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Sonntag, 25. September 2016

Alles einender Weltengrund

Die ursprünglich allen Völkern und Menschen gemeinsame religiöse Selbstverständlichkeit des "einen Gottes"* zerfiel im Laufe der Geschichte. Denn es fehlte nach dem Paradies die reale, personale Präsenz. Gott Vater, der reine Geist, war nicht mehr direkt sichtbar, der Mensch hat sich dieser Sichtbarkeit und Präsenz begeben. 

Also begannen sich mit der Zeit überall, Personalisierungen von Einzeldynamiken (Topoi) als das unsichtbare Wirkliche, also der eigentlichen Wirklichkeit, die hinter allem steht und die allem Sein zugrunde liegt - der einzige unbewegte Beweger, wie es Aristoteles formulierte - herauszubilden. Diese personalisierten Gestalten selbst waren dabei eher nebensächlich, in ihrem Rang mit dem späteren inkarnierten Gott in Jesus Christus nicht vergleichbar. In diesem Sinne begannen sich auch die Religionen je nach dem zu unterscheiden, was den Menschen in der erlebten Welt unmittelbar begegnete, und über die Eltern (v. a. die Mütter) an die Kinder (die "aus der Mutter heraus" zur Welt kommen und diese dann im Vater sind) je weitergegeben wurde.

Das zeigt sich in einer gewissen "Ökumene", die alle Religionen zueinander hatten. Die Religion aller Menschen war im großen Ganzen weltweit gleich, weil auch die Erlebenswirklichkeit überall die gleiche war. Die Lebensweise unterschied sich weltweit kaum, begann sich erst zu unterscheiden. (Wobei ihr eigentlicher Grund überall - und bis heute - gleich ist. Die Menschen unterscheiden sich weltweit nur in Marginalien voneinander.) Also herrschte auch weitgehend Übereinstimmung jenen Dynamiken gegenüber, die als tragender Weltengrund erfahren wurden.

Die angebliche Toleranz der Römer anderen Göttern gegenüber war deshalb auch gar keine Toleranz, sondern in den fremden Göttern fremder Völker traten ihnen ja dieselben Topoi (einzelne konkretisierte, abgegrenzte, isoliert identifizierte Wirklichkeitsdynamiken) gegenüber. Und wenn es Begrifflichkeiten (Gestalten, Göttergestalten) gab, die auch in ihrer Wirklichkeit vorkamen, die sie bisher aber noch nicht zu Gestalten isoliert weil abgegrenzt hatten, so war es völlig normal, diese "neuen Götter" in den eigenen Kanon mit aufzunehmen. Mit Toleranz hatte das überhaupt nichts zu tun. 

Deshalb herrschte auch weitgehende Erlebensgleichheit in den Elementen, die Erlösung und Heiligung brachten. Die alten religiösen Lehren und Schriften enthalten deshalb viele Elemente, die sich später im Christentum definitiv und am umfassendsten fanden. Sie sind Elemente, die man aus dem normalen Lebenshorizont erfassen kann, wenn auch noch nicht konkretisiert. Dazu braucht es dann das Konkrete - die Gestalt. Selbst die "Konzepte" der Teilhabe am Göttlichen waren überall gleich: Das Selbstopfer. Und darin wurde versucht, diese Erlösung des Menschen in den jeweiligen Riten zu historisieren, also real zu machen.**

Diese finale Lösung, die alle übrigen Lösungen natürlich bei weitem übertraf, und zwar nicht nur quantitativ, sondern vor allem in der Dimension weil nun erst: in der finalen Realität, die sich zuvor alle nur erhofft, gewünscht hatten, fand sich dann in Jesus, dem Sohn Gottes. Der Erfüllung eigentlich aller übrigen religiösen Sehnsüchte, die in der Tatsache eines inkarnierten Gottes kulminierte und nur dort kulminieren kann. Was ebenfalls aber kein neuer Gedanke war. Nur hat er sich noch nie realisiert, historisiert, erst eben mit Jesus dem Christus. Der nicht nur die Wahrheit "lehrte", sondern der sie "war". Und damit an das uralte menschliche Wissen (das in den Religionen auf eine mehr oder weniger vollständige Weise als Erinnerung bestand) aus jenen Tagen anschloß, in denen, wie die Bibel darstellt, Gott "im Paradies wandelte", der Mensch als Gottes Ebenbild damit auch der Wahrheit in Personsgestalt ähnelte. WENN er sich ihr offenhielt, für sie bereit war - im Gehorsam. 

Denn die Welt besteht in einem Zueinander von Gestalten, und sie nimmt am Leben teil durch die passive (bloße Materie) und aktive (lebendige Wesen, in einer bis zum Geistigen im Menschen aufsteigenden, also schließlich auch den Geist umfassenden Form) Teilhabe am je Begegnenden - dem als Schlußstein natürlich das Leben, die Wahrheit, der Weg selbst fehlte. Der inkarnierte Gott.

 



*Die bis heute unübertroffene, gewaltige Untersuchung fast sämtlicher Religionen und Völker der Welt durch P. Wilhelm Schmidt ist in ihrer Aufweisqualität wärmstens zu empfehlen. Schmidt zeigt auch, daß der Mehrgottglaube, der überall in Magie (Technik) übergehet, Dekadenz- und Verfallserscheinungen einer zunehmend technisierten Religion sind.

**Das macht den tibetischen Buddhismus in diesem Punkt recht interessant, denn er kennt den Gedanken der historischen Inkarnation Gottes (im Rahmen des Buddhismus natürlich in entsprechend widersprüchlicher Form, die sich nur mit "Fideismen" zusammenklittern läßt - der tibetische Lamaismus ist, was nur wenige zu wissen scheinen, ein verzweigtes System wildesten, ja primitiven und sogar brutalen Aberglaubens) in der Gestalt eines jeweils inkarnierten "Lama" (als über die Zeit je fleischlichen Buddha).





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