Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 7. Mai 2015

Umfassendere Sichtweisen (1)

Der VdZ ist keineswegs der Auffassung, daß der hier in drei Teilen angezeigte Film "Der zweite 30jährige Krieg" eine endgültige und wahre Interpretation der Geschehnisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts - mit zwei Weltkriegen - darstellt. Die Wirklichkeit war (und ist) viel komplexer. Die gesamtkulturelle Entwicklung Europas ist viel zu wenig eingearbeitet, und teilweise merkt man einen Zugang zur Geschichte, der einfach nicht hält. So der zu meinen, bestimmte abgrenzbare Akte, oder gar Dokumente, würden wirkliches Geschehen erklären. Worte sind gerade in der Geschichte oft sehr relativ, meist grenzenlos überbewertet, und man muß in der Betrachtung wissen, was wie zu lesen ist. Sodaß eine Zielgerichtetheit angemutet wird, die gar nicht da war und auch heute nicht da ist. Umgekehrt sind Dokumente durchaus von Bedeutung. Wenn man sie einordnen und lesen kann.

Die Wirklichkeit ist nur aus einer - nur nachträglich, mit Abstand möglichen - Gesamtbewegung des Seins erkennbar. Das führt im gegenständlichen Film zu einer zu optimistischen Bewertung der Rolle Deutschlands, wenn das auch verständlich sein mag, weil umgekehrt sehr viel Last auf Deutschland - als Verlierer - geladen wurde, die einfach der Wahrheit nicht gerecht wird.

Aber zum einen ist der Ansatz prinzipiell nicht häufig, dabei gut und richtig, diese Ereignisse aus größeren historischen und global-politischen Ansätzen heraus verstehen zu wollen, die in dem Fall sehr richtig bis in den 30jährigen Krieg 1618 bis 1648 zurückgreifen (und natürlich auch dort nicht enden). Und zum zweiten enthält die Dokumentation durchaus richtige Gesichtspunkte, die man - wie der VdZ erst jüngst wieder in Gesprächen erfahren hat - meist nicht einmal kennt. Zu festgefressen hat sich eine Versimplifizierung in der alltäglichen Meinung, die aber weder etwas erklärt, noch etwas verstehen läßt, noch richtig ist. Man kann aber die Gegenwart und sich selbst (!) einfach nicht verstehen, wenn man die Geschichte, die Ursprünge nicht kennt. Sie geben auch dem Heute ihre Richtung und Dynamik. Und ganz sicher richtig ist auch (die tatsächlich in England geläufigere Sicht), daß der 1. und der 2. Weltkrieg gar nicht trennbar sind, sondern eine historische Gesamtbewegung darstellen.

Umgekehrt wagt heute kaum jemand eine noch viel umgreifendere Frage zu stellen. Die in ihrer Folge die Frage erhebt, was dieses Deutschland überhaupt ... sein soll? Ob nicht auch die Gründung "Deutschlands" schon eine Aporie war, weil sie eine Scheingeschichte um ein virtuelles "Volk" häkelte. In den Augen des VdZ aber ist genau das die entscheidende Frage, erst von dort her ließe sich auch die Gegenwart erhellen. Und das ist nur eines der vielen extern verhängten wie internalisierten Denkverbote, mit denen wir hierzulande zu kämpfen haben, und die uns gar nicht in die Lage versetzen, unser Heute weil unser Gestern zu verstehen.

Vieles ist in dem Film auch wieder sehr gut und richtig, ja bemerkenswert richtig in den Zusammenhängen dargestellt. So die Evolvierung des 2. aus dem 1. Weltkrieg, und in zahlreichen Fakten, die man oft vergißt oder noch öfter - wenn man sich auf den üblichen schulischen Bildungsgang verläßt - gar nicht kennt. Zumindest sind es Wirkfaktoren.

Dafür ist die erzählte Geschichte über den Anschluß Österreichs an Deutschland 1938 mehr als problematisch. Wenn auch Österreich ein ähnlich seltsamer Kunstbegriff ist wie Deutschland es damals war, ist Dollfuß sicher anders einzuschätzen als im Film, wo man geradezu den Eindruck gewinnen könnte, der deutsche Einmarsch hätte eine Diktatur in Österreich befreit. Daß der schwache österreichische Kanzler Schuschnigg, Nachfolger von Dollfuß, sehr (!) differenziert zu betrachten ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber die politische, nicht zuletzt und am effektivsten wirtschaftliche Blockade Deutschlands gegen Österreich, das bis heute zwei Drittel seines Außenhandels mit Deutschland abwickelt, nicht einmal zu erwähnen ist auch eine bemerkenswerte Reduktion. Dabei ließe sich das erst aus sehr frühen und realen Intentionen schließen.

Bemerkenswert: Der Film sagt richtig, daß der Nationalsozialismus sich nie als traditionelle Bewegung verstand, sondern immer als eine Bewegung der Revolution.

Aber es ist auch für das heutige Verstehen der Konflikte in und um die Ukraine nicht unwesentlich, die Intentionen Polens etwas mehr in ihren historischen Zusammenhängen zu sehen. Denn Polen ist alles andere als ein simples "Opfer", welche Rolle es oft genug geschickt nützt. Es war gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts recht aggressiv bemüht, sich als Staat zu definieren, und hat es dabei stets gut verstanden, seine außenpolitischen Intentionen als existentielle Notgriffe eines bedrängten Volkes verstanden zu wissen. Ist das heute anders? In Gesprächen mit Polen heute kann man so manche Überraschung erleben. So, daß kaum ein Pole sich wagt seine wirkliche Meinung zur Frage zu äußern, ob denn die Westukraine überhaupt "Ukraine" sei - und nicht "Polen". Die Situation der heutigen Ukraine mit der Polens vor dem 2. Weltkrieg zu vergleichen ist sehr legitim.

Wer weiß überhaupt - und hier steht der Begriff "Wissen" am Prüfstand -  daß die Sowjetunion unter Stalin ab 1939 nicht nur Ostpolen, sondern nach und nach Finnland, die baltischen Staaten und die Bukowina bzw. Rumänien angriff und besetzte, und ein Schreckensregime aufrichtete? Es ist historisch unbestritten, daß Stalin ab 1940 einen Angriff auf Deutschland vorbereitete, um einem Gegenangriff zuvorzukommen. Sein Kalkül war ohnehin, daß sich Westeuropa in einem Krieg ausbluten solle, um dann freie Hand zu erhalten. Das erklärt den Nichtangriffspakt mit Deutschland von 1939. Eine nur auf den ersten Blick verwirrende Variante der britisch-französischen Politik, die Rußland an sich zu binden versuchte, um Deutschland durch unentwegt drohenden Mehrfrontenkrieg an die Wand zu spielen. Vor 1914 hatte Frankreich die russische Aufrüstung nur aus diesem Grund finanziert. Die deutsche Generalstrategie - seit Friedrich II. Doktrine - war keineswegs aus simplen Gründen der Aggressivität geboren, sie nahm Bezug auf Realitäten europäischer Politik.

Daß Deutschland 1941 Rußland im Angriff nur zuvorkam, gilt gerade in sowjetischen Historikersichten als gesichert. Hierzulande wird es immer noch kaum erwähnt. Hitler war selbst über die nominelle Überlegenheit der Sowjets überrascht. Mit so vielen Panzern und Flugzeugen hatte nicht einmal die deutsche Aufklärung gerechnet. Und daß so manches, was der deutschen Wehrmacht als Kriegsverbrechen angelastet wird erst dadurch zu einem solchen wurde, indem man die Kriterien einfach neu definiert - mit neuen Kriterien universalisierte, von den Fakten trennte, sondern moralisierte.

Aber was definiert ein Volk denn? Wirklich nur die - scheinbar! - gleiche Sprache? Oder gar rassische Merkmale? Da darf kurz gehüstelt werden. Man nehme doch den Sprachraum: Als geistiger Raum verstanden (und nur so kann er verstanden werden) mag zwischen dem Raum südlich des Weißwurstäquators durchaus noch einheitlich sein, dann aber dann bricht es. Der Österreicher weiß heute ja gar nicht mehr, was ihn vom Niedersachsen oder Hamburger oder Berliner kulturell deutlich unterscheidet. Frucht der zweitwirklichen Dimension, der dem Volksbegriff seit dem 19. Jahrhundert umgehängt wurde.

Der Begriff "Reich" wäre zudem zu klären, denn er war nicht einfach ein Aufgreifen historischer Legitimationen und Wurzeln. Und für die Entwicklungen in Danzig sind die Erinnerungen des damaligen Völkerrechtskommissars Carl J. Burckhardt gewiß erhellender. Und das Geschichterl über die "Förderung des Mittelstands durch die Nationalsozialisten" ist erheiternd dumm. Zumal - wieder richtig - von einem Fünfjahresplan erzählt wird. Etatismus, mehr war das nicht, der sich halt Reste freier Strukturen zunutze gemacht hat. Und die Unternehmer haben sich gerne verführen lassen, so wie fast alle Menschen sich so gerne verführen lassen.

Aber zumindest sollten die Aussagen der Produktion zumindest einmal gehört sein. Man  muß sie kennen, will man beginnen, zu verstehen. So nebenbei: Der dritte Teil wiederholt leider zu Anfang einiges aus dem zweiten Teil, man lasse sich davon nicht irritieren.


Morgen Teil 2) Der zweite 30jährige Krieg - Film Teil 1




***