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Samstag, 2. Juli 2016

Demokratie in Österreich gestärkt?

Daß mit der Aufhebung der Stichwahl zum Bundespräsidenten, die das österreichische Verfassungsgericht am 1. Juli per Urteil verfügt hatte, die Rechtsstaatlichkeit einen Sieg davongetragen hat ist unbestritten. Daß es aber auch einer der Demokratie gewesen sein soll ist ein etwas seltsamer Folgeschluß. Wenn war es einer der Verfassung. Denn ein Urteil, das gerade gezeigt hat, daß die demokratischen Verfahren NICHT funktionieren als Beweis zu deuten, daß die Demokratie funktioniere, ist ein recht seltsamer Schluß. 

Oder sollte das Volk vielleicht nun der Politik dankbar sein, weil sie sich dem Recht doch noch unterwirft, denn sie könnte ja auch ganz anders?* Noch dazu wo es zu dieser Erkenntnis gar nicht gekommen wäre, wenn nicht eine Partei (die FPÖ) geklagt hätte. Sonst hätte das den Verfassungsgerichtshof gar nicht erst interessiert.**

Funktioniert hätte die Demokratie, wenn der Sieger aus dieser Stichwahl, Alexander van der Bellen, angesichts der sehr bald aufgetauchten Berichte über Unregelmäßigkeiten auf sein Amt verzichtet bzw. sich der Klage am Verfassungsgerichtshof angeschlossen hätte. Das wäre demokratische Größe gewesen, wenn van der Bellen unter dem Hinweis, daß bei so vielen Unregelmäßigkeiten das Vertrauen in die Wahl und damit in seine einigende Kraft für Österreich kaum gegeben sein könne, er diese Wahl nicht akzeptieren könne. So aber hat er einfach versucht durchzutauchen, AUCH WENN evident war, daß diese Wahl nicht ordnungsgemäß abgelaufen ist.

Und da sind ja durchaus mehr Gründe anzuführen als die reklamierten formalen Fehler. Die gravierend genug waren, daß die Wahl "manipuliert hätte werden können", obwohl faktische, reale Manipulationen festzustellen nicht Aufgabe des Gerichts war. Wenn nämlich bei den (dann wahl-um-entscheidenden) Briefwahlstimmen fast 20 % der abgegebenen Stimmen aus formalen Fehlern UNGÜLTIG sind, muß man sich doch zumindest fragen, ob mit dem Prozedere prinzipiell etwas nicht stimmt, das man als demokratiegefährdend ansehen müßte. Denn die muß an der Praktikabilität für alle Maß nehmen.

Ferner muß man sich die Frage stellen, was da bei den Wahlen in den letzten Jahrzehnten wohl schon gelaufen ist. Denn die verniedlichend als "Schlampereien" bezeichneten Unregelmäßigkeiten sind nach übereinstimmenden Aussagen (wie es auch im Wahlaufhebungsurteil steht) "schon viele Jahre üblich". Und alle Parteien sind - erst aufgrund dieses von der FPÖ begehrten Urteils! - nun der festen Überzeugung, daß die Wahlvorgänge selbst reformiert und heutigen technischen Möglichkeiten angepaßt werden müssen. Die auch Manipulationen erleichtern.

Wenn man aber nun begreifen muß, daß die Demokratie nur dann funktioniert, wenn jemand BEMERKT, wenn sie einmal nicht funktioniert, kann man auch die Frage stellen, wo in der Demokratie jene Kontroll-Mechanismen wären, die AUF JEDEN FALL GARANTIEREN, daß die per Volksentscheid periodisch neu ausgeschnapsten Machtverhältnisse ihrem eigenen Anspruch auf technische Regelung genügen.² Sonst könnte sie schnell in den Ruf kommen so lange "fair, gerecht und überhaupt heilig" zu sein, als die Wege, sie zu manipulieren, nicht bekannt werden. 

Aber - ohne ein Ungefähr wird es nie gehen. Wo ein Ungefähr nicht mehr möglich ist, fehlt die Menschlichkeit. Ablauftotalität heißt: Verlust der Freiheit. Demokratie braucht aber genau deshalb nicht nur Vertrauen, daß im letzten egal wie Wahlen ausgehen alles irgendwie beim Alten bleibt, man also weiterhin leben kann wie man lebte (und das war und ist immer der Hauptanspruch eines Volkes an die Politik!), sondern sie braucht das, was das Vertrauen erst bildet: Einen durch Lebensweise einheitlichen Volkskörper, der in seinem Rechtsempfinden so einig ist, daß es keine Flucht in die perfekte Ablauftechnisierung braucht. Und eine Elite, die sich diesem Volkswillen verpflichtet sieht, und nicht nach Abstimmungszahlen giert, weil diese dann egal zu welcher Willkür ermächtigen. Und etwa einen Teil des Volkes als "irrelevant" von der demokratischen Willensbildung ausschließt.***

Das Legitimitätsprinzip der Demokratie ist eben NICHT bloß technische Richtigkeit. Es gibt unter Menschen nie eine formal erschöpfbare Richtigkeit. Wenn menschliche Verhältnisse dort gelandet sind, kann von Zusammengehörigkeit gar nicht mehr gesprochen werden. Weil das Vertrauen fehlt. Und diese Grenze dürften wir bereits überschritten haben.






*Dasselbe gilt ja bezüglich des Verfassungsgerichtshofs. Mittlerweile hält man es nämlich tatsächlich für MÖGLICH, daß diese Institution zum Werkzeug der Politik verkommen ist. Auch in Deutschland: Der jüngste VGH-Entscheid in Karlsruhe bezüglich EZB wurde von manchen bereits als Beweis für die direkte Unterordnung des Rechts unter die Politik gewertet. Ein Verfassungsgericht muß aber die Grundlage eines Volkes wahren und schützen! Indem er eine objektive Grundlage (Verfassung) inhaltlich auslegt und beide Seiten - Regierung und Volk - voreinander schützt und beide Seiten bewahrt, sofern sie der Verfassung als ausgesprochenem Volkswillen, als ausgesprochener Volksnatur entsprechen.

**Der in Österreich in den letzten Jahren einen massiven Umbau des Rechtssystems zu verantworten hat, indem das Recht nur noch nach Formalprinzipien, nicht mehr nach Inhalten und ethischen Rechtsprinzipien bewertet wird, wie sie aber eine Verfassung bedeutet. Denn das sei Sache der Politik. Dieser Werterelativismus, der dahintersteht, ist in Wahrheit eine Unterordnung der Rechts unter die Politik, die dann die "Werte" vorgibt. Das ist das Prinzip jedes Totalitarismus. Auch unter Hitler waren die Gerichtsurteile "formal rechtmäßig". Insofern hatten die Kläger vielleicht auch Glück, denn sie klagten auf Verstöße gegen Formalprinzipien.

²Man hat traditionell diese der Kirche sowie der Kunst zufallende Aufgabe - der Spiegelung der faktischen Ereignisse vor dem Hintergrund des Ewigen, Unverrückbaren, also der gewissermaßen inneren Verfassung, ja Sinndefinition eines Volkes - als "Vierte Gewalt" den Medien zugeschrieben. Der Leser erlaube die Frage, ob er meint daß das Volk daran glaubt, daß die Medien diese ihre angestammte Aufgabe noch erfüllen? Oder ob er nicht meint, daß die Politik sich AUCH DIESE Instrumente (die eigene Kontrolle!) bereits gefügig gemacht hat.

***Man hat gerade in letzter Zeit viel davon gesprochen, daß die Menschen den politischen Eliten nciht mehr vertrauen. Ja, das stimmt tatsächlich. Denn die Eliten haben den Menschen Veränderungen untergejubelt, und wollen das nach wie vor tun (siehe die Plaudereien um CETA und TTIP), denen niemals jemand zugestimmt hätte. Ihre sogenannte "Transparenz" wirkt meist nur noch wie die im Speisewagen heftig angeregte Diskussion um Huhn oder Schnitzel (ach ja, Problem! der dort will nur Salat!), damit niemand beim Fenster hinaussieht und bemerkt, daß man die Richtung des gesamten Zuges verändert hat.




*010716*