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Samstag, 8. März 2014

Das Nichts des Zweifelnden

Die Bindungslosigkeit des Menschen (die die der Liebe entbehrende Verweigerung von Gestalt als Ehe von Form und Materie ist) entspricht der Ebene des Zweifels, der jede Festlegung entsagt. In der Meinung, nur so erhielte er sich die Freiheit, vernichtet er das Vertrauen, die Basis der Dinge überhaupt.

Tatsache bleibt dann zwar, daß er tatsächlich "zu allem" fähig bleibt, aber nur potentiell. (Und schon gar nicht, übrigens, praktisch, ein Aspekt, der vielfach völlig übersehen wird, denn zur Befähigung braucht es weit mehr als "Talent" bzw. eine gewisse Disposition, Fähigkeit kann sich nur in der Verschwisterung mit Tugend entwickeln und entfalten, wird also nur bei praktischer Fähigkeit zur wirklichen Tüchtigkeit, zum "Können".)*

Gleichzeitig nämlich bleibt der Zweifelnde (und Bindungslose) in seiner "freischwebenden" Intelligenz - nichts.

Erst in der Bindung (dem "schaffenden Wort" des Versprechens, des Eids, ein Urgeheimnis des Wortes, der Sprache, auf dem sie überhaupt aufbaut, das zurückreicht in den "logos", das Wort, das im Anfang war - als Sinngebäude, und das ist ja: Gestalt) vollzieht der Einzelne das Wesen eines Werkes, das ihn ja immer übersteigt bzw. in dem er sich übersteigt, aus sich heraustritt (ekstase). Denn in ihr wird das höhere Vollzugsgesetz zum (höheren, weiteren) Organismus, den er wirkt, erfüllt. Das Teil, auf andere Weise ausgedrückt, stirbt in das Größere, Ganze(re) hinein. Theoretisch: bis es "alles" ist. Wobei diesmal wäre es wirklich "alles", und nicht "alles vielleicht, aber nichts wirklich".

Identität ist damit das Zweifachspiel des Gegebenen - und des Ergriffenen, und dann selbst als Basis der Beziehung zur Welt Bewahrte. Denn alles Seiende (alles, was "etwas ist") muß sich (als Idee**) selbst ergreifen, um im Dasein zu bleiben.

Sprengt sich ein gesellschaftliche Verband (Familie, Sippe, Land, aber auch etwa ein Unternehmen, ein Stand), wird ein gesellschaftlicher Verband zerstört, so steht in den Zerfallsteilen der Zweifel auf. Sie werden gezwungen, den aus den "losen Bindungen" (Schmerz) im Selbst erkennbaren Abdruck im Geist, im Verstand zu rekonstruieren. Das ist der Moment, von dem Voegelin spricht, wenn er die "Ideierung" als markante (katastrophische) Kultur-Verfallsstufe anspricht, als die große Versuchung des Hinaufdrückens des Realen ins Ideell-Statische. Um so aus der Idee (dem Ideenbild, einem Gedankending sozusagen) heraus dem "Schmerz" (s.o.) zu antworten und vermeintlich zu überwinden (und sei es: in der Trauerarbeit als Beziehung zum Nicht/Nicht-mehr im Reich der Toten).

Deshalb kann man davon sprechen (siehe: Augustinus), daß der "sich Täuschende" (Enttäuschte etc., der Schmerz Erleidende in obigem Sinne) sich im selben Zuge erst "als ICH" (bewußt) erfährt, wenn er sich bindet (und darin Verlust erleidet). Es ist die Geburtsstunde des reflexiv erfaßten Ich. (Ab hier könnten noch weite Brücken - bis zu Hegels Verstandesfundierung als Weltgeist - geschlagen werden, denn so bildet sich im Verstand das Ideenbild der Welt ab, bei Hegel sogar aus dem Grundprinzip der Verneinung/Antithese heraus.) Mit der Gefahr, dieses "zweite Ich" für die Substanz selbst zu halten - der Ausgangspunkt des seins-getrennten Rationalismus, der seinen Verstand überhaupt mit "Welt" identifiziert und sich (und Welt) aus sich selbst positiv konstruiert glaubt. 

Belassen wir es mit dem Hinweis auf Sokrates, der da sagt: "Wenn Du etwas lernen kannst, lerne das Nicht-Wissen." Denn der Rationalismus baut auf dem GLAUBEN (einer Vorentscheidung also) auf, daß das (im Verstand) Gewußte oder zu Wissende (und nur das) - die Welt sei. Damit fällt sein Ich auch zur Gänze ins Historisch-Relative (Descartes!), hat keine überzeitliche Substanz, die ihm voraus geht. Wenn man das noch mit der Tatsache der Bezogenheit des Selbst als soziales, historisch-relatives Konstrukt verknüpft (siehe etwa J. Lacans), bleibt überhaupt nichts mehr, fällt eine Kultur (weil die Personen, die in ihr leben) regelrecht in sich zusammen, löst sich ins Nichts auf. Wer die Geschichte des 20. Jhds. verstehen will, kann nur dort ansetzen: bei den vergeblichen Versuchen, mit diesem positiven Willen diese Substanz zu schaffen, die das 18. Jhd. definitiv auflöste, das 19. suchte (Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche ...) und konstruktivistisch vermeintlich fand, und das 20. zu realisieren müssen meinte. Und das wiederum wäre gar nicht möglich, wenn es sich nicht auf die tatsächliche Struktur alles Seienden beziehen könnte, das die Trinität aus Wort/Idee - Fleisch/Wissen - Liebe/Wille analog (ähnlich) dem Ursprung, Gott dem Sein also, in seiner inneren Geschehensweise DARSTELLT (für den Rationalisten: ist). 




*Das Selbstgefühl, "alles zu können", ist deshalb das typische Gefühl des Jugendlichen, des noch nicht Erwachsenen, dem einerseits die Kräfte zur Welt hin erwachen, anderseits die Formung fehlt, die diese "Anlagen" überhaupt erst zu Fähigkeiten macht, und damit spezifiziert, weil sie nur so Fähigkeiten werden. Der Nicht-Erwachsene "kann alles", ohne irgendetwas zu kennen (und damit zu lieben), und kann damit nichts. Der Erwachsene hingegen "hätte manches andere auch können", weiß aber, daß er sich entscheiden (als: positiv binden) mußte, um überhaupt etwas zu können.

**Mit der üblichen Warnung, Idee auf "statisches Bild" eingeengt zu sehen. Sie ist vielmehr als "Bewegungsbündel" zu verstehen, als Bündel von Antrieben zu einer Gestalt. Wird sie zum "statischen Bild", haben wir genau das, was den lebendigen Kulturvollzug als Selbsvollzug erstickt.




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