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Dienstag, 10. Mai 2016

Nicht Mehrheit ist das Prinzip der Demokratie

Der mit gestrigem Tag zurückgetretene - in des Wortes mehrsinniger Bedeutung - österreichische Bundeskanzler Werner Feymann sprach bei seiner Abtrittsrede folgendes: "Ich habe in meiner Partei den umfassenden Rückhalt nicht mehr gefunden." Und jetzt kommt's: "Die Mehrheit ist zu wenig."

Er weist damit exakt auf das Problem von Parteiendemokratien. Denn in ihnen findet sich das Prinzip eines Staatsvolkes nur noch auf eine Interessensgruppe und deren Macht beschränkt. Diese, für sich, weiß sehr wohl, daß es in ihr um mehr geht als um Mehrheit, die als so großartige Errungenschaft der Moderne gefeiert wird. Sie weiß, daß es um einen Konsenz ALLER geht.

Dieser Konsens ist in einer Entscheidung für eine Führung (und über pyramidalen Aufbau: Staatsführung) nur in persönlichem Gegenüber überhaupt möglich. Das ist auf beide Seiten hin wirksam: Der Gewälte muß zu seinen Wählern in direktem persönlichem Verantwortungsverhältnis stehen, er muß sie kennen, er muß mit ihnen in persönlicher Verbindlichkeit stehen. Ein Abgeordneter, der gegen seine Wähler entscheidet, muß, wenn er in seinen Wahlkreis zurückkehrt, Angst haben, daß man ihm eine gehörige Abreibung verpaßt. So ungefähr.

Und nur in dieser persönlichen Verbindlichkeit, in der die Sorgen und Nöte der Menschen die er kennt auch die seinen sind, kann er auch die Anliegen seines Kreises nach oben tragen, auf Wesentliches eindampfen, und mit Anliegen anderer Kreise vereinen und abstimmen. Und wir werden uns mit Demokratie abfinden müssen, weil eine Rückkehr zur Monarchie nicht möglich ist, weil deren Legitimität nicht mehr selbstverständlich besteht, mit dem Traditionsbruch versiegt ist. Einen König kann man nicht demokratisch vom Volk aus wählen, er muß von oben eingesetzt sein - und das heißt auch: im religiösen Empfinden, dem Wert- und Kultverständnis der Menschen. Das es heute nicht mehr als Einendes gibt.

Erst hier wird das aller Politik zugrundeliegende, notwendige Persönlichkeitsprinzip auch in einer Demokratie gewahrt. Denn ein direktes, persönliches Gegenüber einzuschätzen vermag tatsächlich jeder. Ohne dies wäre auch eine griechische Demokratie völlig undenkbar, das wird gerne unterschlagen: sie war immer eine Wahl von persönlich, fleischlich, direkt gekannten Personen. Diese Person muß aber als Person verantwortlich sein, sie kann es nicht einem Parteiprogramm gegenüber sein, die die persönliche Entscheidung aushebelt und eigene Kriterien fordert wie einbringt. Diese wiederum müssen bzw. können weitere Kristallisationspunkte des Allgemeinen wählen, bis hinauf zum eigentlichen und einzigen Staatslenker.

Und genau das muß das Aufbauprinzip eines Staates sein. Die Ümlagerung des Staatsvolkes auf Parteien ist nicht nur aus der Abstraktion eines nur persönlich möglichen Prinzips eines durch Stimmenwahl übertragenen Vertrauensmandats eine Aporie des Demokratischen, des Entscheides der Menschen, sondern sie braucht einen Konsens, dem KEINER der Mandatare wesentlich widerspricht.

In diesen heutigen Formen aber stehen nicht einfach Parteien gegen Parteien, sondern es stehen unterschiedliche und je abstrahierte Auffassungen der Einheitsprinzipien, des Gemeinwohls gegeneinander. Und sie sind unvereinbar, das ist das Wesen von Parteien. Damit heißt unsere Form der Parteiendemokratie IMMER, daß eine Mehrheit eine im Stimmengang unterlegene Minderheit diktiert. Sie hält sich nicht mehr an einen Konsens ALLER, sondern ihr Konsens ist nur noch der Konsens innerhalb einander unvereinbar gegenüberstehenden Parteien. 

Diese Konflikte verschärfen sich unter den einzigen noch möglichen Mitteln eines Ideenstreits, auf den sich Parteien reduzieren: Auf einer zunehmenden Verschärfung der Ideen, und damit auf einer immer stärkeren Kluft zwischen den wahlwerbenden Parteien. Die zu einer immer stärkeren Rolle der Propaganda führt. Der Ebene der Zweitwirklichkeit, einer Logik außerhalb der Wirklichkeit also, die den Urteilshorizont eines Volkes bzw des Einzelnen prinzipell bereits überfordert. In einer Parteiendemokratie entscheiden die Menschen aber über Ideen, über Worte, über Weltanschauungen. Der gesunde Mensch weiß aber gar nicht, ja soll gar nicht wissen, welcher Weltanschauung er zubehört. Sie muß einfach der Richtung seines Wesens entspringen, einfach da sein. Der gesunde Mensch entscheidet nicht über Weltanschauungen, sondern über sein Zutrauen zu Personen. Und diese haben auch nur das: sich selbst.

Denn der Mensch kann nur entscheiden, was seinem ganz realen, persönlich-fleischlich-sinnlichen Lebenshorizont, was seinem Stand entspricht. Übersteigt das zu Entscheidende diesen persönlichen Erfahrungshorizont, ist er nicht nur auf Fremdinformation angewiesen, sondern im Parteiensystem auf eine Information, die bereits auf Machtkampf und Interessensnotwendigkeit - also den Interessen eines Organismus im Kampf gegen einen anderen - ausgerichtet ist. Damit rückt ein Parteiprogramm (das überleben will) unweigerlich von Gemeinwohl und Gesamtkonsens ab.

Denn um überhaupt ein Selbst zu sein, um also überhaupt "Wahlen" zu ermöglichen, müssen solche Parteien nicht nur ein Selbstsein entwickeln und haben, sondern sie müssen sich voneinander unterscheiden, und sie werden sich unterscheiden, weil sie notwendig gegeneinander stehen. Der Wähler kann nur zwischen Parteien unterscheiden, die sich sichtbar unterscheiden. Damit aber widersprechen Parteien dem Wesen JEDER Demokratie, die nur dann überhaupt funktioneren KANN, wenn keine der wahlwerbenden Personen und Ämterinnehaber diesem Grundkonsens widerspricht. Parteien TREIBEN also ein Volk ausnahmslos in die Spaltung. Sie selbst wissen es sogar. Sie treiben ein Land in einen Meinungskrieg, den sie in ihrer Partei gar nicht zulassen dürfen. Was entweder über strenge Parteidisziplin abläuft, oder über selbstverständlichen Konsens.

Jede Führung eines Volkes braucht nämlich - wie Faymann es zufällig formuliert - nicht "eine Mehrheit", sie braucht den Gesamtkonsens, sonst landet sie über kurz oder lang und zwangsläufig in einem Bürgerkrieg. Und nur darin bleibt ihre Politik legitim, die bestenfalls in Kleingkeiten an den Rändern verschwimmen darf. Das bleibt nur personal und in personaler Verantwortung gewährleistet. Eine Demokratie kann nur dann funktionieren, wenn sie auf dem Personalprinzip aufbaut. Parteien muß sie verbieten. Denn jede Partei ist in sich ein Bild vom Staat selbst. Aber mehrere Staaten in einem Staat kann es nicht geben.

Und so steigert sich Faymanns Abschiedsrede vor der Republik zu einem erhellenden Satz: "Dieses Land braucht einen Bundeskanzler, hinter dem voll die Partei steht."

Eben nicht. Ein Land braucht eine Führung, hinter der ein einiges Volk steht.





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