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Mittwoch, 18. Juni 2014

Wo die Schurken wohnen

Es ist schon etwas Seltsames, wenn man so manchen Medienbericht im Netz zur Situation in und um die Ukraine verfolgt. So, wie in diesem aktuellen Bericht in der Frankfurter Allgemeinen, ist hier der Bericht, der eine Geschichte erzählt, der die zahlreichen Wortmeldungen der Leser offensichtlich widersprechen. Und das ist kein Einzelfall. Mit einer erstaunlichen Perspektive: Das Vorgehen Rußlands wird von den (weit meisten) Lesern für gut und richtig befunden, das der Ukraine, die der Bericht - wie auch hier - als Opfer aggressiven russischen, neofaschistischen Imperalismus (mit den Gottseibeiunsen Putin und Alexander Dugin) darzustellen versucht, wie nämlich fast der gesamte Tenor in den westlichen Medien, aber als zumindest fragwürdig dargestellt. Die Politik Rußlands, so wie sie sich darstellt, wird für glaubwürdiger, schon gar gerechtfertigter angesehen, als die der EU oder gar - der Ukraine, um die es geht.

Worum handelt es sich etwa im jüngst und erneut ausgebrochenen "Gasstreit"? Versucht da Rußland sein widerspenstiges Vorhofkind gefügig zu machen, indem es Gaslieferungen stoppt, und damit im übrigen die Versorgung Westeuropas "gefährdet"? Einem Westeuropa, das erst vor kurzem den Bau der Gaspipeline "South Stream" für Gas abgelehnt hat, das die Ukraine über den Kaukasus umgangen, es damit gegen solche Querelen unangreifbar gemacht hätte, das nur als Detail am Rande. Die Pläne dazu waren längst ausgearbeitet, ja Vorarbeiten im Gange, die nun gestoppt wurden.

Hat Rußland tatsächlich willkürlich die Preise für die Ukraine hinausgesetzt, um das Land unter Druck zu setzen und damit wieder kirre zu machen. wie es so viele Medien darzustellen versuchen?

Was sind die Fakten? Die Ukraine hat vor Jahren bereits seine Gasrechnungen an den Lieferanten Rußland nicht bezahlt. Nach langem Streit hat Rußland (das, natürlich, sein Gas verkaufen will, das natürlich damit Geld einnehmen, ja - welch Graus! - verdienen möchte) dennoch nicht nur Kredite gewährt, um Altlasten abzutragen, sondern der Ukraine einen Sonderpreis eingeräumt. Das hat der erst wor wenigen Monaten aus dem Amt gejagte Präsident Janukowotsch ausgehandelt. 

Diesen Sonderrabatt ist Rußland nun nicht mehr länger zu gewähren bereit. Und "schraubt" (so die Diktion westlicher Medien) den Gaspreis auf eine Höhe, der interessanterweise nach wie vor unter dem liegt, den Gas in Westeuropa aktuell kostet. (Von wo Gas beziehen zu wollen die Ukraine vollmundig verkündet, als Antwort auf russischen Gaslieferungsstop.) Es verlangt lediglich, daß die Ukraine ihre Schulden bezahlt, verlangt von der Ukraine, das bereits gelieferte und in ukrainischen Tanks lagernde Gas, auch zu bezahlen. Da geht es um die Kleinigkeit von 14 Milliarden Kubikmeter, im Fakturenwert von rd. 4 Mrd. Euro.

Dieses Gas, geneigter Leser, liefert Rußland seit vielen Jahren, denn aus diesen Tanks wird der Bedarf Westeuropas gespeist, im Winter, wenn mehr Gas benötigt wird, als die Pipelines zu liefern vermögen. Es "gehört" also nicht einmal der Ukraine. Die hält es nur vor. Nach Verträgen.

Ist es nun also "Schwäche", "Trumpf in der Karte", wenn sich ein Vertragspartner an seine Verträge hält, darauf sogar wagt zu bauen, und der andere nun Vertragsbruch als Repertoire täglichen Handelns und glaubwürdiger Poltik bezeichnet, wie die Ukraine es zu tun scheint?

Denn die behält dieses Gas nun ein, und beruhigt mit diesem ("gestohlenen"? man müßte es so fast nennen) Gas die eigene Bevölkerung, die, wie ja längst alle Westeuropäer wissen, nach zahlreichen demokratischen Anläufen nun endlich zu den wahren Werte der Demokratie gefunden, endlich einen "richtigen" Präsidenten demokratisch gewählt haben, nachdem alle demokratischen Entscheide zuvor  nur Irrtum waren, dessen man sich nach demokratischem Entscheid elegant entledigt hatte. Die die Ukraine im Korruptionsranking an die untersten Stellen weltweit gedrückt haben. Jetzt, freilich, jetzt ist das alles zu Ende. Nachdem die Ukraine ... pleite ist, ja völlig am Boden liegt, nur noch genährt wird von Frühlingstäubchen, die mit zartestem Gezwitscher endlich endlich alles besser machen.

Nun brennt aber doch in Westeuropas Politikstuben der Hut. Denn auch wenn die Vorräte etwa in Österreich noch bis Februar ausreichen, wie erst jüngst verkündet wurde - der Sommer steht vor der Tür, und Rußland muß bzw. möchte (denn es verdient viel Geld damit, das es braucht - und das ist ja immer eine Schwäche, wie alle wissen die am 1. ihr völlig unmotiviertes Gehalt am Konto erwarten und deshalb so unvorsichtig waren, Miet-, Leasing- oder sonstige Vertragsverpflichtungen einzugehen) seine ukrainischen Tanks befüllen, um auch liefern zu können. In einem seit vielen Jahren völlig heruntergewirtschafteten Land, in dem kaum etwas funktioniert, wie Reisende immer wieder bestätigen.

Bereits jetzt sprechen westeuropäische Finanzpolitiker mehr oder weniger offen davon, daß die Ukraine ein Sanierungsfall ist, der die für die "Rettung" Griechenlands notwendigen Gelder um ein Vielfaches übertreffen würde. Und - wird. Denn die westeuropäische Politik scheint es genau darauf anzulegen. 

Und dennoch sei Rußland der Schurke. Das hier nicht nur will, daß gelieferte Ware auch vertragsgemäß bezahlt wird, sondern sogar noch bereit ist, der Ukraine für die notwendigen Sommerlieferungen neuerlich einen Sonderrabatt von 100 Dollar zu gewähren, der den Gaspreis auf dann etwa 300 Dollar pro Kubikmeter senken würde.

Der Leser mache sich selbst ein Bild. Auch über die westeuropäische Presse. Und er versuche die Frage zu beantworten, was Westeuropa (= die EU) überhaupt politisch will. Und er findet vielleicht eine Erklärung dafür, warum die "neo-faschistische Politik" Putins, der doch glatt frech genug ist, die Interessen Rußlands und russischer Unternehmer und Bürger zu vertreten. Auch gegen die friedliebende und demokratische EU, unter den Bürgern Westeuropas so seltsame Zustimmung findet. 

Vielleicht, weil sie logischer, berechenbarer ist? Während die Politik der EU mit Europa und europäischen Interessen selbst kaum noch begründbar scheint? Vielleicht, weil sich die Bürger Westeuropas auch Politiker eines Schlages von Putin wünschen, der nämlich seltsamerweise eines tut: tatsächlich Politik zu machen, das heißt: das Schicksal seines Landes zu vertreten, seine Zukunft auch geopolitisch zu gestalten, ihr nicht nur irrational hinterherzuhecheln?

Natürlich, man trifft die Politik der Staaten seit fünfhundert Jahren speziell nur noch am Geld.  Da ist freilich Westeuropa in eklatantem Vorteil. Denn hier, hier wird Geld im perpetuum mobile selbst produziert. Damit kann man einen einzelnen Staat wie Rußland, der von wirklichen Lieferungen und Waren abhängt, natürlich ausbremsen. Während man viele Verbündete dort gewinnt, wo das Lechzen nach virtuellem Wohlstand besonders hoch ist. Da ist ein Gefüge wie Rußland, das historisch aus dem Ausgleich und der Kooperation von Nord und Süd, von Schwarzerde-, Waldland und Steppe beruht, sodaß das Geheimnis des russischen Staates historisch wunderbar aufzeigbar genau in der Zusammenfassung und Ordnung dieses gegenseitigen Bedürfens verstehbar wird, ein gefundenes Fressen.

Einer Ex-Kultur, die wenn sie schon selbst nichts mehr zuwege bringt als Illusionen, wenigstens die anderen Mitspieler auch destabilisieren möchte. Damit endlich endlich alle gleich werden. Im Nichts.

Was aber scheint sich da auch im Westen aufzubauen? Dämmert da nicht eine eigentümliche Sympathie, ja Sehnsucht nach dem Licht aus dem Osten? Nach dem "lux ex oriente"? Die Menschen scheinen seltsam eigen zu empfinden weil zu werten. Seltsam für das, was sich in Europa noch Politiker nennt. Und damit genau die Tore dafür öffnen, was zu verhindern sie vorgeben.

Seltsamer Geist, der stets verneint, und genau damit schafft.




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