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Montag, 18. Januar 2016

Schlesische Mundart

Jeder Deutsche befindet sich in einer Lage, die ihm meist gar nicht bewußt ist: Denn er bedient sich zweier Sprachen - der Hochsprache, und seines Dialekts, als seiner eigentlichen Muttersprache. Wer etwa mit Ungarn zu tun hat wird den daraus ergehenden Unterschied rasch feststellen: Der Ungar kann das geschriebene Wort nicht von seinem täglichen Sprechen trennen. Wer einen ungarischen Text vorliest und ihn falsch ausspricht, also nicht so, wie ihn ein Ungar aussprechen würde, wird auf den für einen Deutschen verwunderlichen Umstand treffen, daß ein zuhörender Ungar ihn schlichtweg überhaupt nicht verstehen wird. Er ist es nicht gewöhnt - wie der Deutsche - in zwei Sprachen zu denken, einer Abstraktion (in Schriftsprache), und dem Gesprochenen. 

Eines der zahlreichen vom VdZ erlebten Beispiele: Die "Népszabadság" ("Volksfreiheit") ist eine der bekanntesten Zeitungen in Ungarn. Als der VdZ einmal darauf zu sprechen kam, sprach er es "deutsch" aus, so, wie es vermutlich auch der Leser dieser Zeilen aussprechen würde: wie es "geschrieben" steht. Und traf auf völliges Unverständnis. Der Zuhörende wußte überhaupt nicht, wovon der VdZ sprach. Erst magyarisiert - damit (deutsch) gesprochen als "nepßobodschag" - verstand er. Nicht einmal der für einen Deutschen im Verstehen fast unbedeutende Unterschied zwischen "á" (sprich: a) und "a" (sprich: o) kann der durchschnittliche Ungar abstrahieren. 

Der Deutsche aber kann von der Schriftsprache auf das Ausgesprochene rückschließen, und umgekehrt. Er ist in zwei Sprachen beheimatet, deren eine eine ganz bewußte Einführung kaiserlicher Kanzleien war, um damit über alle Dialekte hinaus verstehbar zu sein.

Ohne diese Zweisprachigkeit, die uns nur kaum bewußt ist, wäre uns auch dieser schon fast restlos versunkene mitteldeutsche Dialekt des Schlesischen nicht mehr verständlich. Aber schon ihn nachzusprechen ist uns fast unmöglich. Denn es fehlt ... das Schlesische in unserem Herzen, das dieses Sprechgefüge zeitigt. Ohne dieses Herz, also ohne diese völkische Eigenart, ohne diese völkische Geschlossenheit, würde aber selbst ein "Nachformen" seelenloses Nachplappern. Dieses Herz aber wird sich auch in den direkten Nachfahren der Schlesier mit den Generationen - mit denen sich auch die physische Geprägtheit weil natürlich-wirkliche Bezogenheit zum Ort verlieren wird - völlig verflüchtigen.

Man kann durchaus überlegen, ob die Aussiedlung der Schlesier nach 1945 nicht das erfüllt, was das moderne Völkerrecht als "Völkermord" bezeichnet. Denn ein Volk besteht schon begrifflich nur durch seine Eigenart und Geschlossenheit als Lebens- und Schicksalsgemeinschaft. In dem ein geographischer Raum eine bestimmte menschlich-geistige Antwort gefunden und mit der Zeit verfleischlicht hat. Auch natürlich, ja vor allem in seiner Sprache, und noch mehr: im Dialekt. Denn anders als heute manche meinen, ist ein Dialekt ein Zeichen menschlicher Hochentwicklung, die immer eine immer stärkere Ausprägung des Eigenen bedeutet. Und kein überholtes Relikt aus vergangenen Zeiten.

Eine der beeindruckendsten Erfahrungen des VdZ in seiner Wohnstatt Ungarn ist dabei, daß menschliches Kommunizieren weit (!) unter (oder: über) dem expliziten sprachlich-nominellen Ausdruck liegt. Der VdZ, der sich bis heute bewußt dem Erlernen des Ungarischen verweigert hat, und zwar aus sehr bestimmten Gründen (wie diesen), hat erlebt, daß je originaler Ungarn sind und sprechen, ums leichter eine Kommunikation möglich wird. Selbst wenn man (explizit gefragt) oft gar nicht sagen könnte, "wovon" jemand gesprochen hat, sind gar ganze Dialoge möglich. Das Menschsein ist eben tatsächlich universal. Aber nicht - eine Volkskultur, als die nur hier bestehende und nur hier mögliche und nur hier enstehen haben könnende Art, Mensch zu sein. Menschsein OHNE Eigenart gibt es aber nicht.*







*Wer deshalb seine Heimat dauerhaft verläßt weil auswandert, muß sich bewußt sein, daß er seine Eigenart definitiv aufgegeben hat. Sie wird sich mit der Zeit verlieren. An ihr festhalten zu wollen ist töricht zum einen, verächtlich gegenüber der Zielbevölkerung zum anderen.




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