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Sonntag, 7. Dezember 2014

Alles mußte sehr schnell gehen (6)

Teil 6) Nachtrag - Ein tragischer Selbstläufermythos




Nun wurde und wird der (ohne jeden Zweifel) grandiose Sieg der weit unterlegenen deutschen 8. Armee bei Tannenberg bzw. Ostpreußen (über eine insgesamt dreifach überlegene russische Militärmacht) als Beweis der Richtigkeit der deutschen Strategie- und Militärdoktrin gewertet. Dabei wird (wie u. a. Gerhard P. Groß schreibt) völlig unter den Tisch gekehrt, daß Tannenberg fast das Gegenteil beweist. Denn hier war die deutsche Armee in der Defensive, und konnte auf eine hervorragende Logistik zurückgreifen. Zum Angriff auf die russische Südarmee und Samsonow wurden Soldaten mit den ostpreußischen Bahnen regelrecht bis in die Kampflinien hineingefahren. 

Diese Bedingungen aber fehlten genau der deutschen Doktrine, die davon ausging, daß sie im Feindesland kämpfe, und nur in der Rückhand taktisch und rasch (nach dem Süden, zu Samsonow) "verschob". Außerdem waren die Russen derartig sicher (und intrigant zerstritten), daß die weit unterlegenen Deutschen flüchteten (und nicht: umgruppierten), daß die Nordarmee unter (dem Deutschen) Rennenkampf auf bis heute nicht ganz nachvollziehbare Weise "nach Westen bummelte".

So aber hat ein aus politischen Gründen hochstilisierter Mythos - denn im Westen war man gescheitert, also brauchte man einen neuen Siegesmythos, um den Glauben an die Gewinnbarkeit wieder aufzurichten - eine gesamte strategische Ausrichtung für sakrosankt erklärt, die sich spätestens 1939/45 als fatal erweisen sollte. Und dennoch bis heute so massiv nachwirkt, daß die ganze Welt an einen Irrtum glaubt, der ein Hasardspiel ist. Weil man zwar einzelne Schlachten sehr gut damit gewinnen kann - aber jeden Krieg damit verliert.

Alle auch späteren Teilsiege (wie im Zweiten Weltkrieg, zu Anfang vor allem), die zweifellos (aus militärischer Sicht) oft grandios waren, wurden entsprechend verklärt, bewirkten aber eine fatale Selbstüber- und Feindesunterschätzung, und verhindern bis heute, daß die Fatalität der deutschen Militärdoktrine und Gesamtstrategie gesehen wird. Man klammert sich an die Überlegenheit des deutschen Militärs, und übersieht, daß sie in einzelnen Strohfeuern ihre Kraft verpulverte. Die hell leuchten konnten, aber genau damit nie in eine sinnvolle Gesamtstrategie eines Volkes einmünden oder diese gar begründen konnten.

Genau das erzählt die Geschichte der Kriege seit mehr als einem Jahrhundert.




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