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Montag, 16. Mai 2016

Ursprünge des Sozialsystems

Noch einmal faßt Prälat Seipel in seiner Studie über die wirtschaftsethischen Auffassungen der Kirchenväter zusammen: Niemals haben sie einen Kommunismus, in dem allen alles gehöre, als idealen Gesellschaftszustand vertreten! Vielmehr ist die Armut ein evangelischer Rat INMITTEN DER WELT wie sie vorzufinden ist und war für jene, die höhere Vollkommenheit erstreben. Niemals darf sie erzwungen werden, und niemals darf durch das Einbringen des Vermögens eines Willigen in eine solche klösterliche, mönchische Lebensweise ein Schaden für seine Verwandten oder Umgebung entstehen, oder etwa Erbansprüche Dritter beschnitten werden. Gleichzeitig war mit dem Eintritt in eine solche Klostergemeinschaft zwar das Recht auf Versorgtheit (weil Eigentumslosigkeit) gegeben, aber dem stand auch eine strikte Arbeitspflicht gegenüber. 

Der Reichtum, die gesellschaftlichen Unterschiede sind aber überall als wichtig und richtig eingeschätzt. Der Appell an die Armut war dagegen ein Befeuern des Weges zur Heiligkeit, zumal die Armut viele Gefahren, die der Reichtum für das Seelenheil hat, vermeidet.*

Dieser Eifer zur größten Vollkommenheit war natürlich auch in Jerusalem in den Jahren nach Jesu Tod und Auferstehung und zu Lebzeiten der Apostel überaus groß. Viele Reiche gaben ihr Vermögen auf, verkauften was sie besaßen, und legten alles den Aposteln zu Füßen. Diese verteilten es dann an die Armen der Gemeinde. Und lebten natürlich auch selbst von Almosen, oft noch in der schärfsten Form - dem freiwilligen Verbot auf Vorratshaltung über den Tag hinaus, um sich in der radikalsten Form in Gottes Hand zu werfen.

Die Kirche hatte damit also eine Art Sozialsystem. Denn es existierte eine große Schichte an Armen, die sich aus Witwen, Waisen, Kranken, erwerbsunfähigen Alten und einer oft beträchtlichen Zahl von (erwerbslosen) Jungfrauen zusammensetzte, die sich natürlich gleichfalls um die Notleidenden kümmerten. Wo man konnte kaufte man Sklaven oder unschuldig Gefangene frei, zumal die Bedingungen der Gefangenschaft oft gleichbedeutend mit raschem Tod waren.**

Schätzungen gehen in der Spätantike von 10 % der Bevölkerung aus, die unfreiwillig nicht in der Lage war, sich selbst zu versorgen und deshalb auf Hilfe angewiesen war, um überleben zu können. Mit heutigen Sozialnetzen, die aus Hilfe einen Anspruch und aus Almosen einen Zwang machen, ist das nur mehr ganz entfernt zu vergleichen, ja eigentlich eine Perversion der Nächstenliebe, die nicht näher zu Gott, sondern von ihm weg führt.

Um dies finanziell leisten zu können blieb der Appell an die Reichen, (freiwillig) zu spenden, Almosen zu geben (im berühmten Zehent) immer aufrecht und laut. Er richtete sich im Namen des Seelenheils in erster Linie gegen Habgier und Geiz. Auch noch im Mittelalter, in einer ähnlichen Situation, wo es gleichfalls die Kirche war, die aus Nächstenliebe Sozialeinrichtungen schufen, die dann für die Menschen zum Vorbild und christlichen Gebot für auch weltliche Fürsorgeeinrichtungen (Bürgerspitäle, Siechenhäuser, usw. usf.) und später den Sozialstaat wurden. 

Die Gefahr, daß solche Einrichtungen den Antrieb zur persönlichen Nächstenliebe und -hilfe bei den Gläubigen schwächen könnten, sahen die Kirchenväter übrigens schon damals. Und nie beseitigten sie das Gebot der Freiwilligkeit der Gebenden. Vielmehr stellten sie aus christlichem Menschenbild den Reichen auch den Armen als Menschen vor, und das war der damaligen Zeit (und nicht nur der) keineswegs selbstverständlich. Daß im Rom der Zeit nach Christus allmählich auch Sklaven als Menschen begriffen wurden, ist christlichem Einfluß zu verdanken.

Nicht zu übersehen sind aber auch die Mahnungen, sich zum einen das Notwendige durch eigene Arbeit zu erwerben, zum anderen aber auch jene zu meiden, die sich von der Arbeit fernhalten und dennoch von den Gütern der anderen verlangen. Niemand solle anderen unnötig zur Last fallen war eine oft zu lesende Mahnung an die Almosenempfänger. Vielleicht noch gar unter Berufung auf deren Christenpflicht. Wer nimmt, ohne wahrhaft bedürftig zu sein, ist als Schuldner zu sehen, der spätestens im Göttlichen Gericht alles zurückbezahlen wird müssen.

Interessant das Gebot nach den Kräften "gemäßer" Arbeit, also nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel. Müde zu werden ist ein Segen, nicht aber erschöpft zu sein. Mit häufiger Erwähnung des eigentlichen Motivs der Arbeit: Der Hilfe für den Nächsten, als Dienst an ihm! Viele Orden, viele Klöster haben auf der Bedeutung der Arbeit als Dienst und wesentlicher Säule der geistigen Gesundheit ihre Spiritualität aufgebaut. In der Antike eine Sensation, denn dort wurde körperliche Arbeit verachtet, und die Arbeitsscheu war allgemein.

Das Jerusalemer Beispiel - das, wie gesagt, kein Kommunismus war, sondern Ausfluß des Glaubenseifers der Menschen - war gewiß vorbildlich, und machte das Christentum für Heiden überaus attraktiv. Denn Christen konnten sich so in der Not nie alleine gelassen wissen, Heiden keineswegs. Es blieb aber nicht ohne Konsequenzen. Bereits wenige Jahrzehnte nach Jesus war die gesamte Jerusalemer Christengemeinde verarmt. Und auf Almosen aus Christengemeinden anderer Städte und Provinzen angewiesen. Wären auch dort alle arm gewesen, hätte niemand mehr helfen können. 

Dieses Sozialsystem der Kirche brauchte also anderseits genug Reichtum, Prosperität im großen Teil der Gesellschaft sowie Gebebereitschaft, um es aufrecht halten zu können. Die Armutsforderung, der Verzicht auf Besitz als Gebot blieb immer eine Ausnahme, er war nie ein Vorbild für ein Gesellschaftssystem und notwendiger Hinweis, im Treiben des Lebens nicht zu übersehen, daß man in aller gebotenen Erwerbssorgfalt seine Seele nicht an Besitz hängen soll.




*Als im hohen Mittelalter solche Bettlerbewegungen (man denke an die Waldenser) dieser angeblichen evangelischen Forderung "für alle" folgten, und Massen anzogen, wurde dies nicht nur von der Kirche zu Recht als häretisch verurteilt, sondern hatte auch eine Gefährdung des kulturellen Gefüges zur Folge, weshalb sie die Herrscher und Fürsten energisch bekämpften. Denn es gefährdete beträchtlich das Gemeinwohl, und der Wohlstand brach landstrichweise regelrecht zusammen, Siedlungen und Ländereien verödeten. 

**Das hat die Menschen später in Gallien etwa schwer beeindruckt. Dem freiwillig armen, selbstlosen und sittenreinen Klerus in äußerst brüchigen, ja wirren Zeiten, deren Predigt von der Würde auch der armen und einfachsten Menschen, verdankt die Kirche auch dort ihr rasches Wachstum und ihre Hochachtung in der Bevölkerung im Mittelalter.





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