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Samstag, 21. November 2015

Sprachwandel oder Sprachverlust?

Lohnenswerte eineinhalb Stunden eines Gesprächs, das Einblicke in die Problematik der deutschen Sprache, ja der Sprache überhaupt in der Konfrontation mit Gegebenheiten aus der erlebten Migration gibt.

Sprache ist nicht einfach nur ein Instrument der Wirklichkeitserfassung, das mit seiner Subtilität auch ein Mehr an Wirklichkeit begreifen läßt. Es wird damit zum Vorrat an Dispositionskraft, an Lebensmöglichkeit. Und damit zum Teil der geistigen Dimension in der Persönlichkeit, ja hebt die Persönlichkeit in den Geist. Fehlt verbalisierbare Sprache, bleiben zum einen nur noch physische Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch diese verarmen, weil ihnen jene Distinktheit fehlt, die dem Denken entstammen, das ohne Sprachfixierung nicht möglich ist.

Den eigentlichen Raum einer Sprache aber kann man nicht über die Sprache verändern. Sondern sie lebt auf ganz natürliche Weise, und kann nur historisch wachsen. (Sie kann in ihrer wesentlichsten Funktion eben nur über "Muttersprache" vermittelt werden; Anm.) Deshalb erleben wir mit der Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung unausbleiblich auch ein Veränderung der Sprache, die sich im speziellen Fall Deutschland zu einer Mischsprache entwickeln wird. Berlin ist dafür bereits ein Beispiel.

Die Reduktionen, die wir derzeit (auch schon in genuin deutschen Jugendschichten) erleben - ein Zuschauer bringt diesen wichtigen Hinweis - kommt einer Beschränkung, einem Auseinanderfall in spezielle soziale Gruppen gleich. Weil der Mangel an Differenzierung einen Interpretationshintergrund verlangt, der nur noch von den Mitgliedern dieser Gruppe geteilt wird. Ein anderer weist aus eigenen Erfahrung in dieselbe Richtung: Er habe trotz bester Sprachkenntnis im Ausland die Feinheit des Ausdrucks, zu dem er in seiner Muttersprache (deutsch) fähig ist, nicht erlernen können.

(Der VdZ ist zudem der Meinung, daß diese Verarmung auch mit der geringen durchschnittlichen Kinderzahl in Familien zu tun hat, weil die nur bei hoher Geschwisterzahl durch die exponentiell höhere soziale Flexibilität - Familie als erste und grundlegender Sprachraum - mögliche Differenzierung allgemein wird. Soziale Gruppen hingeben sind immer funktionsgebundener, sprechen also eine andere Schichte der Persönlichkeit an,  und damit spielt das Allgemeine eine imperativisch-figural dominantere Rolle - also die Gruppendynamik.)

Ein Satz von Mosebach sei auch herausgegriffen: "Die Schriftsteller sollten ihre Sprache nicht kennen." Sie kann keine angelernte Attitüde sein, weil sie sonst fast unausbleiblich entleert und damit zerstört wird. Wer mit Grammatik nicht (selbstverständlich) umgehen kann, bekommt nur einen kleineren Ausschnitt der Realität in den Griff, denn Grammatik ist selbst Weltsicht, als Wurzel der Sprache.

Übrigens sieht Mosebach die Sprache der erzählenden Literatur der Gegenwart keineswegs verarmt, sondern auf oft sogar sehr hohem Niveau. Verloren ist freilich der Reichtum, den Dialekte enthalten. Denn diese neuen Sprachformen sind aber keineswegs Dialekte, denn Dialekte sind hoch differenzierte eigene, ja erste Sprachen. Viel mehr Gefährdung, so Mosebach, geht von der akademischen, wissenschaftlichen Sprache aus, die oft wie die technische, technisierte Verwendung von Modulen wirkt und jeden sinnlichen Umgang mit der Sprache vermeidet. Dazu gehört auch das Eindringen von Anglizismen (und ganz sicher die Genderisierung; Anm.) Das sind wirkliche Gefahren für die Sprache.

Wenn Mosebach zum Abschluß sagt, daß die deutsche Literatur (und die darin erkennbare Sprache) außerordentlich beeindruckend ist, die gewiß furchteinflößend wirken könne, sodaß man schon verrückt sein müsse, dieser Sprache noch "etwas hinzufügen zu wollen", so muß man daraus aber noch weitere wichtige Schlüssen ziehen. Denn wenn Sprache mit Wirklichkeitserfassung zu tun hat, so ist es die deutsche Sprache, die so gut wie gar nicht über einen technisch-verallgemeinernden, techisch-logischen Leisten geschert werden kann, die jenem Kulturbild zugrunde liegt, das Migranten als so begeherenswert ansehen, daß sie alle nach Deutschland wollen. Diese Sprache ist aber für Zukömmlinge nicht einfach "erlernbar".

Deshalb wird immer Migranten - über Generationen hinweg, solche Prozesse dauern meist sogar Jahrhunderte! - die wirkliche Anteilhabe an ihrer Ziel-Kultur "deutsch", an dieser Zivilisation, lange unerreichbar bleiben, weil ihnen die Basis für diese Vollteilhabe einfach fehlt: Deutsch als Muttersprache. (Nur als Beispiel: Eine deutsch-jüdische Literatur begann erst mit dem 19./20. Jhd., sieht man von Ausnahmen ab, wie Heinrich Heine, wobei man selbst über ihn diskutieren könnte.) Es ist in jedem Fall ein Irrttum zu glauben, daß es hohe Lebenskultur geben kann, ohne diese in Zusammenhng mit der Sprache zu sehen. Und zwar als ersten Faktor!

Es ist einer jener Irrtümer, in denen wir uns selbst auf den Leim gegangen sind, zu meinen, Lebenskultur sei im Grunde über zivilisatorische Einrichtungen, über Lebensstandardmerkmale oder gar über Geld zu erzielen. Wenn, dann ist das höchsten ein recht kurzlebiges Vergnügen. Noch so forcierte Sprachkurse werden das nicht beheben, sie können über gewisse technische Sprachbeherrschung nicht hinausgehen, kommen aber in keinem Fall ohne Muttersprache aus, weil man sonst mit der sogenannten "Sprachintegration" auch die massive Verblödung der "perfekt deutsch Sprechenden" erzielen würde.

Umgekehrt aber ist solch ein Prozeß wesentlich rascher abzuführen. Denn wenn Generationen heranwachsen, die den Reichtum der deutschen Sprache einfach nicht mehr kennen - weil sie nie gutes Deutsch zu sprechen (bzw. kennen) gelernt haben, weil sie die Literatur nicht kennen, sich die Höhenentwicklung der Sprache (bzw. damit des deutschen Geistes) nie durch Lektüre erarbeitet haben - sind sie Fremdeinflüssen relativ ungeschützt ausgesetzt. Und müssen erleben, daß ihre Kultur mangels Sprachbeherrschung durch andere verdrängt und überlagert wird, ohne daß ihnen dieses "Neue" jene Wirklichkeitsweite erschlösse, in die hinein sich diese Kultur WEIL dieser Sprach- und damit Geistesraum entwickelt hat. Und mit einem mal wird ihnen diese deutsche Kultur ... wertlos erscheinen.

Der VdZ sieht es also nicht ganz so entspannt wie Mosebach in diesem Gespräch. Denn auf Dauer hat ein hermetischer Kreis hochstehender Literatur keine Überlebenschance und wird immer mehr zur Singulärerscheinung. Bis sich auch diese Singuläre nicht mehr finden. Die Entwicklung der lateinischen Literatur ab dem frühen Mittelalter führt uns also das wahrscheinlichste Schicksal der deutschen Sprache vor Augen.








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