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Mittwoch, 3. Juni 2015

Folgen der Umgebungsveränderung

Im 38. Buch des Livius finden sich jene Passagen, die Voktor Hehn in "Kulturpflanzen und Haustiere - in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa" zitiert. Livius weist darin auf den Umstand hin, daß jede Pflanze, jedes Tier, die in eine Umgebung versetzt werden, die nicht ihr Ursprung ist, entartet. Denn die Umgebung in Boden und Klima wirken mächtig, und unterdrücken viele vererbte Eigenschaften. "Alles entwickelt sich vollkommener an dem Orte seines Ursprungs; bei Versetzng auf einen fremden Boden verwandelt es seine Natur nach den Stoffen, die es aus diesem aufnimmt," schreibt Livius. 

Und führt Beispiele an, wie sich auch Menschen in anderen Umgebungen verändern. Meist nämlich zu ihrem Nachteil. Livius verweist nämlich vor allem auf den Verlust schöpferischer Lebenskraft durch einen Wechsel zu entgegenkommenderen, angenehmeren Bedingungen. Die selbst ursprünglich starke, mutige Völker durch Verweichlichung in ihrer Substanz angreift, vor allem aber träge und geistlos macht. 

Jede Landschaft hat und zeugt einen Charakter, sodaß sich das Menschsein auf je eigene Weise entfalten muß. Dieser Charakter erhält in neuer Umgebung aber andere Stoffe als jene, auf die er hinorientiert war. Und in die hinein er nunmehr mitgebrachte, "fremde" Neigungen wirklichen muß. Ein "neutrales, abstraktes Menschsein" gibt es eben nicht. Alles Leben, ja alles irdische Sein ist auf "unauflösbare Ehe" angelegt.

Hehn stellt deshalb die Frage in den Raum, ob nicht viele "Veredelungen", die die europäische Kultur an importierten organischen Lebensformen vorgenommen hat, um eine bestimmte "Fruchttrage" zu verbessern, in Wahrheit deren Organismus zugefügte Erkrankungen sind. In der nur der daraus erzielbare Fruchtgenuß im Mittelpunkt steht. Am deutlichsten wird das bei Heilpflanzen, die stets in ihrem Ursprungsland kräftiger wirken. Es gab immer ein unendlich komplexes Ursachen- und Reaktionengefüge, das diese oder jene Lebensform genau hier und dort ausdifferenzieren ließ, und jede Eigenschaft ist eine Antwort auf genau diese Bedingungen.*

Obzwar das beim Menschen gewiß etwas anders ist. Weil er zu abstrahieren, sich zu sich verhalten, und auch seinen Leib über Rhythmen (Lebensvollzug als Tanz, als Gefüge von Rhythmen, das den Menschen über die Gewohnheit durchwest; nichts gibt aber dieses Gefüge mehr vor als Klima und Landschaft) zu prägen, zu gestalten vermag. Aber es braucht je nach der Stärke der Ursprungsprägung oft sehr viel Zeit, bei Wanderungen von Völkern sogar viele Generationen. Wenn sie denn dazu bereit sind und diese Bereitschaft aufrechthalten. Und nicht in neuen Lebensräumen lediglich konservierte alte Neigungen befriedigen wollen, wie es der Puritanismus der Nordamerikaner (der aus seinem Wesen heraus nicht nur wurzellos ist, sondern Wurzeln ablehnt; und damit in Konflikt mit der menschlichen Natur gerät, die ihn immer irgendwie zu überwältigen droht, weil immer nach Wurzeln strebt**) tat und tut.

Aber noch einen Aspekt erwäht Hehn. Daß nämlich der Mittelmeerraum in gewissermaßen "vorzivilisatorischen Zeiten" mehrheitlich bewaldet und eher arm an Arten war. Erst die menschlichen Zivilisation hat ihn in einen "immergrünen Garten" verwandelt, indem sie die Bäume verdrängte, und durch Gärten und Anbauflächen ersetzte. Der beobachtbare Rückfall in trockene, karge Landschaften hat somit sehr wahrscheinlich mit dem Verfall der mittelmeerischen Kultur zu tun. 



*Jakob von Uexküll hat sein Lebenswerk der Beobachtung gewidmet, daß sogar die Rezeptionsfähigkeit eines Lebewesens auf diese Umwelt abgestimmt ist. Anderes, dieser Umwelt Fremdes, nimmt ein Lebewesen nicht einmal wahr, und ordnet Begegnendes immer in die Kategorienwelt seiner angestammten Lebenswelt ein.

**Eine Untersuchung über die Zusammenhänge des Ahnenkults, seiner Form, und der Art der Verwurzelung von Menschen wäre also höchst lohnenswert. Eine träge, satte Gesellschaft wird dabei tendentiell jeden Ahnenkult ablegen, die Ahnen vergessen, ihre Herkunft vermutlich aber auf virtuelle Weise sogar verstärken. So, wie die Rolle des Internet heute Symptom der Wurzellosigkeit ist. Und entsprechend sind dann auch die "Probleme", die diese Generation zu "lösen" sucht - eine Aneinanderreihung von Abstraktionen, die über Virtualität "verdinglicht" werden sollen. 

Der "Klimawandel", aber überhaupt die seit Jahrzehnten überbordenden Weltbedrohungsszenarien, die die völlig richtig gefühlte existentielle Bedrohung durch Wurzellosigkeit ausdrücken, illustrieren das. Ja mehr noch, solche Weltbedrohungsszenarien (man denken nur an den Malthusianismus!) entwickelten ihre Rolle ab dem Moment so konkret, als die sozialen Gefüge Europas auseinanderbrachen, spätestens zu Beginn des 19. Jhds. Und sie gingen einher mit einer Ablehnung des Erbes der Vorfahren (Materialismus, Sozialismus, Multikulti-Ideologie, bis zum Genderismus) einerseits, bei gleichzeitiger Virtualisierung (Nationalismus, Rassismus) ihrer Rolle als gleichlaufende Gegenbewegung auf derselben Ebene anderseits. 

Mittlerweile haben sich selbst allererste Verwurzelungen wie die Religion bereits virtualisiert, wie sie die Entwickungen des Kults in der Katholischen Kirche seit den 1960er-Jahren mittlerweile sogar schon zum Erbe zementiert haben, die virtuelle "Erneuerungsbewegungen" zur logischen Gegenbewegung haben. Und so den Katholizismus als Kraft der Lebensform definitiv auflösen, weil sie ihn auf dieselbe virtuelle Ebene mit den das Abendland überschwemmenden Religionsderivaten der Welt stellen, und die eigentliche Religiosität ins Irrationale, Chthonische, Dämonische abdrängen, sie regelrecht unerkennbar und zufällig machen. Das genau ist Barbarismus.



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