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Sonntag, 7. August 2016

Angst vor Abgrenzung weil "too big to fail"?

Es ist kein Zufall, daß der VdZ diese beiden Nachrichten direkt hintereinander zu Gesicht bekam. Denn sie sind aufeinander bezogen. Da ist einmal eine Stellungnahme des Erzbischofs von Triest, Giampaolo Crepaldi, worin er darauf hinweist, daß es zwar gut und lobenswert sei, wenn Menschen ihre jeweilige christ-katholische Berufung lebten, aber daß es nicht ausreiche, ja persönliche Zurückgezogenheit auf das eigene Leben gerne in die Versuchung gerät, sich um die weiteren, öffentlicheren Angelegenheiten nicht zu kümmern. 

Es genüge nicht, wenn Eheleute ihre Ehe und ihr Familienleben "gut" lebten, denn die Ehe hat eine soziale Dimension, ja sie kann ohne diese gar nicht gesehen werden - Öffentlichkeit und Privates bedingen sich in der Ehe! Der Vorrang der persönlichen Enscheidung ist ontologisch zu sehen, aber er bedeutet nicht, daß das eine ohne das andere real bestehen könnte. Also müssen Eheleute in "guten" katholischen Ehen auch bereit sein, die öffentliche Stellung der Ehe zu verteidigen, so unangenehme Konsequenzen das auch oft hat. Man kann nicht tatenlos zusehen, wenn die öffentliche Stellung der Ehe durch gesetzlich legitimierte eheähnliche Ersatzgemeinschaften relativiert wird, die sowohl im Bewußtsein der Gesellschaft wie auch per Gesetz einer Ehe quasi gleichgestellt werden. 

Bekenntnis zum Richtigen auf der einen Seite also, demonstratives, engagiertes Auftreten gegen Verfehlungen auf der anderen - das sind also zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Dies führt zu dem sehr guten, sehr wichtigen Dokument des Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller, das in den ersten Juniwochen mit päpstlicher Approbation veröffentlicht wurde. Darin geht er auf das Verhältnis von charismatischen Gemeinschaften, ja überhaupt der Charismen zur Kirche und den Sakramenten ein. Und er sagt darin sehr viel Richtiges, Gutes, das wirklich aufmerksames Lesen lohnt. Denn eigentlich steht alles drin, und eigentlich reichte es sogar, auf das traditionelle Verständnis von Charismen hinzuweisen.

Aber was der Kardinal in den Augen des VdZ zu wenig macht ist, daß er direkter auf die Realität in den charismatischen Bewegungen eingeht, auch wenn er im Zuge der Veröffentlichung des Dokuments davon sprach, daß diese oft noch einer gewissen "Reinigung" bedürften. Müller macht die wesentliche Abgrenzung im Dokument selbst aber etwas zu wenig deutlich. 

Denn wenn er völlig richtig sagt, daß die individuellen Charismen als Gnadengaben des Heiligen Geistes auf die Sakramente, auf die Kirche selbst hingerichtet sein müssen, ja sich überhaupt erst dadurch ausfalten und erfüllen - nicht zuletzt durch die jeder Gnadengabe unerläßlich notwendige Demut des Gehorsams, der konkret der Kirche gegenüber geschuldet sein muß, weil die Kirche ja inkarniertes Heilsinstrument, das Neue Volk Gottes ist, Gott also keine "Separatkirche" mit seinen "Gnadengaben" gründet, das wäre völlig widersinnig - so sagt er zu wenig darüber, daß sich dieses Verständnis der Charismen, das sich auf die gesamte Kirchentradition berufen kann, mit der Weise schlägt, wie Charismen in der Praxis dieser charismatischen Bewegungen gesehen und "entfaltet" werden.

Denn dort stehen sie allen verbalen Bekenntnissen zum Trotz tatsächlich wie eine "Separatkirche" da. Es wurde nachgerade das Erkennungsmerkmal der charismatischen Bewegungen, Separatformen der Frömmigkeit und des Glaubenslebens zu entwickeln. Ja, gerade diese werden in der Regel sogar als Merkmal von Charisma angesehen! Sie werden für sich gestellt, und nicht wie eine Vertiefung der bestehenden Leiblichkeit der Kirche betrachtet. 

Eine Leiblichkeit, die sich in der Liturgie und im ganzen Zug der Kirche durch den Jahreskreis (als Welt) ausdrückt. Und nirgendwo sonst! Es ist deshalb ein fatales und verräterisches Indiz für geistige Verstiegenheit und Hochmut sogar - und das ist nach den persönlichen (und nicht nebensächlich erfolgten) Erfahrungen mit den charismatischen Bewegungen geradezu ihr Fundament - daß sich diese durch die "Erfingung neuer liturgischer Formen", die die alten, hergebrachten überlagern und sogar verdrängen (bis auf einen gewissermaßen skeletierten Rest, dem einzigen Hinweis auf die Hinordnung auf die Kirche selbst). Denn hier werden Charismen, geistige Gaben, zu "Dingen für sich", werden für sich gesehen und "extra" gestellt. Und werden in den allermeisten Fällen sogar als Berechtigung für Ungehorsam gesehen.

Aber wie Müller eben schreibt: Eine "für sich gestellte" Gnadengabe GIBT ES NICHT. Sie kann nur in ihrem Bezug auf das offizielle und offiziöse Glaubens- und liturgische Leben der konkreten, verorteten Kirche im Umfeld des Gläubigen gesehen werden.  Und diese Vollzüge sind auch die reale Quelle der Charismen. Nicht für sich gestellte dogmatisch-abstrakte Aussagen, die in Äquivokation (also: nomineller Übereinstimmung von Aussage, die aber auf ganz andere Ebene gestellt, in den allermeisten Fällen eben versimpelt und verdinglicht werden) oft völlig mißverstanden werden. 

Wer charismatische Bewegungen im Alltag erlebt, erlebt deshalb so gut wie immer eine ganz gezielte, bewußte Formenveränderung, die einer Neuschaffung entspricht: Neue Lieder, neue Gebräuche in den Liturgien, neue Gebetsformen (gemäß dem Charakter dieser erwähnten Zusammenhänge von ausgesuchter Banalität, Primitivität und sogar Barbarität, die eine ausgesuchte Verachtung der Tradition und Tiefe der oft über viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende gewachsenen Formen zeigt) die allesamt aus einem gar nie für sich zu sehenden Gnadengut einen formschöpferischen (und entsprechen formschwachen - Charismatik heißt so gut wie immer, ja ist ihr Merkmal: subjektivistische Formsuche aus "gefühlten Bewegtheiten") 

Ja, man muß gerade nach Müllers wichtiger (und sogar schon viel zu spät von Rom gegebener) Schrift sogar sagen: Was ist denn ein Charisma "für sich betrachtet" überhaupt, wenn nicht ausgehend von einer konkreten Stellung im hierarchischen Gefüge dieser societas perfecta, der Kirche, eine Gnadengabe, die zur Ausfüllung eben dieser Stelle in der Ordnung der Welt befähigen und beflügeln soll? Diese Stelle im gigantischen, unendlichen Netzwerk der Vorsehung ist es, auf die sich Charismen beziehen. Nicht sie sind deshalb "zuerst da", um dann ihnen gemäß zu überlegen, was damit anzufangen wäre, sondern erst ist die Stelle da weil DAMIT die Sendung, und DANN das besondere Wirken des Heiligen Geistes, der an dieser Stelle deren Innehaber begeistert und beflügelt, auf daß die Kirche als Ganze - als die sie ein nie genug zu bewunderndes Mosaik der Welt ist, und das ist sie ja: Kirche ist Neue Welt - immer vollkommener werde. 

Damit fällt die Charismatik direkt mit dem heutigen Gerede von "Talenten" zusammen, die in der Regel genau gleich gesehen werden. Hinter dieser Auffassung aber steht eine neue und materialistische Anthropologie, die gemäß dem Materialismus davon ausgeht, daß sich ein Ganzes aus den Teilen aufrichtet. Und das ist nicht nur theologisch falsch (auch wenn es sich auf eine Weise theologisch so ausdrücken läßt, aber das tut es nur in richter Weise vor einem viel umfassenderen Hintergrund, keine Aussage der Theologie kann einfach "für sich gestellt" werden, sondern alles hängt mit allem zusammen), sondern das ist auch als Aussage über die reale Welt, es ist also auch in einer rein naturwissenschaftlich-empirisch, immanent-mechanistisch verstandenen Welt falsch und ein Irrweg der Wissenschaft. 

Erst ist der logos, erst ist die im ohnendlichen, alles menschliche Wissen kategorial übersteigendes Wissen Gottes verankerte wie von dort (über den Akt der Liebe des Hervorbringes, also: in einem Akt den Sein bedeutet) hervorgehende Ordnung der Welt. Die in der Kirche in diese göttliche Dimension der Vorsehung als Sakrament (an dem die Taufe teilnehmen läßt) hineingehoben wurde. Aus diesem Geflecht der Ordnung ergeben sich die Individualisierungen - als jeweilige Wesensbestimmtheit, als logos also. Der nicht nur das eigentlich zu Erkennende an der Welt ist (denn das Individuelle ist immer Geheimnis), sondern jeder konkreten Gestalt einerseits vorausgeht, anderseits in gewisser Wechselwirkung mit ihrem faktischen Selbstvollzug steht.*

Denn "Gott ist ideal - aber er ist kein Idealist." Deshalb sind alle Dinge ideal, als auf diese Idee ausgerichtet, die eine Beziehungsidee ist, eine Beziehungsdynamik, und daraus ergibt sich das Wesen aller Dinge, also auch eines konkreten Menschen (bei dem der Akt der Freiheit dazukommt, ohne daß dies heißen kann: Willkür), und daraus ergibt ich die Spannung zu diesem logos als eigentlicher Ort der Selbstwerdung - gleichfalls als Akt und als Akt des Freiheitsvollzuges. Aber sie sind es nicht in der Weise, daß sie "über der Welt - und über der Kirche" schweben, wie Müller es so gut darstellt. Charismatik ist keine Parallelkirche. 

Und der Mensch mit Charismen (und Talenten) ist kein für sich stehender Talent- und Charismenverwirklicher, sondern Mensch an konkretem Ort, der es ist, der seine Aufgabe vorgibt und täglich neu definiert. So, wie im Irdischen also die Identität den Talenten vorausgeht, sie erst konkret werden läßt, so geht auch in der Kirche den Gaben des Heiligen Geistes eine konkrete Aufgabe weil ein konkreter Ort voraus. Charismen - wie Talente - so überzubetonen, wie es heute geschieht, ist deshalb auch gegen die spirituelle Tradition der Kirche gerichtet, die aus gutem Grund (der sogar mit dem Wirken des Heiligen Geistes zu tun hat, ja dessen Voraussetzung ist) eher im bescheidenen Dasein seiner Träger verborgen wurden, statt betont.

Die Frage muß also weiter geogen werden. Weil anhand der realen Gestalt, die die charismatishen Bewegungen zeigen, nicht eher davon ausgegangen werden muß, daß sie in Wirklichkeit das echte Wirken des Heiligen Geistes aus ihren prinzipiellen Motiven heraus VERHINDERN - und genau aus dem Grund so in den Vordergrund stellen, um sich den eigentlichen Weg, afu dem der Heilige Geist wirkt, elegant zu ersparen. Weil man in dieser Herausgenommenheit der Gnadengaben - die somit die Grenzen zur narzißtischen, hochmütigen Simulation verschwimmen lassen - den Beweis für ein Glaubensleben zu liefern meint, das in Wahrheit zur ausgedörrten Wüste psychogener Selbstberauschung wird. Worin sich die Herkunft der Charismatik aus dem protestantischen Raum definitiv zeigt - ja man könnte die Charismatik als Katholizismus definieren, der versucht über den Protestantismus zu existieren.

Hier schließt sich also der Kreis zur Aussage des Triester Erzbischofs sogar auf doppelte Weise. Zum einen weil es nottut, über die Stärkung der positiven Gnadenlehre hinaus auch gegen keineswegs nur im Einzelfall auftretende Probleme vorzugehen, sondern ihre Grundsätzlichkeit zu sehen, die einem Wildwuchs entgegenzustellen wäre, der seit Jahrzehnten schwersten Schaden anrichtet und durch so manche Versuche, ihn "katholisch zu taufen", diesen Schaden perenniert und noch tiefer eindringen läßt. 

Und zum anderen weil auch die Stellungnahme Kardinal Müllers die Sorge nicht geringer macht, ob sich die Kirche realpolitisch nicht auf eine Weise aus der Welt in eine Separatkirche katapultiert hat und katapultiert, und sich damit sogar zufrieden gibt, die dem im natürlichen Menschen- und Geschöpfwesen bereits begründeten Katholischsein überhaupt nicht entspricht und nichts ist als Symptomatik eines weltweit verheerenden Zeitgeistes, der sich auch in allen natürlichen Denk- und Handlungsweisen zum Ausdruck bringt. Weil es Kirche und Welt zu Separatsphären auseinanderreißt, als könnte eines ohne das andere gesehen und begriffen werden. Und sich selbst schon mit Äquivokation zufriedenzugeben, wie sie der Titel ausdrückt: "Iuvenescit Ecclesia", aber im Bezug auf die charismatischen Gemeinschaften mit weit mehr kritischer Distanz gesehen werden müßte, als es geschieht. Sodaß man fragen muß ob es reicht zu meinen, man könne sie mit der Zeit wieder substanzschwerer machen, indem man ihnen wie einem Siechen das Medikament der wahren Täufung nach und nach einträuft, während die Praxis eine Faktenwucht schafft, die auch diese behutsame Strategie bereits als Angstsymptom erscheinen lassen könnte, weil man fürchtet, daß die Auswüchse der Charismatik bereits jetzt "too big to fail" wurden.




*Sehr richtig setzt Xavier Zubiri, dessen ganze Philosophie auf dieser Frage aufruht, logos mit "dynamischem Beziehungsfeld" und "Wesen" gleich. Denn wir erkennen eben das Wesen, das ist das "Bild" der Idee Gottes, das sich in der analog trinitarischen Wesensbeschaffenheit als (in Gott ontisch indefinit-unendlich begründete) Beziehugnsdynamik jedes Einzeldings - und Welt ist nur DURCH und IN Individuellem, das ist die Matrix der Realität - und sohin hält die Welt Wesenserkenntnis hier, Geheimnisoffenheit dort in Bestand.



*150616*