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Sonntag, 1. September 2013

Welt im Wort

Wird als Grundhaltung einer Kultur die Wesensschau abgelehnt, wird die Teilhabe des menschlichen Vernunft an der aller Welt zugrundeliegenden, sie konstituierenden Vernunft an sich nicht akzeptiert, wird zwangsläufig Sprache zufällig und inhaltsleer, weil weltleer. Sie bleibt oberflächliches Wellengekräusel, das sich seiner Darstellungsinhalte nicht bewußt ist, wird weltloser Rationalismus. Sprache wird, losgelöst vom Erscheinen des Wirklichen als Bild in ihrem Wort, zum Schein, zum technischen Terminus.

Nur, wenn Angesprochener wie Sprechender das AngesprochenE innerlichen, kann es verstehen geben. Es erkennt nur, wer bereits erkannt hat, sodaß er im Wort erinnert. Das Wesensbild des vom Wort Bezeichneten muß vor Augen stehen, dann kann es verstehen geben - das Verstehen geht dem Sprechen (Hören) voraus.* Sodaß das Wirkliche des Dings selbst im Wort selbst welthaft gegenwärtig ist. Das Wort kommt aus einem Gebilde, und geht auf ein Erscheinungsbild hin. So ist es im Ursprung selbst bildhaft vorgebildet. Zwar zerschellt es an der Möglichkeit der lautlichen Verbildlichung selbst, dennoch bleiben Ursprungsbezüge im Bildhaften in den Mit- und Selbstlauten. Sodaß in jeder Sprache Worte bleiben, in denen die "Seele" des Dings gewirklicht präsent ist. In dunkel oder hell, weiß und schwarz Rose und Lilie, blitz, Donner, Licht oder Nacht etwa wird das Bezeichnete lautbildlich mitbezeugt. Die Sache selbst scheint auf, und vermählt sich mit dem Wortgebilde. Das Licht lichtet selbst auf im Wort, und im Donner rollt und zittert das Wort, das ihn sagt. Das gesprochene Wort zumal schmiegt sich so der Sache in, und vergeht mit dem Sprechen selbst, die Sache bleibt.

Am deutlichsten wird diese Wirkmächtigkeit im Segen und im Fluch, im Ausdruck der Liebe oder des Hasses. Hier wird Wirklichkeit real zur Welt gebracht.
Im verstandenen und geschauten Ausdruck ist das Wort die Sache selbst, schreibt Gustav Siewerth dazu in seiner "Philosophie der Sprache - Wort und Bild". Nur deshalb kann sich in ihm Wirkliches versiegeln. Auch Gott kann in seinem "Namen" anwesen, weil er sich selbst in ihm ausgedrückt und bekundet hat. Sein Name ist ja kein verweisendes Zeichen aus menschlichem Logos, sonder Gottes Offenbarung. Darum blieb der name einst als unausprechbar durch heiliges Gebot versiegelt.

Immer aber ist echte Aussage nicht beim Wort, sondern im Offenen der Welt, bei den wirklichen oder einbildend verwahrten Dingen, ihren Erscheinungs- und Wesensbezügen.



*Es ist in diesem Zusammenhang von Interesse, daß die Neurophysiologie gezeigt hat, daß dem Hören ein Verstehensakt MESZBAR zeitlich vorausgeht. Das Sprechen FOLGT also dem Angesprochenen, das Verstehen geht dem Sprechen voraus. Man beachte in diesem Zusammenhang das hier bereits vorgestellte Video des Neurowissenschaftlers Manfred Spitzer.




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