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Sonntag, 10. Juli 2016

Allem liegt Zeitloses zugrunde

Ich wende mein Antlitz von ihnen ab, und man wird mein Kleinod entweihen. Räuber werden es betreten und entweihen. Sie werden ein Gemetzel anrichten; denn das Land ist voll Blutschuld und die Stadt ist voll Gewalttat. 

Ich führe die schlimmsten Heidenvölker herbei, damit sie die Häuser in Besitz nehmen. Ich mache dem Hochmut der Mächtigen ein Ende.“ (Ez 7,22-24)

Das Wesen der Prophetie ist weniger (ja: kaum) das Vorhersagen konkreter Ereignisse, auch wenn sie dieses Gewand annehmen. Das Konkrete kann sich bei Verhaltensänderung der Menschen auch wieder verändern. Historische Ereignisse sind nur das Gewand, das ein ontische Bewegung in der Zeit annimmt. Und diese Bewegung vor dem Hintergrund des Seins (als Dynamik des Historischen) ist der eigentliche Inhalt einer Prophezeiung, deren konkrete gestalthafte Erfüllung aber vom Verhalten des Menschen abhängt. Ihre Aussage ist deshalb nicht primär, konkrete Ereignise "vorherzusagen". "Vorhersagende Kraft" von Prophetien ist aber dem Verstand zugängig, ja ist seine Aufgabe, WENN er die ontologischen Bewegungen HINTER der Geschichte erkennt.

Deshalb sind echte Prophetien aber auch immer aktuell. Weil sich diese ontologischen Situationen innerhalb eines gewissen Repertoires stets wiederholen. Denn der Verhaltensspielraum der Menschen zum Gefüge des Seins (als Sein im Wissen Gottes, in den Ideen) ist aus relativ wenigen Beziehungsbildern zusammengesetzt, die innerhalb ihrer selbst wiederum ontologisch gegliedert und hierarchisch geordnet zueinander stehen. Aus deren Kombinationsmöglichkeit sich dann das Gesicht des Historischen prägt. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß sich Situationen, die vor langer Zeit Propheten auftreten ließ, die sie konkret darstellten, wiederholen können - und Prophetien plötzlich ganz konkret auf eine Zeit passen, die nur scheinbar durch tausende Jahre von diesem Propheten getrennt liegen. Das Sein selbst unterliegt aber keiner Zeit. (Historische) Zeit ist nur der Modus, in dem das Sein zur Welt wird.

Eine sinnvolle Bewertung der Wirklichkeit der Kräfte hinter historischen oder gegenwärtigen Ereignissen ist deshalb nur möglich, wenn man konkrete, vereinzelte Ereignisse "sub speciae aeternitatis" - vor dem Hintergrund des Ewigen - zu sehen vermag. Und erst dadurch kommt der Mensch in die Freiheit schöpferischer Lebensgestaltung, weil er aus der bloßen Getriebenheit aussteigen kann.

Wahre Prophetie ist deshalb nur auf der Grundlage größtmöglicher Freiheit jenes möglich, der sie äußert. Dem Unreinen, dem dem Sein Fernen verschließt sich dieses Reich des Ewigen. Wenn er manchmal doch davon eine Ahnung erhält dann aus der Angst, die die Verfehlung (die ein Herausstellen aus der Seinsordnung bedeutet) bewirkt, die ihn nämlich ins Nichts wirft, über dem sein Geist irrlichtert. Und in diesem Zustand wird das Fehlende (das Sein als Ideen- bzw. Sinngefüge, als logos, das dem Reinen Natur weil logoskonformität ist) zum Schattenbild des Unerreichten. 

Niemand weiß um den Wert des Wassers so, wie der Verdurstende. Aber er kennt es nicht. Der Unreine (bzw. Unsittliche) vermag deshalb Bedrohungsbilder oft sehr gut zu erkennen, aber er verliert sich zwangsläufig in ihnen. Deshalb fühlen die Menschen (und das taten sie zu allen Zeiten) die "Apokalypse" sehr gut, sie ist nämlich immer als Idee präsent, weil der Mensch ständig in Sünde fällt. Verharrt eine Zeit (ein Kulturkreis, eine Menschengruppe, oder auch nur einzelne Menschen) aber darin, kann sie sich nicht mehr erheben. 

Fehlt ihr die Sündenvergebung, dominieren apokalyptische Bilder die alltägliche Bewußtheit und versetzen die Menschen in Angst und Verzweiflung, weil sie tatsächlich keinen existentiellen Ausweg (als Reformierung in empfangender, selbststerbender Offenheit auf das Sein hin) findet. Und sie beginnt umso fanatischer, auf der konkreten, historische, faktischen (und psychologischen) Ebene gegen die aus der tiefsten existentiellen Tiefe richtig gefühlte Apokalypse zu kämpfen. Aber sie tut es damit auf einer falschen Ebene. Ihr Tun bleibt aussichtslos, ja erwirkt das Gegenteil. Weil sich die Grundsituation gar nicht verändert.





*030716*