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Samstag, 19. April 2014

Ein Brainblower

Er ist nicht der große Gesellschaftsanalyst, und er ist nicht der Philosoph, der die Dinge auf ihren wahren Ursprung hin zu durchdringen sucht. Versteht man aber Akif Pirincci's Buch "Deutschland von Sinnen" als Aufruf zum Mut zum gesunden Menschenverstand, so darf man es als wirkungsvolles Aufrütteln zu sich selbst genießen. Nicht, daß man solche Bücher ständig lesen sollte. Denn die Ideologisierung hilft der Gegen-Ideologisierung nicht weiter, sie treibt sie zum Kentern auf der Gegenseite. 

Die frische Art, in der Pirincci aufschreit, weil wir mit einem Unsinn tagtäglich zugeschüttet werden, den als solchen zu bezeichnen niemand mehr wagt, was nämlich tatsächlich bereits existenzbedrohende Ausmaße angenommen hat, tut dann aber sehr gut. Und sie eignet sich, das Gehirn wieder mal durchblasen zu lassen. Deshalb ist seine Lektüre eine Empfehlung. Daß sie von einem quasi Konvertiten stammt, ist typisch, denn Anstöße zu großen Veränderungen - aus geläutertem Blick, dem aber zugleich das Mangel des Positivistischen anhaftet - kommen immer von Außen, von den Randlagen, nie aus der Mitte.

Manches, was der türkischstämmige Deutsche da schreibt, ist sachlich nicht oder nur halb richtig, schon gar wo es auf Ursachenzusammenhänge geht, und bleibt nur auf der Ebene der Phänomene stichhaltig. Wo er in sehr vielen, ja den allermeisten Dingen absolut richtig sieht. (Seine neutrale bis ablehnende Haltung zur Religion wollen wir ihm nachsehen, sie betrifft ja eigentlich deren Ideologisierung, wo er wieder recht hätte, samt einer völligen Unkenntnis des Christentums. Aus dem nämlich jene Werte und Haltungen stammen, die Pirincci Deutschland so positiv zuschreibt. Aber das hat er ja mit dem Großteil der Deutschen - und Österreicher - längst gemein.) 

Aber als längst notwendiger Rülpser - mit viel Humor gewürzt - gesehen, als längst fälliges Erbrechen nach jahrzehntelanger Überfütterung mit Unsinn, der in seinem unbedarften, persönlichen Ton damit keineswegs "unter der Gürtellinie" bleibt, sondern der Sache angemessen (!) ist, und deshalb nur so in dieser Art geschrieben werden kann und soll, sollte man sich beim Kauf beeilen. Es ist Realismus! Und schon deshalb ist es bei anhaltender Lage durchaus wahrscheinlich, daß man in wenigen Jahren solche Bücher gar nicht mehr veröffentlichen oder öffentlich kaufen kann. Seine Sprache, den Freimut, mit dem der Autor dreinschlägt, hat nichts Störendes. Sie verstößt nur gegen jene Betulichkeit, oder jene Pseudo-Wissenschaftlichkeit, vor allem aber gegen Bierernst und völlige Humorlosigkeit, mit der heute wie immer die böse und niedrige Absicht und Charakterlosigkeit sich gerne umhüllt, um eine Geistigkeit vorzutäuschen, die sie gar nicht hat. Denn der heutige Zeitgeist ist vor allem eines: er ist geistlos. Die heutigen Ideologien sind in Wahrheit so gut wie immer banal und primitiv, ihre rationalen Unterbauten bloßer Schein, der die so handfesten, realen Spuren verwischen soll.

Aus solcher Stimmung aber wird der Umschwung kommen, da stimmt der Verfasser dieser Zeilen mit Pirincci völlig überein. (Neben so mancher praktischer Forderung, die sich auch auf diesem Blog in ähnlicher Form längst findet.) Bleibt es freilich bei einer Stimmung, und das ist leider zu erwarten (auch hier ist Realismus angebracht), wird die dann irrational bleibende Gegenbewegung, die weil sie aus der Natur des Menschen (der ja heute so zuwidergehandelt wird) genährt wird, zwar vieles an Falschem über Bord werfen, aber ihr wird die Kraft fehlen, konstruktiv Besseres dagegenzustellen.

Stephan Hassel's "Empört Euch", das vor einigen Jahren so großes Aufsehen erregte, hat kein Empörungspotential (und entsprechend ist es auch verpufft, sieht man von künstlicher Aufregung ab), das über die linke Gesellschaftsphantasie hinausgeht, und damit den Teufel mit Beelzebug auszutreiben versucht. Akif Pirincci's "Deutschland von Sinnen" aber hat dieses Potential, initial zu wirken.





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