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Sonntag, 26. April 2015

Wörtlich geglaubt

Die wirkliche Religion eines Menschen läßt sich nicht einfach per ausdrücklichem Befehl umstellen, wie man das Programm einer Waschmaschinen umstellt. Sie wirken nach, sie tragen das, was im ausgesprochenen Wort einen neuen Ausdruck gefunden haben mag. Doch das wirkliche Handeln und Glauben sitzt viel tiefer.

So entstand bei vielen Völkern, die "zum Christentum bekehrt" worden waren, wie bei den Friesen, eine bemerkenswerte Mischung aus substantiellem altem Glauben und Aberglauben - und neuen Formeln. Das hat sich etwa bei diesem höchst widerständigen, eigenwilligen Nordvölklein darin ausgedrückt, daß immer wieder einem Verstorbenen ein (lebendiger) Kleriker mit ins Grab gegeben wurde. Der sollte ihm dort den Weg nach Walhall weisen. Man nahm den Priester schlicht beim Wort.

Das Christentum wurde - auch bei den Sachsen war es ähnlich - nur zum neuen Rahmen, in dem der alte Aberglaube, der tief im Welterleben verankert war, ausgelebt wurde. Ähnliche Berichte gibt es noch aus jüngster Zeit von der katholischen Kirche aus Mittelamerika, wo der katholische rituelle Rahmen häufig nur eine andere Form für alten, ungebrochenen Aberglauben, wie er schon aus der Maya-Zeit bekannt ist, darstellt. Wenn z. B. die Marienverehrung nur neue Form für alte Kulte für weibliche Gottheiten wird.

Auf dieselbe Weise haben gerade in Norddeutschland Hexen-, Zauber- und Spukglaube überlebt. Sie haben aus dem neuen Glaubenskleid sogar Rechtfertigungssysteme abgeleitet.

Was ein Mensch wirklich glaubt, und was er sagt, daß er glaube, sind meist zwei sehr verschiedene Paar Schuhe. Sein Handeln, sein Bewegen, als steten Ausdruck des wahrgenommenen Weltrhythmus, das erzählt, auf welchen Beinen jemand wirklich steht. Ein explizit zu nennendes Glaubenssystem ist oft nicht mehr als ein Kompromiss reiner Sophistik, geschickter Wortstellung, mit dem man sich einer Lesart beugt, um Streit und Ausgeschlossenheit zu vermeiden, oder Ansehen zu erringen. Insofern freilich nicht ohne Wert, weil er ein Ziel definiert, das eines Tages auch das Handeln bestimmt. Denn der Kult, der Bewegungsrhythmus (im weitesten Sinn), als Präformation der Denkgrundlagen, entscheidet letztlich, was man (nach)denkt, und was man zustimmend glaubt. Lex orandi - lex credendi. Das Fleisch, über Gewohnheit geprägt wie zu prägen, kann da schon mal hinterherhinken.




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