Dieses Blog durchsuchen

Montag, 3. August 2015

Wenn Bettler an die Türe kommen

Auch die Agenda Austria, die sich als neoliberaler Thinktank versteht, und allmählich zu einer Art "Schattenregierung" wurde, weil man den offiziellen Kontrollinstrumentarien des Staates nicht genug vertraut, erwähnt gerne Schweden und die Schweiz als Beispiele für gelungene Reformen. Dort wurde nämlich in den letzten Jahren nicht nur die Staatsverschuldung gesenkt, sondern auch das Wirtschaftswachstum war höher, als etwa in Österreich.²

Was aber gerne dabei vergessen und noch öfter bewußt verschwiegen wird ist, und es hat seine Relevanz auch bei der Betrachtung des Falls von Griechenland, daß diese beiden Länder nicht nur klein (also in der Größenordnung von Österreich, und auch von Griechenland) sind, sodaß immer ein gewisses "beggar thy neighbour" möglich ist (also ein gewisses Überwälzen von Nachteilen auf Nachbarn oder hier: die Mehrheit der EU-Mitglieder), sondern daß diese Staaten eine eigene Währung haben.

Schweden etwa hat mit Beginn der Finanzkrise vor sieben, acht Jahren, seine Währung gegenüber dem Euro inerhalb eines Jahres um 10 % abgewertet. Dadurch war die Krone fast unterbewertet, und hat damit gereizt wie Desdemona im Nachthemd, sodaß enorm viel Kapital, das aus Euro und Dollar ja flüchten wollte, ins Land floß. So konnten Investitionen wie auch Importe alleine aus Devisen finanziert werden, und zugleich sanken die Exportpreise, was Auslandsinvestitionen noch weiter begünstigte - man baute noch mehr Fabriken, die ohnehin geringe Arbeitslosigkeit sank noch weiter, und damit stieg wiederum die Steuerleistung.

Denn die Frage Arbeitslose und Sozialleistungen oder Beschäftigung und Steueraufkommen wirkt ja im Doppelschnitt -  nicht nur hier weniger Ausgaben, sondern stattdessen dort zusätzliche Einnahmen. Aus -100 werden schlagartig +100. Dem Staat Schweden geht es heute prächtig. Seine Verschuldung sinkt immer noch, das Budget erzielt Überschüsse, die Wirtschaft floriert.

Natürlich hat Schweden tatsächlich Staats-Sanierungsschritte gesetzt, etwa durch die interessante gleitende Pensionsregelung. Die die Höhe der Pension bzw. den Eintritt in sie von der aus der statistischen durchschnittlichen Lebensdauer bestimmten zu erwartenden Zahl der Jahre abhängig macht, die sie genossen werden wird. Und auch im Sozialsystem soll es zu Einschnitten gekommen sein.

Aber dazu war Schweden auch schon nur in der Lage, weil die erwähnten Rahmenbedingungen, die von der Währungshoheit und der Abwertung der Krone ausgingen, ein günstiges Wirtschaftsklima auslösten. Es wirkt also immer ein wenig wie zynische Leutverdepperung, wenn in Österreich Schweden als Vorbild zitiert wird.

Auch die Schweiz hat diese Freiheit nie aufgegeben, ihre Lage durch die Möglichkeiten einer eigenen Währung zumindest stark zu beeinflussen. Der Franken verhielt sich zwar umgekehrt, er wurde durch die hohe Nachfrage nach ihm stark aufgewertet, was wieder eigene Probleme (Exportverteuerungen, aber auch Importverbilligungen, was natürlich auch die Arbeitslosigkeit etwas erhöhte) nach sich zog.

Aber auch diese Aufwertung war bedingt durch eine Schweiz, die Zielort von Fluchtkapital war, das nun entsprechend billig dem Land zur Verfügung stand. Und man hat auch durch die starke Internationalisierung der Eidgenossenschaft, aber auch dank der Rolle die hochwertige Produkte* dort spielen, die Probleme eines teuren Franken phantastisch bewältigt. Die Schweiz war sogar das erste Land, das "Negativzinsen" einführte, unter denen Einleger dafür bezahlen, daß sie Geld auf die Bank tragen können. Was zeigt, wie viel Vertrauen die Welt auf die Leistungsadäquanz der Schweizer Währung hat. Und daß die Schweiz zusätzliches Geld eigentlich gar nicht will und schon gar nicht braucht.

Das muß eben das Kriterium einer Währung sein, und danach wird sie sich immer langfristig orientieren in ihrem Wert: Maß der Leistungsadäquanz von Geld. Österreich kann sich hier nicht "als Österreich" bewerten lassen, sondern muß akzeptieren, daß dieser Gesamtwährungsraum eine quasi "durchschnittliche" Leistungsadäquanz im Währungswert ausdrückt. Damit hat sich Österreich mit dem EU-Beitritt, mit dem der Währungswechsel bereits fixiert war, jeder Möglichkeit begeben, seine Stellung zu den Staaten und Wirtschaften der Welt der situativ-realistischen Leistungsfähigkeit des Landes - nach oben oder nach unten - anzupassen, einerseits, und anderseits, wie Schweden, Situationen klug auszunützen, auch um sich einmal zu stärken. So, wie es ja Jahrzehnte lang passiert ist, als Österreich ein klein wenig zumindest den großen deutschen Nachbarn abzockte. Nur hat der keinen "Solidarzuschlag" wie bei der DDR eingehoben, sondern es sich einfach so vom kleinen Bruder gefallen lassen, die Last gutmütig aus der Portokassa bezahlt. 

Aber diesen Nachbarn haben wir nicht mehr. Heute stehen im Gegenteil genug Länder bei uns an der Tür, um uns anzubetteln.



²Österreich ist mit einer derzeitigen (2015) Staatsschuldenquote von 85 % des BIP, wozu noch einmal 100 % aus bereits bestehenden Staatsverpflichtungen (man denke nur an die Pensionen) kommen, längst jenseits jener Maastricht-Kriterien, die sich die Euro-Staaten mit 60 % verordnet hatten. Was übrigens zuerst Deutschland und Frankreich brach, sollte man auch wissen, was freilich für alle anderen ein Signal des Aufbruchs war. Apropos BIP: Bei einer Quote staatlicher Ausgaben von 54 % am BIP (Deutschland: 44 %; hier wie dort im Löwenanteil Sozialausgaben) ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, ab dem man von einer "österreichischen Wirtschaft" gar nicht mehr sprechen kann. Denn dann haben wir Staatskommunismus, in Wahrheit ist ohnehin bereits jetzt das gesamte Wirtschaftsleben staatsabhängig. Auf welche Basis sich solch ein Staat dann stellen will, denn die muß die der Freiheit und Eigenverantwortung sein, bleibt eine der spannenden Zukunftsfragen zwischen Leitha und Lech.

*Dies speziell ist ein Punkt, der für eine Abwertung der österreichischen Währung spräche, gäbe es eine solche noch. Denn anstatt utopische Traumschlösser zu bauen, in denen man Österreich, der Schweiz vergleichbar, zum Brain-center der Welt schönredet (während der Brain-drain genau das Gegenteil erzählt), wäre es höchst an der Zeit, die Wirtschaft des Landes realistisch zu sehen. Die einen hohen Anteil von eher niedrig qualifizierten Arbeitskräften hat, die eine hochspezialisierte Wirtschaft niemals tragen könnten. Außerdem ist die österreichische Wirtschaft in weit höherem Maß als die der Schweiz mit Grundstoffen befaßt. Was sich sogar mit den hohen Migrationszahlen vereinbaren ließe - würde man das endlich zur Kenntnis nehmen, und darauf eine realistischere Wirtschaftspolitik aufbauen. Die nicht davon träumt, aus anatolischen Bauern Computergenies zu machen, und so lange finanzieren wir sie halt. Diese, die nächste, und noch die nächste Generation, bis sich alle in Ankara oder Sofia einen angenehmen Lebensabend mit österreichischer Pension leisten können.

Oder die Landwirtschaft wie ein lästiges Geschwür in Strukturen pressen möchte, die auf den Flächen der deutschen Tiefebene angebrachter wären. Während man den typisch österreichischen, verarbeitenden Mittelstand an den Rand seiner Existenz drängt (er geht nach wie vor zurück), indem man ihn ungeschützt der Konkurrenz rein geldorientierter Handelsmacht internationaler Konzerne aussetzt, die eine vergleichbare Leistung nur dann erbringen, wenn man Produkte als Kulissen der Inszenierung von Lebensvirtualität betrachtet. Noch dazu - und da wären wirkliche Chancen gewesen - wo es im gesamten ehemaligen kommunistischen Bereich, wo ja längst eine Mittelschicht existiert, so gut wie kein Handwerk gibt, das Leben noch als Lebensqualität begreift, die arbeitsintensiv, aber konkurrenzfähig etwa mit der Schweiz durch die billigen, kaum ausgebildeten, migrantischen Arbeitskräfte ist, die aber nun auch ihr Leben selbst fristen können, und nicht von der Hand in den Mund leben müssen, weil ihnen in Österreich nur Arbeitslosigkeit blüht.

Während Produktionsanlage um Produktionsanlage ins Ausland wandert, weil dort die Industrielöhne niedriger sind (denn das Schlüsse- und Management-Personal kommt ohnehin meist aus Österreich.)

Österreich muß endlich vom hohen Roß steigen und begreifen, daß es aus seiner Situation heraus wieder verstärkt einen personalintensiven Wirtschafts- und Landwirtschaftssektor braucht weil in deutlich ausgeprägerer Polarität wie viele andere Staaten bieten kann. Die zum einen den Vorteil niedriger Löhnsektoren, zum anderen aber die Infrastruktur und das geistige Potential eines Industriestaates nützen kann weil nützen muß - was sonst soll man nützen als das, was da ist? Oder wie stellt  man sich vor, die in der Arbeitslosenstatistik längst deutlich gewordenen Strukturanforderungen zu bewältigen? Durch noch mehr Sozialgelder?  

Und nach wie vor wächst der Zustrom von Menschen, die niemals in diesem Land Arbeit finden werden weil es immer weniger Betriebe gibt, die ihrem Ausbildungs- und Kulturstand entsprechend einfachere Anforderungen stellen. Sämtliche derzeitigen Konzepte, die das bewältigen sollen, müssen scheitern, weil sie von utopischen, unrealistischen Voraussetzungen ausgehen - man kann Bildung und Kultur nicht mit Klistierspritzen verabreichen und lehren, so wie man die Bedienung eines Hubbelapparats schult.

Aber dazu müßte es auch seine Bedingungen im Gefüge der Staaten Europas mehr selbst steuern können. Und die Gewerkschaften, deren Funktionäre es nämlich sind, die Konsumismus mit Gemeinwohl verwechseln, zum Billard ins Strandbadcafé schicken.




***