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Samstag, 6. August 2016

Was aber, wenn Erdogan recht hat? (2)

Teil 2) Erdogan ist aber ein Orientale. 
Und daran ist nicht einfach etwas Schlechtes.
Wäre da nicht ein Kulturgefälle.





Erdogan ist nicht unbedingt ein nach europäischen Mustern gestrickter Mensch. Er ist vermutlich nicht einmal sehr intelligent. Was so aussieht ist vermutlich einfache Schläue eines Straßenjungen, der viel kennt und gelernt hat, daß man lieber zweimal zu früh zuschlägt als einmal einzustecken, in die wir Europäer, weil wir von uns ausgehen, Vernunft und Absicht und exakt überlegte Strategie hineininterpretieren. Aus diesem Milieu stammt er ja. Und daß er nach europäischem Mainstream - nach europäischem! - einen gewissen Charakterdefekt hat steht außer Streit. Der VdZ glaubt nicht, daß Erdogan ein großer Stratege ist. Nicht aus dem Beobachteten, nicht aus so vielen anderen Gründen, für die auch schriftliche Zeugnisse (Biographien) Belege liefern, wenn man sie zu deuten versteht. Gründe, Einzelmotive, denen er treu ist, Teilabsichten denen er strikt folgt, ja. Aber das ist keine Strategie.

Aber verhält er sich nicht einfach wie ein Orientale?  Europäisch ist kein Orientale, und er ist es nie gewesen. Das stellen sich nur die Dorfschwabbler mit Großstadt-Outfit vor, zu welchen so viele Europäer geworden sind, die sich gar nicht vorstellen können, daß es jemanden gibt, der Dinge tut und denkt, die eben ein Europäer nicht tun würde und auch nicht zu denken vermag, und trotzdem kein Problem damit hat weil sich sein Ehrgefühl ganz anders auspolt. 

Der Orientale ist nach allen Zeugnissen und Erfahrungen seit je kein strikt-logischer, philosophischer Mensch, wie der Deutsche, der Europäer. Er kann mit europäischer Distanziertheit und Objektivität nichts anfangen, sie ist ihm schon menschlich unsympathisch, und liebt wesenloses Theater.

Darum gibt es dort auch kein Theater im eigentlichen Sinn. Eine solche Anstalt würde sowieso niemand ernstnehmen - der Orientale sucht nicht die alles tragende Wirklichkeit, wie der Europäer, diese geht im "Kismet" unter, der Beliebigkeit Gottes, der nicht "Vernunft selbst" ist. Das ist nur etwas für europäisierte, entislamisierte Atatürk-Rationalisten. Und, in gewissem Rahmen - für Sufisten, wie letztlich Gülen. Gülens Lehren versuchen diese Verbindung von Vernunft und Offenbarung. Also hat auch das Wort dort eine andere Bedeutung. Gülen vertritt eine Art Synthese von Atatürks europäisch aufgefaßter Modernität samt deren Nationalismus - und dem Islam.

Deshalb hat er ein anderes (wobei: keineswegs völlig unnachvollziehbares, für einen strengen deutschen Menschen sogar tatsächlich als abzulehnen qualifiziertes) Verhältnis zum Wort, zur Sprache, zum Versprechen, zur Logik, und damit zum Denken. Einem vernunftlosen Gott kann Logik niemals entsprechen, sie ist deshalb auch kein Weg zu ihm.

Deshalb steht seine Identität ständig am Prüfwasser; denn Identität braucht Erinnerung, Wirklichkeit, also Urteil, also strenge Begrifflichkeit. Er kann morgen tun, was er heute ablehnt, und übermorgen wieder umgekehrt. Das ist ihm keineswegs "Charakterschwäche" wie dem Europäer, sondern Klugheit. Welt bleibt damit Traum. (Möglicherweise ist das der tiefere Grund des Konflikts mit den Kurden, die soweit der VdZ damit Erfahrung gemacht hat (und die hat er) anders, sogar "europäischer" sind, und den Türken sogar vorwerfen, gar keine Kultur zu haben.) Selbst der Islam als Religion zeigt diese Charakteristik. 

Weshalb auch alle Versuche, ihn als "christentums-kompatibel" darzulegen, ihn europäisieren zu wollen, schlicht und ergreifend Ausflüsse von Intelligenzschwäche sind, sonst gar nichts. Mehr als einen allfälligen momentanen Teilnutzen wird der Orientale nie in Europa und seiner Kultur sehen, und nur so weit wird er ihr auch folgen. Das heißt noch dazu nicht einmal, daß sich beide Kulturen auf Augenhöhe begegnen, das tun sie nämlich nicht. Das tun nicht einmal die Kulturen der Völker in diesem geographischen Raum untereinander. Einige ist anderen weit überlegen, wie das eben ist auf der Welt. Welche welcher möge sich der Leser aber selbst zusammenreimen. Es hat aber in einem Ausmaß mit der Sprache - und damit der Sprache der Heiligen Bücher - zu tun, daß der VdZ es nicht mehr wagt, diesen Gedanken hier weiterzuführen.

Denn darin liegt der Schlüssel zu dem so oft beklagten Umstand, daß islamische Völker praktisch keine eigene Kulturentwicklung kennen, alle Entwicklungen anderen Kulturen entstammenden, lediglich genutzten Umständen verdanken. Atatürk dürfte das immerhin gesehen und deshalb (!) eine Sprachreform - weg vom jede Entwicklung verhindernden, ja man muß fast sagen: absurden (Atatürk nannte es "stinkenden Leichnam") Arabischen, hin zu einem neuen, entarabisierten, latinisierten (und damit latinistisch-logisierten) Türkisch* - als Schlüssel zu einer Entwicklung erkannt haben.

Also haben sich einfach in der Türkei zwei gefunden - ein zentralistisch-totalitärer Erdogan, und ein Volk, das mehrheitlich (und zu dieser Mehrheit gehören auch die meisten rechten, nationalistischen Bewegungen, selbst wenn sie nicht direkt Erdogan-Anhänger sind; die könnte jeder nationalistische Politiker hinter sich sammeln, also auch ein Gülen) genau so einen Herrscher möchte und braucht. Auf das Erdogan paßt wie die Faust aufs Auge.

Mit europäischen Maßstäben sind die Türken nie zu messen gewesen. Denn die Türken bzw. die Völker der Türkei sind eben kein europäisches Volk. Die Türken selbst, die dann die heutige Türkei eroberten und formten, kamen sogar relativ spät - ab dem 11., 12. Jhd. - aus Asien, und füllten unter dem Fürstengeschlecht der Osmanen das Machtvakuum, das die Byzantiner (nach ihren Niederlagen gegen die Seldschuken, wie die bei Manzikert) nach Arabien auch hier hinterließen.

Europäisch sind sie nie gewesen und nie geworden. Daran ist sogar Atatürk gescheitert: auch seine Pläne, die Türken europäisieren zu wollen, sind in Wahrheit nie aufgegangen. Seine Hinterlassenschaft ist ein gewisser Anteil an "modernen" Türken, die regelrecht ihren eigenen Wurzeln entsagt haben (das ging bei Atatürk bis zu Latinisierung und Reform der Sprache), und nun ein tatsächlich gespaltenes Land sichtbar machen, weil sie in die "alte" Türkei, die eine deutliche Mehrheit vor allem im einfachen Volk hat, nicht paßt. Hier existieren tatsächlich zwei Gesellschaften, die Kurden oder Armenier sind dagegen noch ein bewältigbareres Problem.

Das beweist die heutige Türkei endgültig. In der diese Bestrebungen über all die fast 100 Jahre ihres Bestehens in der heutigen Form nie geruht haben, wirklich nie griffen, das Alte aber immer latent blieb, und nur durch starkes Militär und Ordnungsmächte unterdrückt werden konnte. Das ergibt Mentalitäts-Unterschiede, die auch eine christlich-abendländische Politik einfach als "Andersheit" hinnehmen sollte, wo soll das Problem liegen? Europa hat im Gegensatz zu den Amerikanern keineswegs Ziel und Aufgabe, die Welt - oder die Türkei - zu retten. Es hat deshalb die Möglichkeit, sich jene politischen Linien mit außereuropäischen Partner auszusuchen, in denen Interessen zur Deckung kommen.

Aber schon Otto von Habsburg hat völlig richtig festgestellt: Europa liebt die Türkei. Aber diese gehört nicht zu Europa. Die Türkei hat eine andere Sendung ein einem anderen geographischen Raum. Kehren wir hier zum Anfang zurück.

 Nur eine These

Na klar: was und wenn und wenn nicht ... Näheres weiß man nicht vom Putschversuch in der Türkei. Alles bleibt Spekulation. Als Versuch, zu verstehen, Hintergründe hinter Geschehnissen zu verstehen. Denn sie sind es, auf die es letztlich ankommt, will man eigenes Handeln vernünftig gestalten. Und wir Europäer sind ja betroffen, involviert. Man weiß ja auch von der landläufigen Lesart (samt einem Watschenmann vom Dienst - Erdogan) nicht viel Verläßlicheres. Sie ist nicht weniger auf Mutmaßungen angewiesen ist. 

Also muß es auch erlaubt sein zu fragen, ob es nicht klare Interessen gewisser global agierender Mächte geben könnte, die Türkei in der heutigen Form zu destabilisieren. Durch ein Benützen der völlig richtigen, natürlichen Ressentiments der Europäer gegen die vielen Millionen Türken, die Europa bereits als Parallelgesellschaften durchlöchern, durch inszenierte oder geförderte Terroranschläge direkt in der Türkei, oder wie jüngst vielleicht gar durch ganz leicht angestoßene Putschversuche gegen ihre Regierung. Die diesen Interessen vielleicht nicht immer so dienlich ist, wie es jenen Mächten genehm wäre. Und sei es, weil sie orientalisch ist.




*Das Türkische als Sprache gehört den Altaisprachen zu, wie das Mongolische oder das Sibirische, in ganz weitem Sinne (weil historisch-linguistisch bereits enorm entfernt) auch das Ungarische und Lappisch-Finnische als ural-altaische Sprachengruppe, in die das Koreanische und Japanische, aber auch das Eskimoische fallen. Altaisch heißt mit Sprachcharakteristiken, die (wie u. a. P. W. Schmidts linguistische Untersuchungen belegen) den vaterrechtlich organisierten Nomaden-Viehzüchter-Völkern eigen sind. Grammatik einer Sprache ist ja immerhin der direkteste Ausdruck eines  Weltbefindens, sodaß man sehr gut sagen kann, daß gleiche Sprache auch gleiche seelische Stimmung - also Kulturdisposition - bedeutet. Die Türken sind der westlichste Ausläufer dieses breiten, asiatischen Kulturbandes, das im Osten bzw. dessen Süden bis zu den Chinesen reicht.




*020816*