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Samstag, 19. Oktober 2013

Folgenreicher logischer Fehlschluß

Das Sein und das Nichtsein sind identisch, schreibt Hegel, den wir hier natürlich nur gewaltig gerafft wiedergeben. Denn in dem Moment, wo etwas "ist", ist es "etwas" (als eigentlicher Seinsakt), und damit "alles andere nicht". Damit fallen Sein und Nichtsein zusammen, sie sind nicht trennbar. Der Stuhl ist auch Stuhl, WEIL er zugleich NICHT-Stuhl ist, nicht Tisch oder Bett oder Kasten - unendlich.² Also Ist Identität zugleich Nicht-Identität, und als solche tritt sie ins Sein bzw. kennzeichnet das Sein, das damit immer dynamisch ist.*

Denn soweit wäre das zwar richtig, schreibt Heinrich Beck in "Der Akt-Charakter des Seins", aber Hegel übersieht einen wesentlichen Punkt, verkürzt seine Logik in einen radikalen Idealismus**. Das Sein wird ihm zur reinen Idee. Es geht gewissermaßen aus der Dingwelt hervor.***

Aber WENN sich ein Etwas auch als Nicht-dieses-Etwas identifizieren will, so muß ihm logisch das Etwas-Sein VORAUSGEHEN. Nicht zeitlich, sondern in seiner Wesensstruktur. Das heißt, der Akt des "Etwas-sein" ist das erste, Hegel's Identitätssatz betrifft erst die "zweite" Ebene, die der Reflexion, des auf-sich-selbst-Beziehens der Dinge.

Idealität setzt Realität voraus. Idee läßt sich nicht aus sich selbst heraus begründen. Das sieht auch Kant, der in seiner "Kritik der reinen Vernunft" schreibt, daß wenn dem begrifflichen Denken nicht eine Realität (des Seins) des mit dem Begriff bezeichneten Gegenstandes vorausgeht, und diese das Denken bestimmt, das Denken beliebig und realitätslos wird.

Hierbei handelt es sich keineswegs um eine "akademischen Streit um des Kaisers Bart," vergleichbar dem Fahrrad, das in China umfällt. Schon daß wir meinen, daß diese geistigen Klarheiten ohne Belang wären, bestätigt in seinem Materialismus (als Urheber der Wirklichkeit gesehen) die Tragweite. Daß dieser Akthaftigkeit der Realität eine andere Realität vorausgehen muß, ist eine Feststellung von größter praktischer Relevanz. Die sich im historischen Materialismus des Marxismus (als Wirkarm auch Hegels) direkt ausgewirkt hat, und heute implizit praktisch das gesamte Alltagsdenken (und die Wissenschaft) bestimmt. Das Sein selbst wird nämlich damit relativ, historisch relativ, es hat keinen absoluten Anker mehr, sondern das Faktische wird sein Absolutes.

Wenn etwa durch die Pädagogik (und die Politik, teilweise auch die Theologie, die über das historische der Gegenwart nicht mehr hinausblickt, die faktische Gegenwart für "Wirklichkeit" hält und entsprechend die Pastoral danach ausrichtet, sodaß Gott oft sogar schon zu einem bloßen "surplus" wird, und die Entwicklung der Liturgie ab 1970 ist genau so verstehbar, genau das zeigt sich als Folge: die Verabsolutierung des faktischen Menschseins) von einem Menschen ausgegangen wird, der sich durch Veränderung der historischen Umstände beliebig verändern läßt, er also kein Wesen (das aus dem Sein kommt) hat, das seinem Dasein vorausgeht, es begründet wie bestimmt (charakterisiert), und damit seine wirkliche Wirklichkeit ist, so führt sich das auf diese Sicht der Welt und Wirklichkeit zurück. Oder wenn ein Daniel Kehlmann sagt, es gebe kein "ich", dann spricht er exakt dieselbe Überzeugung - die aus einem logischen Fehlschluß erfolgt - aus. Und damit aber erwischt er den neuralgischen Punkt der Gegenwart.

Denn ohne absolutes Sein, das erstlich alle Realität gründet, das einzig wirklich ist, sodaß alle faktische Geschichtlichkeit der Gegenwart (wie Zukunft und Vergangenheit) aus dem hervorgeht, was einfach "da-seiend ist", kann man diesem Sein, dieser Wirklichkeit nicht mehr vertrauen.

Damit sieht sich der Mensch ständig in Gefahr, sich zu verlieren, sobald er sich der begegnenden Wirklichkeit "fügt" - er steht unter dem Dauerdruck, in die Welt eingreifen zu müssen, sonst kommt kein "Gutes Ich" heraus. Denn nichts gewährleistet dann noch die Gutheit des Begegnenden, das Begegnende läßt alles "im Fluß".

Und damit schließt sich auch aus dieser Richtung der Kreis zu Internet, facebook und Dauer-ipod-Anschluß, zu einer Gegenwart, in der alles nur noch prekär ist, und niemand niemandem mehr vertrauen kann. Denn nur "im Fluß" kann ja niemand leben, mit Grund, wie wir gesehen haben, es fehlt eben der Halt in einem Sein, das dem Seienden vorangeht, es begründet - das Seiende begründet sich heute aus sich selbst heraus sein Sein. Wenn das Faktische, das Netz der Oberflächlichkeiten und Weltgespinste damit aber ausläßt - bleibt nur noch absolutes Nichts. Weil die Welt keinen Halt mehr hat, Identität (weil unzuverlässig) verweigert, sodaß man sie sich selbst schaffen zu müssen meint.





²Ein Stuhl der "nicht Tisch" ist, ist deshalb kein "Nicht-Tisch". Diese Urteilsebene der Reflexion (die zeite, idelle also) findet keinen Kontakt zur Realität. Sie stellt nicht Realität dar, sondern Idealität. Hegel kenn kein eigentliches Urteil über die Realität, er bleibt auf der Ebene des Reflexionsurteils, versucht von dorther Realität zu verstehen. Erste Realität also (das reale Ding "der Stuhl") ist für Hegel nur eine unreflektierte Form des zweiten Urteils. "Da jedoch das zweite Urteil erst durch nachfolgende Reflexion vom ersten her gewonnen ist, wurzelt es ganz im ersten und setzt das erste voraus. Das bedeutet wiederum: die Idealität als die Ebene der 'Identität des Positiven und des Negativen' wurzelt ganz in der Realität als der Ebene der einfachen positiven Identität." (Beck) Es gibt gar keine Idee von einem Ding, wenn dieser nicht eine Realität, also eine "einfache positive Identität" (ALS dieses (Stuhl-)Ding, das zuerst einmal nur es selbst ist) VORAUSGEHT. Über diese erst werden Ideen erkennbar bzw. gewonnen. Das ist nicht zeitlich vorstellbar (das würde eine nicht-abstrakte Ebene bedeuten), sondern als Wesenseigenschaft der Dinge/Objekte. Hegels Idealität beschreibt eigentlich nur den abstrahierten Akt der Erkenntnis selbst. Aber dieser ist nicht das Reale selbst. Weil Hegel also den Dingen kein allem Erkennen (aller Idealität) vorgängiges´in sich selbst sein' zuerkennt, kennt Hegel auch keine "Person", das In-sich-Stehen des Menschen, das ihn erst zum Menschen macht. Auch das findet sich direkt im Marxismus, im historischen Materialismus wieder, wo der Mensch aktualistisches Konstrukt historischer Gegenwartsbedingungen wird. Das hat zwar für die Gestalt des Ich ALS Selbst seine Bedeutung, ist aber nur auf einem vorgängigen "ich" denkbar, einer dem Faktischen vorgängigen "natura" (Wesen als Form des - ersten - Seinsaktes). Der Hegelianismus/Marxismus kennt kein (absolutes) "Wesen" des Menschen, von dem aus Historie als Interagieren und aus diesem heraus erst verstanden werden könnte.

*Womit absolut nachvollziehbar wird, warum Marx diesen Idealismus später als unnotwendigen Schritt an Hegel ablehnt, die materialistische Konsequenz aus Hegel zieht, das Sein (und den Menschen) konsequent historisiert - er hängt nämlich tatsächlich in der Luft.

**In weiterer Folge wird daraus verständlich, warum Hegel im Pantheismus landen muß: Das Daseiende, die Existenz wird erschöpfend zum Sein selbst, damit die Welt zur aus sich selbst bzw. dem in ihr "eingesperrten" oder "daseienden", identischen Geist (Sein) heraustreibenden Ursache. Das heißt aber auch, daß eine Zeit selbst, die "so" denkt, im Pantheismus landen muß. Von den Banalisierungen dieser Sichtweisen (etwa in diversen esoterischen Schulen) gar nicht zu sprechen, die sehr häufig schon den schlichten Mangel haben, Abstraktion und bildhaftes Vorstellen nicht trennen zu können, Abstraktes (Geistiges) bildhaft-konkret nehmen. Etwa wenn Menschen darauf hoffen, durch Techniken "Geister/Geistwesen" zu "sehen".

***Woraus sich sogar der "Evolutionsgedanke" ziehen läßt, in dem die Welt sich aus sich selbst heraus automatisch zum Fortschritt bringt. Selbst im Technizismus, in dem alles zur "Ablaufoptimierung" für selbst gesetzte Parameter (warum sollten die noch falsch sein?) wird, finden sich da Analogien.





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