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Freitag, 28. Februar 2014

Vom Wesen des Instinkts

Mit zu den spannendsten Kapiteln in Jean-Henri Fabre's Forschungen zu Insekten gehören jene, die sich mit der Natur des Instinkts auseinandersetzen. Ist man in der Forschung auch nur ein wenig zu ungenau, kommt es nämlich sehr schnell (und die Vergangenheit belegt es) zu Schlüssen, die den Tieren falsche, meist zu anthropomorphe Verhaltensweisen beimessen. Ihnen etwa Vernunft beilegen, die sie aber gar nicht haben.

An den Maurerbienen demonstriert Fabre, wo Instinkt liegt. Die Maurerbiene baut aus Sand und Steinen mit Hilfe eines Mörtels aus ihrem Speichel kleine, hülsenartige Zellen, die nach oben offen sind, und nach Ende ihrer Tätigkeit mit einem kleinen Stein verschließt. Denn dorthinein legt sie ja ein Ei, und die Made, die schlüpft, nährt sich vom ebenfalls von der Mutterbiene eingebrachten Honig, bis sie den Kokon durchbricht, den Verschlußdeckel aufbeißt, und als Biene ihr Leben fortsetzt. Diese Bauten, für die die Biene gerne Dächer annimmt, können so massiv und zahlreich werden, daß sie ein Dach gar zum Einsturz bringen können, das nur nebenbei. Oder abrutschen und Menschen in Gefahr bringen, denn die kleinen Häuschen sind steinhart und fest.

Fabre hat nun Folgendes gemacht: Die Biene hat eine Zeit lang nur das Bauen im Sinn.  Pausenlos, im Abstand von 3 bis 4 Minuten, fliegt sie fort um Material zu holen, das sie dann kaut, und zu diesem Zylinder hinzufügt, der mit der Zeit entsteht. Hat das Bauerk eine bestimmte Größe erreicht, beginnt die Honigeinbringung. Sie kommt also fortan mit Pollen, die sie gleichfalls zerkaut und als Honig in die Zelle hinein auswürgt.

Es ist nunmehr zu beobachten, daß die Biene auch repariert. Fabre brachte kleine Schäden an, und jedesmal reparierte die Biene die Löcher, sobald sie zurück war. Dreißigmal, vierzigmal ... unermüdlich reparierte sie das jedesmal neu von Fabre aufgerissene Loch. Aber sie tat es nur, so lange sie "am Bauen" war, bis der Bau fertig wat, und das hieß: ohne Loch (außer dem Eingang oben).

Sobald sie aber daraufhin begann, Honig einzubringen, "sah" sie neu gerissene Löcher nicht mehr. Das führte sogar so weit, daß der Honig jedesmal restlos wieder auslief. Aber die Biene reagierte nicht, schien zwar etwas irritiert, weil sie den Schaden mit ihren Fühlern zur Kenntnis nahm, konnte aber nicht adäquat reagieren. Hatte sie stattdessen eine bestimmte Anzahl von Honigflügen absolviert, folgte der abschließende Akt: Die Biene kam mit einem kleine Steinchen, dem Abschlußsteinchen zurück, legte ihr Ei, und schloß stets augenblicklich den oberen Deckel. 

Fabre versuchte zahlreiche Kombinationen, um seine Erkenntnisse zu präzisieren, einzugrenzen. Bis sich eine Kontur des Instinkts der Bienen abzeichnet. Denn die Biene reagiert nach wie vor nicht, wenn ihre Zelle ein Loch hat, aus dem aller Honig ausfließt, den sie einbringt, ehe sie nun das Ei legt. Dabei entfernt sie während des Einbringens selbst sogar sorgsam jedes Fremdpartikel, der zufällig das Zelleninnere verschmutzt, und sei es das Ei einer anderen Biene, das Fabre eingelegt hat. Jedes Steinchen, jeder Schmutz wird sorgsam und gründlich (die Biene fliegt dazu weit weg, und steigt 15 Meter hoch, um den Fremdkörper dann fallen zu lassen) entfernt, hält das Innere rein, solange sie Honig eben einbringt.

Sie bemißt die Honigmenge dabei auch nicht nach Augenmaß oder Füllhöhe der Zelle, die kennt offenbar kein Mengenmaß. Selbst wenn der Bau leer ist, weil unten ein von Fabre angebrachtes Loch alles auslaufen läßt, oder er mit einem Wattebausch und Pinzette den Honig jedesmal entfernt, wenn sie zu neuem Flug aufgebrochen ist, hat sie das Maß der Menge an Honig nicht aus dem Füllstand, einer Menge, sondern - nur aus ihrem eigenen Instinkt heraus. Dieses Maß wird nicht an anderen Faktoren kontrolliert, es ist ein Maß für sich. Die Biene hat offenbar nur jeweils einen Tätigkeitskreis, selbst wenn der einen gewissen Umfang an Einzeltätigkeiten einschließt.

Ja, selbst als Fabre, nach Verschluß, seitlich ein großes Loch anbringt, das die Biene deutlich sehen muß, sodaß das gelegte Ei höchst gefährdet wäre, die Larve beim Schlüpfen gewiß vertrocknen oder dann verhungern würde - die Biene reagiert nicht. Nun ist Mauern am Programm, also mauert sie. Dann kommt die Honigeinbringung, also bringt sie Honig ein. Und unterbricht auch nicht um zurückzugehen im Programm um zu mauern, zu reparieren, etwas das sie beim "Mauern" ja sehr wohl tut, also kann. Und sie mißt auch nicht, ob genug Honig da wäre, sie folgt nur ihrem inneren Maß, das sie erfüllt, selbst wenn der Honig ausgelaufen, nichts in der Steinwabe mehr zurückgeblieben ist. Und sie legt ihr Ei, und verschließt den Deckel, selbst wenn darunter ein klaffendes Loch oder fehlender Honig alle Mühe zunichtemachen wird. 

Selbst, als Fabre nach Eiablage einen kleinen Strohhalm in die noch offene Zelle steckte, der nun deutlich herausragte. Die Biene nimmt ihn zur Kenntnis, und - ummauert ihn, wenn sie den Deckel anfertigt. Der vormalige Säuberungsinstikt ist mit einem mal erloschen, denn nun ist die Tätigkeit des Zumauerns des Deckels dran, und in diesen gehört nicht, die Zelle zu säubern, oder ein Leck zu reparieren. Sie "kennt" nicht einmal ein "Ei".

Auch an Erdwespen zeigt Fabre, das die Tiere sogar nicht einmal ihren eigenen Nachwuchs erkennen. Als er, um den phänomenalen Orientierungssinn der Wespen zu erforschen, die ihren mit menschlichem Auge nicht sichtbaren Bauplatz in der Erde immer wieder erkennen, selbst wenn man ihn überschüttet oder halb zerstört, gar aushebt und eine der inneren Kammern des Erdbaus, in der bereits eine Larve geschlüpft ist, offenlegt. Die Wespe ignoriert den sich krümmenden, nun freigelegten Wurm, der aus einem ihrer gelegten Eier geschlüpft ist, und der nun bald vertrocknen wird - ihren eigenen Nachwuchs kennt wie nicht, so selbstlos und unter Lebensgefahr sie ihn zuvor scheinbar versorgt und zur Welt bringt. Sie hat ein bestimmtes Procedere, ihn (bzw. die Nebenkammern) mit Nahrung vor der Eiabblage zu versorgen, und wenn ihr dieses Procedere nicht möglich ist, "erkennt" sie die objektive Lage nicht.

Die Instinkte der Insekten, schließt der Franzose, sind weitgehend auf ein perfektes Ineinander der Abläufe ausgerichtet, die in ihrer eigenen Natur liegen, und alle Merkmale einer in sich geschlossenen Welt trägt. Sie schließen höchstens ein, was an zu erwartenden, üblichen Störungen auftreten kann. Aber sie schreiten von Tätigkeitsbild zu Tätigkeitsbild. Keinen Moment kann die Biene Abläufe rekonstruieren, außerhalb dieser Abläufe einzeln herausgreifen und zeitlich versetzen. Wechselt die Aufgabe, die selbst wiederum einem festen Ablaufprogramm im Leben des Tierchens folgt, so wechselt auch die Wahrnehmung und die Reaktion. Das Insekt arbeitet so Punkt für Punkt in ihrem Leben ab, bis es stirbt. Aber es kann zeitlich nicht springen, zurücktreten wie der Mensch, um durch gedankliche Abstraktion Abläufe zu zerlege, das Insgesamt, das man sich durch Abstraktion als Bild formt, im Blickfeld halten, kann es nicht.




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