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Dienstag, 22. Oktober 2013

Der Islam unterwirft (1)

Der Bruch mit der Antike geschah NICHT mit der Völkerwanderung. Diese Sicht ist zwar weit verbreitet, schreibt Henri Pirenne in "Karl der Große und Mohammed", aber sie ist schlicht falsch. Und er belegt seine These durch unzählige Beispiele.

Ja, es stimmt, daß Westrom irgendwann im 5. Jhd. aufhörte, gegen die Eindringlinge aus dem Norden weiter zu kämpfen. Es stimmt, daß viel zerstört wurde. Aber der große Tenor war, daß die Germanen zahlenmäßig viel zu wenige waren, aber vor allem: sich mehr oder weniger sofort, aber immer restlos assimilierten. Selbst von den Vandalen, die sich noch einige Zeit in Nordafrika als germanischer Stamm hielten, ging schon mit Geyserich keinerlei germanischer Einfluß mehr aus. 

Es sind keine 40.000, die als Westgoten in Gallien "einfallen", erst allmählich werden es durch Nachzüglinge und Abenteurer mehr. Es sind kaum 50.000, die als Ostgoten in Norditalien "einfallen" - Italien hat damals geschätzte 5 Millionen Einwohner. Als die Vandalen bei Gibraltar übersetzen, sind das den Berichten über die Schiffe nach höchstens 90.000 Menschen. Die römische Provinz Nordafrika ist nicht nur 5-7 Millionen Einwohner groß, sondern diese sind auch sehr vermögend, das Land schwelgt im Luxus. Die Vandalen assimilieren sich mit Wonne, und bald gehen sie auch dort in der einheimischen Bevölkerung unter. 

Wie überall anders. Spanien. Gallien. Thrakien und Schwarzmeer.

Das römische Reich baute sich nur um, glich bald einem Staatenbund unter römischem Kaiser. Alle, wirklich alle anerkannten ihn als Oberhaupt, er war die Schlichtungsinstanz, den auch die germanischen Könige anriefen, und alle, ausnahmslos, übernahmen die römische Lebensart, die Verwaltung, die Sprache (!), die Gesetze ... Selbst die Merowinger in Gallien. Sämtliche germanischen Staaten und Gebilde, die sich formten, bezogen sich auf diesen Kaiser, anerkannten ihn als Mittel- und Zentralpunkt, und machten ihre eigene Souveränität sogar an der Verleihung durch Ostrom fest, die Könige schickten ihre Söhne zur Erziehung nach Konstantinopel. Selbst die Beamten und Schreiber und Rechtsgelehrten blieben die seit je ansässigen, aus antikem Strom gebildeten Römer, deren Dienste sich alle Germanen bedienten. Es veränderte sich im Grunde gar nichts - sieht man davon ab, daß sich die römisch-hellenistische Kultur überlebt hatte, kraftlos und zu einem Formalschatten geworden war. Der aber nach wie vor funktionierte.

Mit einer großen Ausnahme - den Angelsachsen in Britannien. Die Insel war nie so stark romanisiert wie Gallien bzw. Mittel- und Westeuropa. Sodaß sich dort, über die Angeln und Sachsen, nordgermanische Eigenart ausfalten konnte.

Und mit einer späteren Ausnahme, den erst nur einsickernden Langobarden im Norden Italiens, dem ersten Germanenstamm, der sich Ostrom NICHT unterstellte. Aber das geschah erst spät, damit etwa gleichzeitig mit ...

Das Mittelmeer blieb bis zur Mitte des 7. Jhds. Lebensquelle Europas, das durch einen überaus schwunghaften Handel, den die eigentlichen Völkerwanderungswirren nur wenige Jahre oder Jahrzehnte unterbrechen konnten, um dieses Meer herum verbunden war. Mit enormem Einfluß aus dem Orient. Wäre es so weitergegangen, hätte sich Europa zur Gänze byzantinisiert. Syrische und byzantinische Handelsflotten sorgten - zu großem Teil mit dem Gold der byzantinischen Kaiser bezahlt, mit dem diese die Germanenkönige ruhigstellten, Allianzen schmiedeten, Westeuropa schwamm förmlich in Geld - dafür, daß die Waren und Kunstgegenstände des Orients Europas Geschmäcker befriedigten, und daß selbst ein simpler Gastwirt in Nizza mit Pfeffer und Gewürzen aus Indien und China um sich werfen konnte.

Die "germanische Kunst" dieser Zeit war (auch über die Sklaven, die handwerkliche Arbeiten ausführten) zutiefst orientalisch geprägt, hat mehr Verwandtschaft etwa mit Armenien, Syrien, das "Gotische" atmet aus iranischem Einfluß. Die Goten in Italien haben niemanden verdrängt, im Gegenteil, sie haben alle vorhandenen Strukturen übernommen, alles Eigene fast restlos aufgegeben, und sich nur zusätzlich eingenistet. Sie wollten dort in Ruhe und Wohlstand leben und arbeiten, wie die bewunderten Römer.

Die "neue Welt" des frühen 7. Jhds. war immer noch die eine antike Welt des Mittelmeeres, noch immer der lateinische Sprachraum, mehr oder weniger sogar ein Währungsraum (die Münzen tragen fast ausnahmslos römische Kaiserbildnisse, auch die von Germanen geschlagenen), und auf sie richtet sich auch der politische Wille, der Bildungsbegriff, alles Abzielen der germanischen Könige und Völker. Die Wirtschaft blüht allerorten, man baut zahllose Kirchen und Klöster (auch das: orientalischer Einfluß) und neue Monumentalbauten. Nichts hätte das antike Rom als Kultur wirklich abgebrochen. Es wird mehr als geschätzt, es ist das Ideal, wird in den Klöstern gesammelt, an privaten und öffentlichen Schulen unterrichtet.

Hätte. Wäre. Wenn. Denn dann kam wirklich eine Katastrophe, und sie durchtrennte diese Schlagader Europas tatsächlich. Damit erst wurde wirklich Europa zivilisatorisch weit weit zurückgeworfen, ins "finsterste Mittelalter" gestoßen.



Morgen Teil 2) Was die Germanen anders machten




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