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Dienstag, 21. Oktober 2014

Wann Kriege gerecht oder ungerecht sind (1)

Was aber ist nun ein gerechter Krieg, und gibt es einen ungerechten? Max Scheler versucht in "Genius des Krieges", eine Unterscheidung zu geben. Denn natürlich gibt es auch einen ungerechten Krieg.

Darunter fällt jeder Rassen- und Religionskrieg, aber auch jeder Kulturkrieg. Kein Staatsvolk hat das Recht, eine andere Kultur verändern zu wollen. Denn diese kann immer nur aus einem Gesamt-Volkswillen entstehen. Eine fremde Intervention, die die Kultur verändern wollte, würde sich also in eine Aporie begeben.

Wobei Volkswille keineswegs heißt, daß die Mehrheit eines Volkes um diesen Willen weiß. Er heißt vielmehr die Richtung der vitalen Kraft der Staatsbewohner, und hängt in seiner Ausgestaltung von der Staatsform ab, die sich dieses Volks gegeben hat bzw. hat.

Ebenfalls ungerecht ist jeder Präventivkrieg, weil es sittlich nicht gerechtfertigt ist, ältere Staaten gegenüber jungen zu bevorzugen. Selbst Bismarck befand den Präventivkrieg deshalb für ungerecht.

Von diesem aber scharf zu unterscheiden ist die "präventive Kriegserklärung". Dieser so eingeleitete Krieg setzt bei einem bereits vorhandenen Kriegswillen an, und es wäre ein schlichtes Gebot gegen die Sorgfaltspflicht einer Staatsführung, darauf zu warten, daß das auf den Krieg abzielende Nachbarland den Krieg eröffnet. Die präventive Kriegserklärung bestimmt nicht den Krieg, sondern nur den Zeitpunkt seines Ausbruchs. (Es wäre, so Scheler, 1914 blanker Unfug gewesen, die russische und französische Aufrüstung weiter abzuwarten.)

Denn keineswegs ist ein Verteidigungskrieg an sich gerechtfertigter, als ein Angriffskrieg, auch wenn das viele glauben. Abgesehen davon, daß es kaum je zu unterscheiden ist, wer einen Krieg wirklich begann. Mit dem "ersten Schuß" kommt man in der Regel  nicht weiter.

Ebenfalls ungerecht ist ein Krieg, der um der Interessen bestimmter Volksschichten oder -gruppen geführt wird. Die Kabinettskriege der Vergangenheit sind also schon deshalb zu einem guten Teil ungerecht, weil sie von Partialinteressen geprägt waren. Er korrumpiert den Gesamtwillen eines Volkes, und dieser ist Voraussetzung für einen gerechten Krieg. Wie er ermittelt wird, ergibt sich aus der Staatsform, so schwierig das auch sein mg, denn nicht zwangsläufig muß ein verfassungsmäßig rechtmäßig festgestellter Volkswille auch dem wahren Gemeinwillen eines Volkes entsprechen. Sei es, weil die faktische Verfassung dem faktischen Gemeinstreben nicht mehr entspricht (lebendige Staaten sind dynamische Gebilde!), oder weil Partikularinteressen einen übergroßen Einfluß auf Entscheidungen über den Volkswillen gewonnen haben. 

Das kann deshalb nicht primär juristisch, sondern nur moralisch und historisch festgestellt werden. "Popularität" oder gar Medienpräsenz hilft gleichfalls nicht weiter, um diese Frage zu klären. Ein typisches Beispiel ist dafür die Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Willen VOR dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, und die Reaktion des Volkes BEIM Ausbruch, wo sich zeigte, daß der Krieg tatsächlich Volkswille war.*



Morgen Teil 2) Wann ein Krieg gerecht ist



*Die Reaktion des Auslands, das sich das deutsche Volk von preußischem Kriegswahn in den Krieg "gezwungen" befand, ist deshalb, so Scheler, sogar verständlich. Denn insbesonders die Presse, die veröffentlichte Meinung, hatte sich vom Volkswillen zuvor weit entfernt.




*211014*