Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 17. Dezember 2015

Wie sich die Zeiten gleichen

Der ständige Zustrom von Geld aus der Beute der gewonnen Kriege - Waren, Gold, Schmuck, und natürlich Sklaven - veränderte das Rom der Kaiserzeit nachhaltig. Einerseits wurde körperliche Arbeit immer geringer im Ansehen, denn in Rom stieg mit der Ausdehung des Reichs auch das Heer an Beamten und Verwaltern und Politikern. Die allesamt viel Geld hatten. Vor allem also gab es in Rom ein immer weiter ausuferndes, unproduktives Gewerbe, das der Banken und Geldverleiher und "Investoren". Ein Kapitalismus entstand, der sich mit dem heutigen locker messen kann. Gegen den Reichtum des Kaisers Augustus alleine, so sagen manche Historiker, würde der Reichtum eines Bill Gates unserer Tagen erbärmlich aussehen.

So stieg der Bedarf nach Luxusgütern, während das Handwerk immer weiter zurückging. Die Kluft zwischen arm und reich ging immer weiter auseinander. Man bekam im Rom des 1. Jhds. so gut wie jede Ware, die es auf der damals bekannten Welt überhaupt gab. Sie trafen aus dem tiefste Afrika ebenso ein, wie aus Asien oder Gallien oder dem hintersten Spanien oder Germanien oder Arabien. Es gab nichts, was es in Rom nicht gab - als Importware. 

Die in anderen, weit entfernten Ländern produziert wurde. Wer die Welt kennenlernen wolle, schrieb Sueton, könne sich das Reisen ersparen. Er finde alles an einem Ort - den Märkten am Tiber. In Rom wurde hingeben bald so gut wie nichts mehr produziert, die Importe überstiegen die Exporte bei weitem. Das einzige was stieg waren Dienstleistungen der unproduktivsten Art. Von Gauklern angefangen über Dichter, Sänger, Kunstausübenden aller Art, oder einfach cleveren Tagedieben. Die kamen aus allen Winkeln des Reiches und wurden durch die römischen Sozialleistungen, die ein arbeitsloses Leben verhießen, regelrecht angelockt.

Mit den Reichen (deren Bildungsstand und damit auch Geschmack niedrig war*) stieg das Heer derjenigen, die wenig oder gerade so viel verdienten wie sie täglich brauchten, oder weniger als das. Also wurden die Volksmassen bald staatlich alimentiert, mit dem berühten Brot- und Getreidegaben, aber auch durchaus mit Weinspenden oder anderen Erfreuungen, um die Spiele nicht zu vergessen. Die Migrationsströme, die das auslöste, waren enorm.

Aber solch ein Leben macht nicht zufrieden. Die Stimmung war schlecht in der völlig überfüllten Stadt, in die täglich weitere Sklaven oder Wirtschaftsflüchtlinge aus allen Teilen des Reiches zuzogen und offenbar unerträgliche Zustände bewirkten. Die Arbeitsmoral fiel immer tiefer, und solcherart motivierten Menschen kann man auch nur immer niedrigere Arbeiten geben. Innovationen gab es so gut wie gar nicht. Wenn die Praxis, Sklaven freizugeben, auch häufig war, so hatte sie einen klaren Hintergrund: Ein solcher Freigelassener blieb von seinem früheren Herren abhängig, meist erhielt der einen Anteil an seiner Arbeit. Mit der Freisetzung hoffte man jedoch, seine Moral zu heben (denn nun "arbeitete der ja für sich"), sodaß auch der Ertrag höher war als wäre er Sklave geblieben.

Wohnraum wurde knapp, und viele hausten unter erbärmlichsten Verhältnissen, auf engstem Raum, in fensterlosen Räumen, die nicht einmal hoch genug waren, um darin zu stehen, in baufälligen und hohen Häusern, die rasch aufgezogen worden waren, um leichtes Geld zu verdienen - denn solche "Sozialbauten" wurden vom Staat gefördert, der sich mit Bauvorschriften möglichst zurückhielt, um den Anreiz für den Wohnbau nicht zu dämpfen. Arbeit gab es nicht, nicht im produktiven Sektor, und einen Mittelstand, der von seinen Produkten leben hätte können gab es bald auch nicht mehr.**

Dafür billigste Kräfte für alle möglichen Dienstleistungen, auch in Wirtschaftsbereichen, deren sittlicher Wert nicht mehr tiefer möglich angesetzt werden könnte. Die Auswirkungen auf die Moral des normalen Bürgers waren verheerend. Die Ehe wurde immer weniger wert, und die Emanzipation war auch nach heutigem Maßstab ungemein weit fortgeschritten.

Mit diesem Klientel fiel die Nachfrage nach Handwerksprodukten einerseits, stieg aber die nach billiger Massenware, die, soweit sie nicht sowieso von weit her importiert wurde (billige Ziegenhaargewänder aus dem Kaukasus waren sehr gefragt), in industriellem Maßstab irgendwo in Italien von billigen Arbeitskräften hergestellt wurde, von denen es jederzeit genug gab. Denn eines hatte Rom: ein perfekt ausgebautes Transport- und damit Kommunikationssystem, über das jeder Winkel des Reichs an die Zentrale angebunden war. Die Stadt selber aber wurde zu einer Brutstätte von Verbrechen, Unmoral, und vor allem Krankheit.

Wie anders wird das Alexandria jener Zeit beschrieben, das an Einwohnern Rom kaum nachgestanden haben dürfte. Jeder, buchstäblich jeder, der kriechen konnte, selbst Krüppel oder Gichtkranke, jeder dort hatte Arbeit und wurde gebraucht. Denn vor allem wimmelte es in der Stadt von produzierendem Gewerbe, das untereinander in oft hoch arbeitsteiligen Verhälnissen stand. Der Wohlstand war allgemein, und der Bildungsstand hoch. Dazu kam eine blühende Industrie, alles zusammen in einem jeden Import bei weitem übersteigender exportierenden Handel gebündelt, mit dem u. a. Rom beliefert wurde. Rohstoffe buchstäblich aus der ganzen Welt wurden hier zu Produkten veredelt.




*Das gerne verklärte "antike Rom" ist, wenn man die durch Kitschromantik oder pure Faszination über eine ferne Zeit gefärbte Brille abnimmt, noch heute als Sammelsurium von Scheuslichkeiten und plattem Epigonentum gegenüber dem klassischen Griechenland erkennbar. Ihren künstlerischen Glanz hat die Stadt erst in Mittelalter und Renaissance bekommen.

** Ebenso wenig wie die für das frühe Rom, ja für sein traditionelles Selbstverständnis so typische Struktur der Kleinlandwirtschaften, denn auch diese Kleinbauern gab es bald nicht mehr; auch am Land war es zu diesen Konzentrationen gekommen.




***