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Freitag, 3. April 2015

Jeder ist Stellvertreter


"Die Idee der Repräsentation ist auch in menschlichen Verhältnissen mannigfach vorgebildet und anerkannt. So faßt ein Volk in seinem Fürsten oder seinem Helden sich selbst zusammen, schaut in ihrer Person als der Blüte und Krone seines Lebens und seiner Kraft sich selber an, und feiert seine Taten als seine eigenen. 

Auch die Berechtigung der stellvertretenden Übernahme einer am Gesetze verwirkten Strafe  ist vom allgemein menschlichen Bewußtsein anerkannt. 

Niemand von uns nimmt Anstoß an der dem bekannten Gedichte, welches davon den Namen führt, zu Grunde liegenden Idee der Bürgschaft. Wir finden aber gerade hier das treffendste Analogon zu dem Verhalten des, der von sich gesagt hat: Niemand hat eine größere Liebe, denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde (Joh 15,13) 

Endlich erblicken wir auch ein Fortwirken der Schuld in bestimmten Familien und Stämmen, bis sie durch den Tod eines Unschuldigen aus der Genossenschaft gesühnt erscheint. So ist schon oft der unschuldige Ludwig XVI.  [1793 in der französischen Revolution geköpft; Anm.] als ein Opferlamm* bezeichnet worden, welches die Sünden seiner Vorfahren getragen und gebüßet hat. So ruht die erschütternde Wirkung des Sophokleischen Dramas gerade darin, daß der Tod der dem göttlichen Gebote gehorsamen Antigone als Sühnung des alten, afu dem Hause des Laios lastenden Frevels auftritt."


Friedrich Adolph Philippi (1809-1882)


*Sühne ist die freie Annahme eines Leidens nicht von dem Schuldigen selbst, sondern von einem Anderen, Unschuldigen, der aber in irgendeiner Beziehung als Eins mit ihm gilt. Die der Gerechtigkeit genugtuende Kraft der Sühne liegt nicht wie bei der Strafe in dem Leiden als solchem, sondern gerade in der Tat, in dem Gehorsam, in dem Opfer. Dadurch wird der Mißklang, den die Sünde im sittlichen Reich gebracht hat, wieder in höheren Einklang aufgelöst. 

Weil gut und gerecht zu handeln in jedem Augenblick nur am Entgegentretenden möglich, aber das Einzige ist, worin der Mensch gut sein kann, gerät er jeden Augenblick im besten Fall "pari" mit der Aufgabe, fehlt aber defacto immer, hängt also immer nach, und kommt nie in "Überschuß" an Gutem. Somit braucht er einen anderen, der ihn erlöst.




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