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Donnerstag, 24. Juli 2014

Was tut, wer an einen Gott glaubt?

Die Frage nach Gott ist, schreibt Ortega Y Gasset einmal sinngemäß, die Frage "Womit rechne ich?" Sie ist deshalb eine Frage nach der Realität jenes Du, das ich als Gott bezeichne. Aber sie ist schon noch mehr. 

Denn was Gott überhaupt ist - nicht einfach nur für jemanden einer bestimmten Religion oder Theologie, sondern von der reinen Begrifflichkeit her, soll sprechen nicht überhaupt sinnlos werden - unterliegt nicht irgendwelchen Gedankenkonstrukten - es unterliegt dem Bezug des Begriffes, den er symbolisiert. 

Was also ist mit Gott gemeint? Was ist es, was die Menschen zu allen Zeiten als "Gott" bezeichneten? Es ist der reine Gute, es ist der Urheber von allem, es ist der Lenker und Herr über Welt und Schicksal, dem alles zu verdanken ist, der Eine, der Wahre, der die Wahrheit selbst ist, das Sein das das Sein selbst ist. Das von ihm ausgeht, und das deshalb von ihm erbeten werden muß. Nicht nur von mir, sondern von allem. Hierin gründet das, was man Heidentum nennt. 

Denn das Heidentum kannte diesen Gott nicht, die Religionsgeschichte (P. Wilhelm Schmidt zeigt das so großartig in seinem gigantischen Werk "Der Ursprung der Gottesidee", in dem er die Religionen des gesamten Erdkreises durch Feld- wie Quellenforschung und Einarbeitung der gesamten ethnologischen Erkenntnisse bis dato kennengelernt und analysiert hat*) ist eine Entwicklung von dieser Unfaßlichkeit des Einen Gottes hin zu "Subgöttern" der Mythen, bis zur Entartung in der Magie, zur Technisierung des Religiösen und damit zur Immanentisierung, zum Nihilismus. Wo immer aber Gott zum Begriff wird, ist er gegeben, so wie Sprache und Begriffe überhaupt gegeben sind. Es ist ein Irrtum zu meinen, der Mensch würde die Welt seines Denkens, seiner Sprache je neu erfinden (können). 

Nein. Er empfängt sie. Und er empfängt, WAS er glaubt, ob er das für wahr halten will oder nicht. Deshalb übermittelt sich Religiosität nie direkt, sondern immer indirekt, auf dem Weg über Menschen, und hier zuerst über die Eltern (man beachte die erhellenden Analysen von C. G. Jung), und über sie über den Kult. (Denn es gibt keine Religion, es gibt keine Religiosität ohne Kult.) 

Das, und auf eine Weise "nichts anderes", ist die Kirche: der Hort der Präsenz Gottes, des Ungreifbaren, der in Greifbarkeit herabgestiegen ist. Und selbst wenn man diesen Begriff neutralisiert auf  "Religionsgemeinschaft" (die alle ja um die Frage der Be-/Greifbarkeit Gottes kreisen), so läßt sich dasselbe anthropologische Prinzip darunter erkennen: Wer diesem Gott also gegenübersteht, kann gar keine andere Wahrheit neben ihm anerkennen. Denn dann wäre es ja gar nicht "Gott".

Was wahr ist, schreibt Y Gasset an anderer Stelle, ist nicht nur "für mich" wahr, sondern in dem Moment wo ich etwas für wahr halte, ist es das absolut. Und - es ist (immer!) das, was ich glaube. Denn an die Wahrheit selbst so scheinbar simpler Sätze wie 2+2=4 läßt sich nur glauben. Und was ich glaube, ist nicht das was ich gleich mal sage, sondern das, was ich als Seiender wirklich, gestalthaft, durch meine gesamten Lebensvollzüge vollziehe.

Wenn jemand also an Gott glaubt, an "einen" Gott (noch einmal: lassen wir die Frage "welchen?" der Gedankenführung halber einfach weg) glaubt, so ist die Frage, wie verhält er sich dann also diesem Absoluten, diesem Einen gegenüber, dem er und die Welt alles verdankt? Es erhebt sich die Frage der Angemessenheit des eigenen Verhaltens. Und darin gründet die Religiosität zu allen Zeiten und bei allen Völkern - im Kult, und in der Durchdringung des Alltags durch die Gestalten und Formen des Kultes.

Deshalb läßt sich aus dem realen Verhalten läßt eines Menschen erkennen, woran man auch selber glaubt. Alles konzentriert sich auf die Gretchenfrage - welchem Kult gehört er an? Wie sieht sein Kult aus, in dem er sich seinem Gott gegenübersieht, und wie drückt er sich im Alltäglichsten aus? NICHT als Moral (als die man Sittlichkeit gerne mißversteht), die ist nur der Wachsabdruck der Sittlichkeit selber. Dort nämlich liegt die Religiosität, so gerne diese Frage viele heute vernebeln wollen. Und darüber zu urteilen ist keine Frage von Überzeugung, sondern sie ist denknotwendig. 

Und dort liegt, was der Apostel Paulus einmal auf den Punkt bringt, und was alle Heidenvölker so bewegt hat, und was überhaupt erst den Siegeszug des Christentums ermöglicht hat, und von dem das Alte Testament im übrigen so bildhaft aus der Geschichte erzählt: Wie historisch wirksam ist dieser Gott? Daran nämlich sind alle übrigen "Weltregligionen" gescheitert, oder scheitern. Oder - werden eben zum Nihilismus oder zur bloßen praktischen Gesellschaftslehre (wie etwa der Konfutianismus). Oder zum Kantianismus (den Franz von Baader auf überzeugend klare Weise als Form des Nihilismus entlarvt). Oder zum Synkretismus oder Pantheismus, allesamt Formen des Nihilismus.

Der, wie derselbe Franz von Baader glasklar erkennt, in der menschlichen Trägheit (Acedia) - also in der Lebensführung, die zum Habitus wurde - begründet liegt. Womit wir bei der geistigen Struktur der im Sozialstaat heutiger Prägung (als Frucht jahrzehntelanger Einwirkung realer Lebensstrukturen) aufgewachsenen Generationen sind.




*Es gab in den 1920ern - erwähnt sei etwa noch der brillante Pater Paul Schebesta, oder Rolf Bernatzik - eine weltweit richtunggebende "Schule der Wiener Ethnologie". Nur einer der unüberbietbaren Geistessterne, die Österreich damals der Welt geschenkt hat, aus dessen Grab damals wirklich so etwas wie der geistige Leitstern der Welt stieg. Man denke an die Physik, an die Philosophie, an die Theologie, an die Kunst ... vielfach getragen (oder in Reaktion damit) von der Katholischen Kirche.




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