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Dienstag, 3. Dezember 2013

Ausufernde Verwirrtheiten

Der Film des so gut wie immer überforderten Wagenhofer, das nächste Buch des 68er-Produkts und Eitelkeitsplauderers Richard David Precht, eine Fülle von Büchern und Wortmeldungen und Alarmschreien ... das Thema Schule und Erziehung explodiert. Aber die Trümmer fliegen in eine falsche Richtung. Sodaß dem Verfasser die Gegenthese auf der Zunge liegt, ohne jede Hoffnung, den Unsinn, der sich allmählich als öffentliche Meinung herauszubilden scheint, einzudämmen. Denn was hier gefordert wird, wird nämlich seit Jahrzehnten in der Pädagogik versucht, und richtet genau das an, was wenn sich die Folgen zeigen als Mangel kritisiert wird. 

Die Rückwendung auf den Einzelnen ist nämlich prinzipiell der falsche Weg.

Es kommt zur Entfaltung eines Menschen gar nicht auf die Talente an. Es kommt gar nicht auf das einzelne Kind auf eine neutralisierte Weise an. Aufgaben stellen sich von außen, sie sind immer konkret auf eine konkrete Welt gerichtet, und definieren so das Maß der Entwickung und der Entfaltung. Ein neutrales Entwickeln als menschliches Ziel gibt es gar nicht, so wenig wie es eine neutrale "Kreativität" gibt. Denn Kultur ist kein teleonomischer ergebnisoffener Prozeß. Und persönliche Entwicklungsinteressen sind kein "aus sich heraus vorhandener" Antrieb, sondern in einer Antwort erst konkretisierte Haltung, die genau dann nicht entsteht, wenn der Einzelne zum Ausgangspunkt genommen wird.

Diese Widersprüchlichkeit und Unausgegorenheit erkennt man spätestens, wenn alle die Erziehungsreformer von den letzten Zielen sprechen, an denen sich ihre Änderungsvorschläge ausrichten. Und rudern unfaßbar herum, wenn sie auf konkrete Punkte angesprochen werden, wie Precht, der allen Ernstes erzählt, daß die ihm wünschenswert erscheinende "Pünktlichkeit" auf der Frage der "Fähigkeit der Selbstorganisation" aufruhe. So denkt bestenfalls ein fachisolierter Techniker. Und die Betrachtungsweise des Menschen, die die derzeitige Diskussion beherrscht, IST technisch, gerade dort, wo sie das bestreitet oder zu bekämpfen vorgibt.

Auch hier gemachte Äußerungen zum Thema des Schöpferischen dahingehend zu mißdeuten wäre eine fatale Verkennung. Es geht nicht um die Rückwendung zu sich selbst. Der Einzelne ist sich nicht selbst Maß. Es sind nicht seine "Fähigkeiten", von denen sein Interesse bestimmt wird.  Es sind seine Haltungen. Und diese sind nicht einfach da, sie entwickeln sich in der Stellung zum Umgebenden, die sich aus dem Platz definiert, an dem man steht, sie entwickeln sich aus dem Sinn, den man vorfindet. Precht und so viele andere fordern Chancengleichheit, und meinen damit genau jene gesellschaftliche Einebnung und teleonomisch-zufällige Neukonstruktion, die diesen Sinn verdunsten läßt.* Eine Gesellschaft definiert sich nicht aus Funktionen, die wir uns ausdiskutieren, sondern aus dem Zueinander von Gestalten. Nur von dort aus werden auch aufstehende Probleme - und damit individuelle Aufgaben - definierbar.

Welterkenntnis (und Selbsterkenntnis) als quasi-neutrales Gut darzustellen, das es zu erwerben gäbe, um sich DANN eventuell noch für menschliche Werthaltungen zu entscheiden, ist in sich unmöglich. Das faßt Welt eben als Technik (rationalistisch) auf. Es gibt keine Welterkenntnis ohne persönliche Haltung, weil der Geist der Welt personal ist. Dies zu vermeinen bedeutet nicht das Erreichen dieser Neutralität, sondern eine Vorentscheidung für eine bestimmte Grundsicht der Welt, die in dieser Haltung bereits enthalten ist. Das bedeutet gleichzeitig nicht ein Verschwimmen einer "objektiven Welt" in bloß subjektivistische Haltungen, denn es übersieht, daß es eine allumfassend offene persönliche Haltung - in der Selbstüberschreitung, im Selbstopfer, genau nicht in der Selbstumklammerung - gibt. Nur so überwindet das Sein das Nichts, sonst weicht es ihm permanent aus.** In diesem Selbstüberschreiten, das es nur in der (damit vorgefundenen) inhaltlichen Konkretion gibt, entfalten sich Talente dann von selbst, und zwar wirklich schöpferisch, und zwar in das (göttliche) Geheimnis der Vernünftigkeit der Welt (und ihrer Gründe) selbst hinein, aus ihr heraus, von ihr geordnet, und in aller Klugheit, die auch die faktischen Gebrochenheiten einbezieht, zur Gestalt gebracht. Es gibt also überhaupt kein Patentrezept, und es gibt gleichermaßen keine Garantie auf Irrtumsfreiheit.

Das zu beklagende Manko an schöpferischer Lebenshaltung ist etwas völlig anderes, als mittlerweile als Erziehungs- und Schulziel alle Mauern niederzurennen scheint, die niemand mehr verteidigt, weil die Frage nach dem Warum nicht mehr beantwortet werden kann. Man fühlt deshalb längst aufkommendes neues Unbehagen, weil mit wild fuchtelnden Armen im Dunkeln zu zaubern versucht wird. Was uns im öffentlichen Diskurs deshalb als Mangel entgegenkommt ist die Fähigkeit, allererste Grundlagen überhaupt noch zu erkennen, weshalb wir im Teilhaften ersticken.*** Erst damit aber wäre jenes Außen zu erkennen, auf das eine Erziehung und menschliche Formung abzielt.



*Eine Pädagogik der Liebe, sofern man überhaupt von einer solchen sprechen kann, zielt nur scheinbar auf Talente und Fähigkeiten ab. Sie hat ein Insgesamt des Menschen im Auge, in dem Talente auf Gestalt(en) bezogen und auf Sinn hinorientiert, ja erst von diesem her definiert werden können. Es gibt keine neutrale harmonische Persönlichkeit - eine solche läßt sich nur aus der Sinnorientierung bestimmen. Das erste Opfer der gegenwärtigen Pädagogik- und Schuldiskussion ist deshalb die Kultur als Bezugsrahmen, auch und gerade wo sie kritisiert und abgelehnt wird, auch und gerade für den Einzelnen, der ja ein Gesellschaftswesen ist. Ohne Kultur gibt es deshalb gar keine Persönlichkeit. Am Beispiel der Kunst läßt es sich illustrieren: Es werden aus einer "neutralen" autonomistischen Persönlichkeits(un)kultur nicht plötzlich neue Künste und Kunstformen und Künstler oder "Kreative" aufstehen, sondern bestenfalls Nicht-Kunst, maskierter Zeitgeist und Symptomatik, weil Mangel an absolutem Bezug Mangel an Sachlichkeit - und damit an Wahrheit/Gutheit/Schönheit - bedeutet.

**Die gegenwärtige Neigung, sich auf ein "ich" zu konzentrieren, das es zu entwickeln gäbe (WAS ist zu entwickeln?), korrespondiert auffällig mit der gleichzeitig allgemein werdenden Auffassung, daß es gar kein (vor-läufiges) "ich" als geistige Substanz des Menschen gäbe.

***Der tiefere Grund der nun so heftigen pädagogischen Diskussionen liegt in einem Bewußtwerden des Vertrauensverlusts, in dem wir stehen. Die Welt wird als etwas erfahren, das sich in ihren Anforderungen von uns entfernt hat, an sich eine richtige Erfahrung. Was nun versucht wird ist die noch tiefere Rückbindung des Vertrauens in die Welt selbst hinein, in "unsere Talente" (etc.) als vorgebliche Ursprünglichkeit - eine (auch denkerische) Unmöglichkeit! Es liegt am Verlust des Bezugs auf Gott, der letztlich alle Wirklichkeit in seiner Hand hält.




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