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Dienstag, 18. März 2014

Vom Wesen der Gleichschaltung

Weil der Mensch in einem wahren Wahn der Machbarkeiten alles dabei ist, an sich zu reißen, belädt er sich mit einer Bürde von Verantwortung, die er gar nicht tragen kann. Sämtliche fundamentale Lebensprozesse, von Geburt über Tod, von Empfängnis über Krankheit, vom Sterben und selbstmordischem Sterben bis zu Kriterien des Lebenswerten bei der Pränataldiagnostik haben wir alles in die Hand genommen. Aber können wir das überhaupt tragen? Stehen wir nicht damit vor einer Situation, in der uns nur nicht bewußt ist, in welchem Ausmaß wir fehlgehen können? 

Deshalb muß der Mensch wieder zurück in diese Eingeborgenheit eines großen Zusammenhangs - Gott, der alles Sein ist, der alles in sich birgt und dem alles entstammt. Das ist die einzige Dimension, die dem Menschen auch entspricht. Von ihr losgerissen, wird alles was er tut, nur noch abscheulich. Und schon gar deshalb alles, was mit dem Leben selbst zu tun hat. Wir sind nicht für alles verantwortlich, und können das auch gar nicht sein. sämtliche Erfolge", die uns die Medizin, die uns die Propheten des neuen Glücks der Beherrschung aller Lebensvorgänge verkünden, sind eine simple Lüge. Man verschweigt einfach die Schattenseiten, man verheimlicht die Mißerfolge, man redet die Folgen klein, und verwischt die Spuren von Ursachen und Wirkungen. Unser Leben heute ist kein "besseres" als es das früher je war. Als Empfängnis und Geburt, Krankheit und Tod, Leid und Freude als hinzunehmende Begleiterscheinungen des Lebens aufgefaßt wurden, die einfach ... auszuhalten seien. Als eigentliche Lebensaufgabe.

Das ist im Wesentlichen der Inhalt der Rede von Sibylle Lewitscharoff in Dresden. Die derzeit den öffentlichen Meinungswald durchzieht, und die als "menschenunwürdig" zu verfluchen kaum jemand zurücksteht. Denn die Dame, die damit ein Zeichen wirklicher künstlerischer Selbstfindung setzt, weil sie nicht davon abgeht, zumindest zurückfinden zu wollen zu ihrer eigenen Stellung den Dingen gegenüber, die rund um sie passieren, hat etwas gewagt. Und eh so wenig. Denn die Rede glänzt ja viel mehr durch das, was Lewitscharoff gar nicht anzutasten wagt. Und sie ist alles andere als ein theoretisches Pamphlet. Sie ist schlicht die Meldung einer Künstlerin, die ihre Stellung zu den Dingen der Gegenwart bezieht, weil sie gar nicht anders kann, weil das ja ihre Lebensaufgabe ist.

Wobei sie längst weiß, und diese Angst ist auch in dieser "mutigen" Rede pausenlos spürbar, wie aggressiv sich heute die (Ver-)Öffentlichkeit verhält, wenn man ihr mit einer anderen Ansicht gegenübertritt. Längst genügt ein falsches Wort, eine Nicht-Zustimmung zu gängigen Meinungsdiktaten, zu gesollten Moralvorstellungen, um nicht nur an den Pranger gestellt zu werden, was ja noch anginge, sondern mit immer unverfroreneren  Forderungen konfrontiert zu werden, eliminiert, ausgeschlossen aus allem öffentlichen Leben, des Berufs enthoben zu werden.

Und das beschränkt sich in Riesenschritten nicht mehr nur darauf, daß man "nachträglich" geächtet wird. Sogar der Verlag distanziert sich von seiner Autorin, der vielfach preisgekrönten Autorin, mit deren schriftlichen Hervorbringungen er gute Geschäfte gemacht hat, denn Lewitscharoff hat sich gut verkauft. An dessen Inhalten er sich nie stieß. Wäre da nicht Dresden gewesen. Neuerdings beginnt das Theater der Vernichtung bereits früher: Indem Bekenntnisse verlangt werden, positive Bekenntnisse, zu Homosexualität oder "Geschlechtervielfalt", zu "Rassismus" und "Diskriminierung", die jedes differenziertere Wahrnehmen aussschließen soll, zum "Feminismus", ohne die der Zutritt zur Sphäre der Berufsausübung - was vor allem Berufe des öffentlichen Lebens betrifft, aber längst nicht nur, längst Lehrer in irgendwelchen Provinzschulen etwa betrifft - gar nicht mehr gewährt wird. Dafür sorgen schon die Autoritätsgremien, die Preiskomittees, die Stipendienstellen, die Förderbüros, die NGOs als Parallelregierung und Revolutionskomittees des zum öffentlichen Flatulieren verkommenen Geistesraumes.

Da wird dann die eigentlich berührende Art, in der Lewitscharoff versucht, die Würde des Menschlichen zu zeigen, und das so vorsichtig, mit so vielen Konzessionen, zum "Duktus der Menschenverachtung" völlig grotesk verkehrt. Nicht die Art, wie heute Mensch und Leben behandelt werden ist dann menschenverachtend, nein, diese Menschenverachtung auch noch widerlich zu finden, das ist menschenunwürdig. Denn wir haben ja heute auch die Menschenwürde neu definiert.

Der Raum der Sprache, der Literatur ist der geistige Raum eines Volkes, hat einmal Hugo von Hofmannsthal in einer in den 1920iger Jahren vielbeachteten Rede richtig gesagt. Heute würde derselbe Autor für dieselben Aussagen, die an Richtigkeit nichts eingebüßt haben, als rechtsradikal und nazistisch verflucht und kein Blatt von ihm würde je mehr gedruckt, außer in "rechten Verlagen" mit Spezialpublikum. Aber es gibt ihn, diesen geistigen Raum, und auch wenn Lewitscharoff noch so vorsichtig agiert, so muß ihre Äußerung von jedem, der sich für diesen geistigen Raum, an dem er selbst teilhat, interessiert (der andere unterliegt ihm ja einfach), gelesen sein. sie ist das Wort der Wahrnehmer per se, der Künstler, die irgendwann dieses Theater der Zensur nicht mehr mitmachen können, so sie denn Künstler sind. Aber wie immer in Zeiten des Niedergangs will man sie nicht hören. Noch mehr: Wir treten aus, was sich an freiem Geist noch regen will. Und von den Schulen angefangen, über die Universitäten, die Medien, ja selbst den alltäglichsten öffentlichen Raum bereits, wird diese Gleichschaltung, dieser konzertierte Versuch der Gehirnwäsche übers Land gespreitet. Um jeden Meter dieser Freiheit muß bereits - und das ist eine Aufgabe, die aus der Verpflichtung dem Geist gegenüber erwächst, der alleine uns leben machen kann - gekämpft und gerungen werden. Lewitscharoff hat hier erstmals erfahren, was unsere Stunde bereits geschlagen hat. Der Büchner-Preis war selten so richtig und im Sinne des Namensgebers verliehen worden.




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