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Dienstag, 10. Dezember 2013

Die Logik der Tauben und Blinden

Nur wer sich als ungenügend erfährt, erfährt sich einem alles Umfassenden, aber von ihm getrennten Gegenüber: Gott. 

Diese schlichte Tatsache, die zudem die unverzichtbare, wenn nicht einzige Basis aller Mystik - der Meisterschaft des Sterbens und des Todes, die sie nämlich ist² - bildet, hat weitreichende Folgerungen und beleuchtet viele Phänomene der Zeit, noch mehr deren Charaktere.

So sind es die narzißtisch sich selbst Genügenden, die notwendig im Pantheismus landen, keine Unterscheidung zwischen Gott und sich selber mehr finden. Worin sich auch die Rückbindung von Religionstypen an kulturelle Umfelder und Zivilisationserscheinungen zeigt. Solche Charaktere, die meist aus einer Vergottung durch die Mutter stammen - denn der Vater bedeutet diesen übermächtigen Anspruch, die Überlegenheit - und sie damit insgeheim auch hassen, damit aber sich selbst (weil den Boden ihres Selbst nämlich) beschädigen würden, sind dieselben Charaktere, die zum Fanatismus neigen. 

Nur durch Selbstanstrengung nämlich können sie sich in diesem Selbst halten. Die die Außenwelt bestimmen wollen, deren Gedanken stets darauf abzielen, wie man andere und anderes ändern und bedingen sollte. Die von der Außenwelt nur wahrnehmen, was ihnen (technisch) hilft, dieses Selbstbild zu halten, denn die Liebe zur Technik, dem einzigen Sicherungsmittel, ist ihnen naturgemäß. Deren Mittel vor allem auf jenen Schein abzielen, der diese welthafte Konstruktion des Selbst³ (und damit Gottes) aufrechthält, woraus sich deren Neigung zur Distanzlosigkeit erklärt. Denn in dieser Distanzlosigkeit wird die Kluft zum Sein scheinbar ausgelöscht, weil sich das Begegnende ihren Bedingungen, ihrer Mächtigkeit unterwirft. 

Ihre Gedankenwelt befaßt sich vor allem mit Teilwahrheiten, mit technischen Gedankengebäuden wie Ideologien als Garanten von Sicherheit (vorzüglich in der Sicherheit von Institutionen verankert, ja, sie neigen selbst zur Schaffung von Institutionen, die freilich in ihrer Gewalt bleiben müssen), denn das große Ganze, das Eine, ist ihnen Gefahr: es ist ihnen unbeantwortete Grundfrage. 

Während sie alle Energie darauf wenden, die Möglichkeit des Erwachsens des Einen aus den Teilwahrheiten, die Möglichkeit der Überraschung gewissermaßen, mit der das Eine in die Welt platzen könnte, zu beweisen. Weshalb sie sich sogar mit Energie auf "spirituelle Techniken" werfen, freilich ohne sie je wirklich existentiell zu nehmen. Denn jede ernsthafte existentielle Anfrage an die Wahrheit eines Teils bringt notwendig das Ganze ins Spiel, was sich nicht zuletzt im Ausweichen vor strenger Logik demonstriert. Diese wird bereitwillig als Hindernis für das urschöpferische Element eliminiert, das sie stört.* Diese Ernsthaftigkeit versuchen sie bestenfalls zu simulieren, etwa durch Fanatismus, mit dem sie eine Technik, einen Heilsweg verfolgen. So schützen sie sich noch effektiver vor der Grundfrage.

Sie versuchen, eine "Physik des Heils und des Unendlichen" zu konstruieren, gekrönt durch den Wunsch nach einem schnellen, unbewußten, "schmerzlosen" Tod, indem sie der Letztanfrage der Wirklichkeit (des Seins) ausweichen zu können glauben.

Mit gleicher Energie versuchen sie, das Idealbild der propagierten Perfektion an sich selbst zu erweisen, mit gleicher Energie versuchen sie die "positiven Früchte" an sich selbst durch Verhaltenssimulation (die natürlich zwangsläufig teilhaft bleibt, sich also in der Festschreibung einzelner "guter" Handlungen ausdrückt) zu beweisen. Schlicht: Sie versuchen, ihre eigene Heiligkeit durch oft höchst lucides Benutzen der Sprache** und des Gestalthaften vorzutäuschen.

Umso gefährlicher ist diese charakterliche Mischung, weil sie auf einem mit der Zeit anwachsenden Brandsatz unterdrückter Aggression aufruht, der aus dem wahren und geistigen Konflikt dem Sein gegenüber erwächst, aber nicht an die Oberfläche kommt. Dort würde er eine Existenz tödlich bedrohen. Sodaß der Aufwand wächst, mit dem er unterdrückt werden muß. Woraus sich erklärt, daß er zunehmend ausgelagert wird - auf Sündenböcke, auf andere als Ursache der eigenen Unruhe.

Sehen und Hören gründet auf geistigen Haltungen. Nicht zuerst auf physikalischen Reizprozessen.



²In dieser Tatsache gründet der Irrtum des Quietismus (etc.), also der sogenannten Erneuerungsbewegungen, wie sie in der Kirchengeschichte so häüfig waren. Samt der gegenwärtigen Tendenz zu fernöstlichen Strömungen des Nihilismus. Der Quietist versucht, das Selbst aus der Welt zu nehmen, verlagert die Hingabe, das Aufgeben ins Sichtbare. Dabei bleibt ihm in Wahrheit die Kontrolle, bleibt ihm die wirkliche Hingabe erspart. Knox meint deshalb, daß vermutlich alle diese "geistigen Bewegungen" auf nur ein Grundübel zurückzuführen sind: die Acedia. Die geistige Trägheit. In welcher Haltung so gut wie immer enorm viel "getan" wird, um das entscheidende Tun, den entscheidenden Akt zu vermeiden, auf den es aber ankäme. Gerade die geistig Trägsten sind deshalb oft die sichtbar, "beweisbar" Aktivsten. Ihnen fehlt, was Beck als "aktive Gelassenheit" bezeichnet, das Ruhen in der Vorsehung, dem Umfassenden Geist Gottes, ohne sich darin wohlig und passiv einzurichen.

³Das ist auch an der Haltung dem Tod gegenüber ablesbar. Denn im guten Sterben übergibt der Mensch sein Selbst, sein Ich, sein Alles in die Hand des Seins, das ihn unendlich übersteigt. Wenn mittlerweile über 50 % der Menschen in Europa von einer "Reinkarnation" vorgeben überzeugt zu sein, so zeigt sich darin die Flucht vor dieser Ultimativität des Todes, indem man ihm seine Ernsthaftigkeit, die das konstruierte Selbst gefährdet, scheinbar nimmt. Man könnte die Esoterik der Zeitströmung durchaus als Versuch bezeichnen, die fundamentalen Anfragen des Seins, die das Selbst immer wieder in Unruhe stürzen, zu sedieren, gewissermaßen in den unsichtbaren Bereich, auf Abfallhalden zu schieben. Daß wir heute so viel, und immer mehr, in "nicht gesehene Räume" schieben, in nächste black boxes, im Fall des Internet sogar durch Auslieferung an das uferlose Meer der Worte, belegt genau diese Grundstruktur des gegenwärtigen Selbst. Mit der Musterblüte der "Piratenparteien", die nicht wissen wozu, aber dafür Totalengagement im Netz fordern.

*Rationalismus ist aber etwas ganz andere, ja das Gegenteil von strenger Logik! Denn Logik fußt immer in Gewißheiten, die selbst nicht mehr logisch rückführbar sind. Während das (oder sogar: dieses) Geheimnis etwas ist, das die Logik selbst begründet, ist das Irrationale ein Versuch, das Geheimnishafte in Beliebigkeit zu transferieren, den genuinen Schöpfungsakt aus dem Sein heraus zu simulieren.

**Das Wesen des Schizoiden, übrigens.





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