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Freitag, 15. November 2013

Aufstieg der Kirchenmacht

Der blitzartige Einfall der Mohammedaner im Mittelmeerraum hatte nicht nur die Antike in Westeuropa beendet, es vom Mittelmeer abgetrennt, seine Machtverhältnisse umgewälzt, sondern Europa fiel für zweihundert Jahre in tiefe Barbarei. Gewaltverhältnisse herrschten, Recht und Ordnung hatten sich aufgelöst, die Wirtschaft lag darnieder, Schreiben und Lesen als Kulturtechniken wurden im 6. und 7. Jhd. völlig vergessen. 

Nur nicht - in der Kirche, selbst wenn ihr realer Einfluß in dieser Zeit verschwand. Papst Gregor der Große organisierte aber im 6. Jhd. die Verwaltung der riesigen Ländereien neu, die in den Wirren und Kriegen oft abhanden gekommen waren. Sie waren das Ergebnis der Konstantinischen Schenkungen zu Anfang des 4. Jhds. gewesen, in denen der römische Kaiser sämtliche Güter der heidnischen Tempel, im speziellen ihren Grundbesitz an die Kirche übertragen hatte. Damit hatte er die Kirche schlagartig in eine vom Staat wirtschaftliche Unabhängigkeit versetzt. Und diese wurde nun zum entscheidenden Moment.

Denn während alles verfiel, konnte sich die Kirche nicht nur selbständig erhalten, sondern in ihr lebten die antiken, römischen Traditionen weiter. Denn sie war nach altem römischem Muster organisiert und geleitet, und nur in ihr gab es auch die Schulen, die entsprechenden Nachwuchs heranzogen. Wenn der Staat nun Verwaltungskräfte, Know how brauchte - wo hätte er sie hernehmen sollen, wenn nicht von der Kirche? Öffentliche Schulen gab es nicht mehr, nur der Klerus konnte schreiben.* In der diese Strukturen in allen Wirren, in denen auch der Klerus weitgehend sittlich verfiel, erhalten geblieben waren. Das erklärt die enorme Machtposition im Rahmen der nunmehr entstehenden europäischen Kultur, die der Kirche zufiel.

Gleichermaßen hat dies damit zu tun, daß diese - notwendige - Selbstorganisation dem Papst, über die großen Landstriche, die der Kirche gehörten, samt dem Verfall des weltlichen Rom, zu seiner Doppelfunktion als Landesherr führte. Er hatte dazu nur das alte römische System der Domänen wieder aufgerichtet.**

Der Papst blieb auch nichts anderes übrig, als die verfallende Stadt Rom weltlich zu verwalten, niemand hätte es sonst getan, sie wäre, von den Bewohnern verlassen (und es gingen ja zuerst die höheren Schichten), untergegangen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf die Unfähigkeit, aber auch dem Unwillen zur Hilfe durch Ostrom gegen die Langobardenfeldzüge durch die Suche nach Verteidigungsallianzen zu reagieren. Das Papsttum wurde erstmals zu einem selbständigen weltlich-politischen Faktor, und ab dem 8. Jhd. erstmals ein Kirchenstaat.

Wobei es diese europäische, abendländische Kultur ohne Kirche ohnehin gar nicht gegeben hätte. Denn ohne sie war für die weltlichen Könige nichts mehr zu machen, die hätten keine Reiche organisieren können. Aus rein weltlicher Sicht hätte sich Europa nicht mehr zu solcher Kraft entwickelt, es wäre vermutlich verfallen, den Arabern und den anstürmenden Völkern aus dem Osten erlegen. Europa wurde ganz real nach kirchlichem Bild, in dem sich wiederum die Antike wiederspiegelte, aufgerichtet.

Gleichzeitig entzog sich die Kirche allmählich dem staatlichen Einfluß, wie er in Byzanz ungebrochen herrschte, und brachte sich spätestens im Bilderstreit im 7. Jhd. (Ikonoklasmus Byzanz') in zunehmende Opposition zum Kaiser. Dem aber die Hände gebunden waren, weil ihm die islamischen Einfälle im Osten und Süden alle militärischen und wirtschaftlichen Kräfte banden.

Es war ebenfalls dieser Papst, Gregor der Große, der das Mönchstum in die Kirche integrierte und förderte. Damit entstand eine gewaltige geistige Reserve, aus der jederzeit geschöpft werden konnte. Dort wuchsen der Kirche die - oft direkt Rom verbunden, damit auch als Gegenpart zur diözesanen Verwaltungsstruktur - Klerikerreserven zu, und dort wurde das antike Bildungsgut, auch in Dingen praktischen Wissens (die Wachau, etwa, verdankt den heutigen Weinbau den Mönchen aus dieser Zeit) aufbewahrt, das Europa später neu aufrichten sollte.

Zugleich stärkte Gregor die Zentralmacht des Papsttums, und zwar vor allem im Norden und Nordwesten Europas! Denn er selbst hatte die Bekehrung Britanniens, mit großer Klugheit und enormem Erfolg, eingeleitet. Und von dort aus begann die Reevangelisierung Europas. Dies alles aber nun - unter Leitung und finanzieller Kraft Roms. Gallien, Deutschland waren deshalb dem Papst auf eine zuvor noch nie dagewesene Art verbunden, auch im Bewußtsein der Menschen. Zuvor hatte der Papst eine bevorzugte Stellung, gewiß, aber keine reale Macht. Nun wuchs sie ihm zu.

So, wie ihm der dringende Bedarf der Karolinger zuwuchs, ihre Macht zu legitimieren. Die in der Kaiserkrönung Karls des Großen kulminierte. Damit hatte Rom zugleich eine Schutzmacht gegen Byzanz, konnte sich von dort abwenden. Während ein Reichsgedanke historisch wurde, der die Kirche als Quelle der höchsten weltlichen Macht - im Reich, im Kaisertum - sah, ja Kirche und Reich verschmelzen ließ.


*Das drückt sich im Umstand aus, daß bis heute die Worte für "Schreiber; Verwaltungsbeamter" und "Kleriker" in vielen europäischen Sprachen gleich sind: "clark/clerk" - Klerik - Kleriker ...

**Selbstverwaltungseinheiten, autarke Wirtschaftseinheiten, die aus mehreren zentralen Höfen - den Dominus bzw. Villen, Maiereien, Herrenhäusern etc. - bestanden, die nicht auf Gewinn durch Außenbeziehung ausgerichtet waren, sondern auf Selbstversorgung. Sie waren patriarchal organisiert und hatten eigene Rechtssprechung. Ihre Gliederung bestand in Herren hier, Hörige als Lehnsnehmer und Pächter, Vasallen, Dienstmannen und Sklaven dort. Es ist wichtig zu sehen, daß diese Strukturen keineswegs als Bedrückung empfunden wurden, wie es Heutigen erscheinen könnte, sondern als wirtschaftlich wie kriegerisch gut abgesicherte Lebensform. Die arbeitsteilig war, und wo von den Herren z. B. Mühlen errichtet wurden, die allen gegen Naturalentgelt (Geld verschwand im 7.-9. Jhd. weitgehend aus dem Alltag) zur Verfügung standen.
Wer in einer Domäne lebte, genoß Rechtsschutz gegenüber Dritten, während seine interne Rechtslage berechenbar war. Denn sie knüpft an althergebrachte Lebensformen bei den Römern wie bei den Germanen - "Haus" - an, und war von einem allgemeinen Rechtsempfinden getragen. Im Fall der Kirche sogar durch das römische Recht. Karl der Große hat seine Rechts- und Verwaltungsreformen nach dem Vorbild des Kirchenrechts - etwa in der Einführung des Anhörungsprinzips - durchgeführt (wenn auch kaum durchsetzen können), in dem sich das antike Rom noch am direktesten erhalten hatte.





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