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Donnerstag, 21. November 2013

Weg zur Entmenschung (1)

Eine interessante Wahrnehmungsveränderung beschreibt der European in einem (sonst aber nur recht mäßigen) Artikel. Ein Schlosser berichtet, daß er, als er sein Gewerbe als Schließdienst begann, jung und unerfahren war. Viele Schlössser kannte er nicht, und mußte um sie zu öffnen viel Mühe aufwenden, und dabei das Schloß oft zerstören. Der Schaden war groß. Aber die Kunden bezahlten gerne, und sie gaben ihm reichlich Trinkgeld. Als er älter wurde, seine Erfahrung zunahm, er die Schlösser allesamt kannte, und sie in wenigen Minuten öffnen konnte, begannen die Kunden plötzlich unzufrieden zu sein, sich über seine Rechnungen zu beschweren, und gaben auch kein Trinkgeld mehr. Seine Leistung wuchs - aber sie wurde nicht mehr anerkannt.

Frägt man Menschen, wieviel ihnen die Wiederherstellung einer beschädigten Festplatte wert ist, und stellt ihnen Aufstellungen vor, in denen viel Zeitaufwand hier, Datenmenge dort gegenübergestellt wird, so entscheiden sie sich für den Zeitaufwand, nicht für die gerettete Datenmenge. Wo doch das Verhältnis in Geld gerechnet ganz anders läge.

Auf die Spitze getrieben, werden heute Versager höher und lieber entlohnt, als Könner, denen Normalleistung keine Mühe bereitet. Die Wertschätzung bezieht sich nicht mehr auf die Stellung in einem Organismus, aus der heraus nämlich ihre Wichtigkeit hervorgeht, sondern aus der subjektiven (sinnlich nachvollziehbaren) Mühe. Sodaß wir in einer widersprüchlichen Situation stehen: Während sich unser alltäglichstes Leben in höchstem Maß abstrakt gestaltet und Abstraktionsvermögen verlangt, wird unser Wertempfinden immer subjektivistischer, physischer, und an erfahrenen Schmerz (Mühe), nicht an die objektive Leistung gekoppelt. Diese Schlüsse könnte man ziehen, meint der Verfasser dieser Zeilen.

Extrapoliert man weiter so heißt das, daß Intelligenz, Verantwortungsbereitschaft, Führungsqualität (die immer Abstraktionsvermögen bedeutet) zum Makel, zum Nachteil in der Wertschätzung wurde. Sodaß sich das Leben zweiteilt - im Vollzug wird es immer virtueller, unkonkreter, unkörperlicher (man denke nur an einen Kaufvorgang über Internet), in der Wahrnehmung von Leistung aber immer physisch-zentrierter. Aus einer Notlösung, die die Bemessung von Arbeit in gemessenen Stunden immer war und ist (was sogar Marx noch bewußt war), hat sich die Absolutheit des Maßstabes entwickelt. 

Damit haben wir uns aber selbst gefangen, denn im selben Maß unterstellen wir uns der technischen Meßbarkeit, und das kann immer nur heißen: der weltimmanenten Physik. Sofern  man davon nämlich überhaupt sprechen kann, denn eigentlich gibt es diese Weltimmanenz (der sogenannten physikalischen Gesetze) nur bei einer extremen Reduktion des Wirklichkeitsbegriffs, es handelt sich also bei unserem Zeit-Wert-Begriff um einen irrationalen Mythos. Weshalb er gänzlich ungeeignet ist, eine Gesellschaft zu organisieren. Was wir auch heute überall feststellen. Das heißt: feststellen würden, würden wir es sehen wollen und können, und sehen heißt, Sinn und Ursprung kennen (und in diesem Kennen liegt dann die Wurzel der Wertschätzung).




 Morgen Teil 2) Der Wert aller Dinge liegt in ihrem Dasein,
nicht in ihrer zweckhaften Arbeit




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