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Freitag, 15. August 2014

Totalerblindung (1)

Niemand wird ernsthaft bestreiten, daß das Heranwachsen eines Menschen in der Geschichte mit einem Heranwachsen seines Erkennens direkt zusammenhängt. Das heißt, daß dem Menschen notwendig immer Neues begegnet, sonst wächst er nicht in der Erkenntnis. Denn das Durchdringen der Welt zur Gewinnung von Kriterien ihres Handelns hängt mit der Zeit zusammen - nur im Nacheinander läßt sich die Eigenschaft eines Etwas, eines Objekts, ablösen.

Also ist die Grundhaltung des Erkennens die Haltung, die dem Neuen als "Oberen" begegnet. Und das heißt, daß nur die Ehrfurcht dem Oberen gegenüber an diesem Neuen, Übersteigenden teilhaben läßt. Denn nur durch Teilhabe ist es möglich, an dem Oberen insofern teilzunehmen, als es den eigenen Erkenntnisstand erweitert.

Teilhabe aber heißt, daß ich einer Wesenseigenschaft teilhaftig bin, die zu beurteilen ... ich NICHT vermag. Deshalb ist Vertrauen, deshalb ist Glaube (als "GELOBEN", von dort stammt es ja) die Grundvoraussetzung für Wachstum in der Erkenntnis.

Soferne diese Erkenntnis lebendig sein soll. Denn es gibt ein Erkennen, das im bloßen Formalen steckenbleibt und tot ist: In der Übernahme von Formalismen, in der Übernahme von auch logischem Vorgehen, das immer am Stande des Jetzt freilich stehenbleibt. Das nur der Glaube zur Wesentlichkeit im Wortsinn überschreiten könnte.

Aus dieser Verknüpfung wird klar, daß Erkennen zuerst im Glauben ankert, und dort als "jemandem glauben" bestimmt ist, weil es das Vertrauen braucht. Ein rein formales, quasi "intellektives" Erkennen bleibt tot, kann bestenfalls ein Ausscheiden von bereits Vernommenem sein.

Denn damit ist auch klar, daß es ohne eine Offenbarung des Höheren gar kein Wachstum gibt. Weder im Leben, noch im Erkennen der Vernunft. Aus sich selbst heraus vermag der Mensch nicht weiterzugehen. Daß es scheinbar doch jeder Mensch tut, auch in Zeiten des Autonomismus wie heute, hat lediglich mit der für jeden Menschen unvermeidlichen Gegebenheit zu tun, daß jeder einmal Kind war. Und dort, dort nimmt jeder Mensch ständig - im Glauben, im Vertrauen - am Höheren teil.

So begründet sich auch, daß jede Religion, egal welche, an einem "Jemandem glauben" hängt. Nur wenn man glaubt, daß über die Teilhabe an diesem Menschen, der etwas offenbart, das Höhere habbar wird, durch Teilhabe, kann man ja überhaupt von Religion sprechen. Die Frage für den Menschen ist also in jedem Fall nicht, OB jemand glaubt, sondern WEM er glaubt. Denn sie gründet immer in einer Frage nach einem Menschen, einer Person, der man glauben kann.

Damit ist auch klar, daß die Gretchenfrage des Christentums in der Person Jesu Christi liegt. Denn das Glauben an eine Person äfft auch jede Sekte, jedes Sektierertum nach. (Oder man denke an diverseste esoterische Methodiken und Heilslehren, wie etwa Reiki, die diese Personenanbindung sogar zentral stehen haben, und die Zentraltätigkeit der daran teilhabenden Personen dezitiert als "Medialisierung" gesehen wird.)

Aber nicht einfach an einem quasi "spirituellen" Christus, sondern dieser Christus muß real gegenwärtig sein. Nur so ist Heil überhaupt denkbar.

Das des Erfassens der Bedürftigkeit bedarf.

Wenn - wie heute sogar zum Erziehungsziel erklärt wird! - der Mensch nur in sich verankert sein soll, dann freilich setzt das (und auf die Ausrede, daß es gedanklich nicht so formuliert sei, pfeifen wir, denn das Denkgeräusch der heutigen Menschen ist meist die Luft nicht wert, die es trägt) auch voraus, daß er sich selbst zum Gott macht. Denn anders würde sich jeder Begriff von Gott auflösen, sinnlos werden. 

Erst wenn der Mensch sich seiner Bedürftigkeit bewußt wird, erst wenn er diese mit seinem Gemüt (!) erfaßt hat (und nicht nur "denkt"), als wirkliche Hinneigung zum Höheren, erst dann vermag er also in seiner Erkenntnis wirklich zu wachsen, weil sich damit auch seine Basis vergrößert, um es mit diesen banalen Begriffen vielleicht begreiflicher zu machen. Aber vor allem: Von  Religion läßt sich überhaupt nicht sprechen, wenn der Mensch nicht mit dem realen und freien Eingreifen (eines) Gottes rechnet - wirklich ist nur, was wirkt! Ein Gott der nicht wirkt, ist nicht wirklich, sondern bleibt ein Hirngespinst. Religion ist wesentlich Gnadenvermittlung, Heilsanstalt. Es gibt also keine individuelle Höherentwicklung - ohne Religion, und ohne geschenkhafte Gnade. (Es gibt nur eine höhere Stufe rationalistischer Verworrenheit.)

Der Unterschied zwischen dem Katholizismus und den anderen Religionen ist nicht dieses Prinzip, sondern ... die Realität. Nur der Katholizismus (den es ohne Kirche nicht gibt) muß (ja: darf das gar nicht, genau das ist ja sein Prinzip!) nicht die Wirklichkeit ausblenden, um "wirksam" zu sein, nur er sucht direkt die Wirklichkeit. In ausnahmslos JEDER anderen Religion, so sehr sie hier und dort und oft sogar viele Teilwahrheiten haben mögen, sind aber solche Wirklichkeitsausschließungen, Autonomismen und Selbstevokationen notwendig und tätig.

Und genau diese oft groteske Verfallenheit einzelner Kirchenglieder ist regelrecht wesensnotwendig - denn nur so ist klar, daß es Gott ist, der wirkt, der sich über die Sakramente sogar garantiert. Der fünftägige Achselhöhlenschweiß des Pfäffleins, oder die eitle Vertrotteltheit eines Mönchs ist genau der Verweis darauf. Denn darauf kommt es nicht an, ja im Gegenteil, die oft so verquälte Schiefgestalt der realen Kirche ist der Schlüssel zum Heilsgeheimnis selbst, in dem Gott in jede Zeit real und historisch spricht - und bei Verfallenheit der Kirche umso mehr die einzig mögliche Pforte zum Heil verlangt: Das Kreuz. Das auch und immer real ist, und genau deshalb umso mehr Frucht bringen kann, wenn es die Prüfung in Treue und Glauben - als Verdienstlichkeit! - so anspannt wie heute oft. Daß gerade heute, wo alles von der Welt Perfektion verlangt, sich alles auch politische Streben danach richtet, der Verfaßtheit der Menschen gemäß, die Welt immer perfekter zu machen, sich die Kirche dieser Perfektion so entzieht und den Menschen fordert indem sie ihn in seinem Autonomiestreben beim Wort nimmt, ihn gerade dadurch auf seine weltimmanente Impotenz verweist ... das zu deuten ist nicht mehr schwer. 

Wer sich im Dschungel verirrt hat, muß durch den Dschungel wieder hinaus, auch wenn es noch so mühsam ist. Es gibt keinen anderen Weg. Der Charakter der Gegenwart - träge bis ins Mark, ohnmächtig angesichts der eigenen Schwächen, der Kräfte deren man nicht Herr wird - ist freilich, sich aus diesem Dschungel wegzaubern, wegdenken oder durch Selbstmanipulation wegträumen und wegenthusiasmieren zu wollen.



Morgen Teil 2) Man kann sich seine Religion gar nicht aussuchen




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