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Dienstag, 21. April 2015

Befreiungsbewegung Islam (2)

Teil 2) Das Gesicht des Paradieses - sowie: Aspekte und Fußnoten 




Und in diese apokalyptische Stimmung hinein, stieg nun der Islam auf. Und er bot nicht nur die Perspektive der Befreiung, zumindest wurde das auf ihn projeziert, sondern auch eine feste, ganz einfache Lebensordnung. Die noch dazu in vielem ja auf ohnehin Bekanntes zurückgriff. Aber gerade in Spannungszonen Erleichterungen brachte. Wie in Ehefragen, den Fragen des Geschlechterverhältnisses***, Rechtsfragen (immerhin hatte nun jeder Zugang zum Recht), und der Entmachtung der Priester (über die Sakramentenfrage). Der Islam bot sogar nicht nur Simplizität und Sicherheit, sondern wer ihm beitrat wurde Teil einer mächtigen, ja (der bisherigen Ordnung) überlegenen neuen Ordnung.**** Die auf erste gleich einmal das komplizierte, drückende Steuersystem durch ein simples Tributsystem (für Nichtmuslime) ersetzte, das sehr effektiv die Zentralmacht des Kalifen stärkte.

Insgesamt blieb deshalb jahrhundertelang den Unterworfenen viel Interpretationsspielraum. Umso mehr, als die neuen Herrscher schon rein zahlenmäßig, aber auch organisatorisch gar nicht in der Lage waren, die eroberten Gebiete wirklich zu kontrollieren, blieben alte Strukturen aufrecht, und entstand für die Unterworfenen Freiraum, in dem sie auch an den überlieferten religiösen Bräuchen einfach festhalten konnten. Weshalb sich in Syrien oder Mesopotamien auch das Christentum, mit ihm aber auch die griechisch-römische Kultur und Zivilisation, lange unverändert hielt. Nur der Deckmantel war verändert. Der eigentliche Islam durchdrang den Alltag erst allmählich. Und er tat es mit dem (schon rein finanziell ermöglichten) Ansteigen der Macht der Zentrale.

So entstand die islamische Welt, die in den ersten (zentralistischen) Kalifaten aus erwähnten Gründen auch tatsächlich zu blühen vermochte, und enorme Attraktivität gewann. Während AUFGRUND des Islam, der ja einen Kulturraum zerschlug, die nunmehr abgetrennten Randteile Nord- und Mitteleuropa in Primitivität und Armut fiel. Aber Kriege (die Muslime gewannen ja die ersten und entscheidenden Schlachten) fanden zwischen für sich bestehenden Heeren statt, nicht gegen Völker. Vor dem erwähnten Hintergrund ist das auch gar nicht weiter verwunderlich. Für viele nunmehrigen Bewohner einer islamischen Welt, für die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Technik, bedeutete die neue Epoche erst einmal das Aufatmen des Abschüttelns von sehr realen Erstarrungen und Bedrückungen.

Völker, Menschen sahen oder sehen Anziehungskräfte anders, und recht praktisch. Der Orient wurde für Europas Völker zum - fernen, abgetrennten, unbekannten - Mythos und Märchenland, zum Paradies irdischer Wohlgenüsse und Wissenschaft, der ihre eigene karge, ja primitive Lebensführung weit hinterherhinkte. Die islamische Welt stand in ihren ersten drei, vier Jahrhunderten bis zum 10. Jhd., als ihre Expansion durch Franken und Normannen gestoppt wurde, in Teilbereichen aber noch bis ins 16., 17. Jhd., in Wohlstand und Zivilisationsniveau dem von Süden und Osten schwer bedrängten (Rest-)Europa bald so gegenüber, wie die heutige westlich-industrialisierte Welt den ärmsten Entwicklungsländern. Sie war intellektuell wie materiell hoffnungslos überlegen. Eigentlich ist es ein Wunder, daß Westeuropa standhielt, was nur über jenes Christentum verstehbar wird, das hier einen todernsten, existentiellen Kampf gegen eine Häresie führte.

Warum sich der Islam in den Osten, also über das römische Reich hinaus mit derselben Geschwindigkeit ausbreitete, obwohl er dort in den mesopotamischen, persischen, afghanischen Völkern, bis an die Grenzen Indiens, andere soziale Bedingungen vorfand? Diese Völker, alle, hatten (und haben) ein sehr spezifisches Verhältnis zu Macht und Religion: ihre traditionelle Haltung konjugiert beides zu einem. (Diesen Punkt - die Rolle der Despotie in orientalischen Gesellschaften - erhellt die hier schon mehrfach zitierte Untersuchung von Wittfogel.) Was bis ins Herrschaftsverständnis von Friedrich II. dem Staufer sowie in die Renaissance wiederhallt. Wenn nun ein Herrscher durch Kriegserfolg an die Macht kommt, wird auch seine Religion angenommen, denn das ist nicht trennbar. 

Aus der Konstellation "gottänlicher/göttlicher Zentralherrscher" und "Volk" (ohne intermittierende Adelsschichte; die wird durch einen abhängigen Beamtenadel ersetzt) ergibt sich auch ein weit weniger individualisiertes Volk, das zur Masse wird, kollektiv reagiert. (Das war schon den alten Griechen Problem.) Von Alexander dem Großen (4. Jhd. v. Chr.) bis Mohammed (7. Jhd. n. Chr.) hatte Europa nach Asien gewirkt, vor allem die dort herrschende Schichte dominiert. Dann schwappte die Welle zurück. Und wurde vor allem durch die enormen Zuströme asiatischer Steppenvölker (v. a. Mongolen und Turkvölker) genährt, die allesamt eines kennzeichnete: Sie waren wilde Kämpfer, die nie durch kulturell verwurzelte Institutionalisierungen und Seßhaftigkeit in ihrer schon ganz natürlich vorgegebenen Brauchbarkeit als Eroberer gehemmt wurden.



Morgen Teil 3) Perspektiven



²Das Erhellungspotential alleine dieses Punktes ist so enorm, daß es schon ausreicht, den Großteil des Islam, ja menschlichen Handelns, und der Geschichte, speziell Europas in der Neuzeit, zu verstehen. Denn darin findet sich die gesamte Haltung der Schöpfung und dem Menschen gegenüber grundgelegt. Im Auseinanderreißen von Welt und Geist, Mensch und Gott, sinkt die Welt ins (manichäisch) Wertlose, Eigengesetzliche, nur mehr "Materielle", während das Heil, das Verhältnis des Menschen zu Gott, wie eine Wolke über allem schwebt, aber keine direkte Verbindung mehr findet. Die Welt wird damit ihrer Heiligkeit ALS ANALOGIE, als Gleichnis Gottes, sodaß die Behandlung des einen die Beziehung zum anderen affiziert, der eigentlichen Grundlage der religiösen Haltung der Menschen, entkleidet. Nicht zuletzt der Kapitalismus, wie er sich entwickelte, geht auf diese in Islam wie Protestantismus neu definierte Inkarnationsfrage zurück. 

*Luther wandte sich ja auch massiv gegen die Bauernaufstände und förderte ihre brutale Niederschlagung.

**Der Zentralismus Ostroms war ja die Reaktion darauf, der Versuch, dieses Auseinanderfallen aufzuhalten.

³Deshalb war es tatsächlich DER fundamentale abendländische Akt, als Schöpfungsakt erster Güte, als Papst Leo III. diesen Frankenkönig Karl überrumpelte, und ihm im Weihnachtshochamt des Jahres 800 überraschend eine Kaiserkrone aufs Haupt drückte. Hier erst wurde - unter dem Druck des Islam - Europa eine Ordnung wiedergegeben, die als Kultur Europa bis heute geprägt weil gestaltet hat.

***Dieser Aspekt wird gemeiniglich übersehen und weit unterschätzt. Es kam im Rom der Kaiserzeit zu einer Emanzipation der Frauen, einer Auflösung der traditionellen Geschlechterverhältnisse, die mit den Zuständen der Gegenwart direkt vergleichbar sind. Während die Rolle der Männer, etwa durch den Wegfall des Militärdienstes (der zunehmend von Zuwanderern, Fremdvölkern erfüllt wurde), der Aufweichung und Auflösung ihrer Dominanz, der Relativierung der Rolle der Väter, der Verweichlichung, der Auflösung sexueller Grenzen, etc. etc., völlig unbestimmt wurde. Die Wurzel jeder Identität, die geschlechtliche Identität, verdunstete genauso, wie es die Religion und damit die Sicherheit des Handelns in der Welt tat.

***Denn er trat mit genau jener Haltung auf, die schon im Arianismus zu beobachten ist: Er war eine Bewegung der "Snobs", und wer ihm beitrat, durfte nun auch Snob, allen überlegen sein. Eine ähnliche Haltung, übrigens, wie sie den sogenannten "Inklusivismus" von Religionen kennzeichnet, der bewirkt, daß eine Religion die Elemente der anderen als "in sich enthalten" bezeichnet, und daraus Überlegenheit (auch in nomineller Unterlegenheit) konstituiert. 





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