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Montag, 12. Oktober 2015

Hungersnöte durch Ökologie (1)

1915 begann man endgültig zu begreifen, daß der Krieg lange dauern würde, und ein Ende nicht einmal absehbar war. Erst jetzt wurde der Krieg als Abnützungskrieg erkannt, der nach und nach alle Lebensbereiche der beteiligten Staaten einbeziehen mußte. Die umfassende Zentralbewirtschaftung wurde eingeleitet, im zentralistischeren Österreich war das ohnehin gleich nach Kriegsbeginn geschehen. 

Denn die Bedeutung der Volkswirtschaft für den Kriegsausgang hatte natürlich auch England erkannt, und seine Seeblockade traf Deutschland an dessen empfindlichsten Nerv. Denn das Land war nicht in der Lage, seine Bevölkerung selbst zu ernähren. Deutschland war zu 20 Prozent von Lebensmittelimporten (vor allem aus Nord- und Südamerika) abhängig. Neben weiteren Rohstoffen, die es nicht selbst besaß. Vor allem Salpeter, essentiell für die Herstellung von Munition, von der ja Mengen verschossen wurden, wie sie sich vorher niemand überlegt hatte, wurde damit rasch zur Mangelware.* Nun ist aber Salpeter auch für die Landwirtschaft, als Dünger, von Bedeutung. Vor allem, wenn es keine anderen Dünger gibt, wie sich bald herausstellen würde.

Vorerst aber begannen Wissenschaftler, die ja längst in Kriegsdienste eingespannt waren, über den eiligst erfolgten Datenerhebungen über die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland zu brüten. Und kamen anhand der vorliegenden Zahlen, die auf eine Vollversorgung der Bevölkerung hinzubiegen waren, auf eine geniale Lösung: Theoretisch war nämlich die Bevölkerung auch mit pflanzlicher Nahrung sattzukriegen. Verglichen, war nämlich - wieder: theoretisch - die Tierhaltung energietechnisch schwer im Nachteil. Um rechnerisch eine bestimmte Menge Energie in Form von Fleisch zu gewinnen, verbraucht ein Tier ein Mehrfaches dessen, was - rechnerisch - Pflanzen hergaben. Und der Deutsche ist sowieso ein primitiver Holzkopf, ein boche, ein Schweinefresser

Was lag somit näher als Schweine als Nahrungsmittel zu ersetzen? Per Dekret verordnete die Regierung deshalb die sofortige Notschlachtung eines Fünftels der damals 25 Millionen Schweine in deutschen Ställen. Die Preise fielen in den Keller. Und wer sollte so viel essen? Also sollte das Fleisch per Konserve haltbar gemacht werden. Und hinkünftig sollte sich der Deutsche eben mehr von Kartoffeln und Rüben ernähren - das vormalige Schweinefutter fraß (pardon: aß) also nun der Mensch.

Nur leider stellten sich bald schwere, unvorhergesehene Konsequenzen heraus. Denn es kam blitzschnell zu einem Schwarzmarkt für Schweinefleisch. Die Preise schossen in die Höhe, wurden per Dekret zwar geregelt, aber das nützte in der Praxis wenig, denn der Schwarzmarkt war trotz schwerer Strafen nicht einzudämmen. Viele Bauern hatten nun begonnen, Schweine heimlich zu halten, und lieferten so wenig wie möglich an die offiziellen Stellen ab, denn es rentierte sich gehörig. Fleisch wurde ja Mangelware. Das Getreide verfütterten sie lieber, als es zu den verordneten Niedrigpreisen abzugeben. Und noch mehr als sich herausstellte, daß die Konservenmetalle mit den Ingredienzien reagierten. Die Konserven verdarben binnen Monaten, die Fleischpreise explodierten. Aber das war nur eine erste Welle von Auswirkungen.

Denn in der nachfolgenden Ernte 1916 fehlte etwas - Dünger. Den Salpeter benötigte nämlich die Kriegsindustrie für die Schießstoffe, wie er aber aus dem Ausland nicht mehr ins Land kam. Und er fehlte deshalb, weil es nun an Schweinegülle, an Tierfäkalien zur Düngung der Felder fehlte. Sodaß die landwirtschaftlichen Erträge dramatisch zurückgingen. Fehlte nur noch das schlechte Wetter, das die Kartoffeln am Feld verrotten ließ, und eine wahre Katastrophe baute sich auf. 

Fleisch gab es sowieso zu wenig, die Kartoffeln wurden immer weitgehender durch Rüben ersetzt, aber diese konnten sie nicht ersetzen, es gab zu wenige, und es fehlte an Fetten und wichtigen Nährstoffen, Mangelerscheinungen verschlechterten den Gesundheitszustand der Bevölkerung, was gut war, war zu wenig und mußte ja an die Front. Im Winter 1916/17 kam es zu ersten Hungersnöten. Und bis zum Kriegsende 1918 verhungerten 800.000 Deutsche. Die manchmal den Engländern und ihrer Seeblockade in die Schuhe geschoben werden, die sich offenbar gegen die Bevölkerung, nicht gegen das Militär richtete.**

Die Wahrheit schaut aber anders aus. Die Schuld tragen Fachgelehrte, die besonders klug zu sein meinten. Und zwar ein theoretisches Loch stopften, aber damit unzählige andere in der Praxis aufrissen. Weil die Wirklichkeit immer komplexer ist, als es sich ein Tabellenhengst vorstellen kann, und eine unvorhersehbare Weise des Miteinanderreagierens zeigt. Immer. Und umso mehr, je umfassender bzw. auf je allgemeineren (und noch mehr: der hierarchischen Stellung inadäquateren, weil nur funktional aufgefaßten) Ebenen die menschlichen Eingriffe erfolgen.***



Morgen Teil 2) Die Ökologie ist die eigentliche Menschheitskatastrophe -
Der Fall VW - Ausgewachsene Anmerkungen





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