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Sonntag, 24. April 2016

Veränderung nur über Gestalt

Es gibt einen Spannungsbogen im öffentlichen Disput, der sich scheinbar zwischen zwei Polen bewegt. Der eine ist die Tatsache, daß der überindividuelle Diskurs die immer situative, historisch relevante Geformtheit eines Sprachraumes als Denk- und Geistesraum nicht nur prägt sondern ist. Der andere die Tatsache, daß dem Merkmal des Aufklärerischen als der Etablierung neuer Sprach- und Denkmöglichkeiten auch politisch so eine entscheidende Bedeutung zugemessen wird. Bei den einen, um ihn durch immer neue Aufklärung voranzutreiben, bei den anderen, ihn einzudämmen oder gar zu unterbinden.

Beide irren im selben Punkt - der Fehlbewertung der Wirklichkeit der Sprache. Die als mathematisch-logizistische Apparatur betrachtet wird, aus deren Summationsfunktion auch reales Handeln (tragfähig) motiviert würde. Das passiert aber so nicht. Man erkennt es an der eigentümlichen Statik, die dem öffentlichen Diskurs (den man sich in allen möglichen Kreisen vorstellen kann, von Medienkreisen bis hin zu Kreisen am Arbeitsplatz, etc. etc.) meist eignet, dem aber die innerte Kraft fehlt, sich tatsächlich zur Kinetik aufzubauen. Dazu braucht es allemal voluntaristischen Anschub, der selbst wiederum aus dieser Rationalismusmathematik sein Sollenspotential schöpft.

Denn viel entscheidender als das nominelle Sprechtheater ist die "Sprache hinter der Sprache", ist das Unsichtbare als das eigentlich die Welt Bewegende. Und das hat Gestaltcharakter, das grüßt über die umfassende, im Einzelnen gar nie einzuschränkende, bestenfalls in Spitzen definierbare sinnliche Qualität, die von diesem Transzendenten ins Welthafte hereinragt und in gewisser Weise ja Welt "ist". Das Wesentliche am Menschen wird (fast könnte man sagen: nur) durch sinnlich erfaßbare und als Ideen-Dynamik memorierte bzw. inhärierte Gestalten geprägt.

Deshalb mündet rationaler Disput als vermeinte Ebene des Ringens von Sprache um Wahrheit immer in Aggression, das kann gar nicht anders sein. Weil die Ohnmacht, die wirkliche Impotenz des solcherart Sprechens zwangsläufig erlebt wird.

Das Wirken der Gestalt aber ist leise, still, nicht hörbar, und kaum dinglich festzumachen. Aber es ist. Einzig. Deshalb können politische Veränderungen nur von konkreten Gestalten ausgehen, nicht über Disputführung. Dieser kann allerdings aufbranden, von beiden bzw. allen Seiten her, um in einem Strohfeuer sich selbst zu vernichten, während der wirkliche Fluß der Völker und Menschen sehr rasch wieder in sein altes Bett des Wirklichen zurückfließt, aus dem durch Anschwellen auszubrechen er drohte. Aber es war Schein.

Nur Gestalten können ändern, nur sinnnlich real erlebbare und erlebte Gestalten können wirklich bewegen. Nur sie können jene fortzeugende Kraft entwickeln, die sogar ein Volk zu ändern vermag. Der Disput dient nur der Abgleichung. Denn das menschliche Denken folgt dem Sein, folgt dem Gesetz der Wahrheit, und kommt einem Ablesen des Wirklichen (als hinter allem) gleich. Nur Gestalt vermag aufzubauen.

Und ihr entfließt auch ein völlig anderes Sprechen, in dem sich das Wirken des Wortes als logos zur Welt entfaltet. Dieses Wort, dieses logoserfüllte Sprechen und Denken ist es dann, das Geist in Welt sein läßt. Geist, aus dem alles wird. Erst hier wird Wort.





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