Kernenergie als Problem der praktischen Vernunft"



*Deshalb muß es möglich sein, daß einmal getroffene Entscheidungen auch später immer wieder  kritisiert und in Frage gestellt werden können, wenn man sie auch mitträgt. Ist das dem Einzelnen nicht möglich, so muß ein gerechter Staat ermöglichen, daß er unter Mitnahme seines Eigentums auswandert.




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