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Montag, 12. September 2016

Ein Phänomen

Eigentlich ist Volker Pispers ein Phänomen. Ein Phänomen, das viel über den Menschen erzählt. Er ist das Phänomen, wie man ohne überhaupt eine Ahnung zu haben aus kleinen Teilkonstellationen (die natürlich Teilwahrheiten enthalten, sonst wäre ja Humor gar nicht möglich) derartig amüsantes Kabarett machen kann. Ein unglaublich kluges, geschicktes Spiel mit Einzel-Archetypen. Und das ergibt eine Aussage über das Wesen der Kommunikation, die überaus bemerkenswert und erhellend ist.

Da sind enorm viele Teilwahrheiten in seinem Vortrag. Etwa wenn der (enttäuschte) rote Pispers die Sozialdemokraten aufs Korn nimmt, wenn er deren historisch so logische Annäherung an die Industrie (jeder kann es in Österreich ganz besonders klar beobachten: Die Stellungnahmen der Industriellenkammer decken sich fast wortgleich mit Wortmeldungen aus dem Zentralbüro der SPÖ) darstellt, so kann man ihm nur gratulieren. Ja, teilweise ist Pispers umwerfend brillant! Nehme der Leser die Passage ab 1 h 15 min. Oder die Merkel-Kritik bei 1h 27 min. Oder die umwerfende Stelle bei 1h 30: "Islam, um Gottes willen! Für Katholiken ein Greuel: Leute, die ihre Religion ernstnehmen! Oder glauben Sie im Ernst, daß sich die 1 Million junger Katholiken, die dem Papst am nächsten Tag auf der Festwiese zugejubelt haben, sich in der Nacht davor an das gehalten haben, was er verkündet?"

Oder - oder - oder. Ein Feurwerk. Absolut sehen- und hörenswert. Man würde Volker Pispers dann mit herzlicher Sympathie ein wirklich gutes Philosophieseminar empfehlen. Es wäre immerhin ein Anfang, den Rest muß halt das Herz ohnehin selber leisten. Und wollen. Denn zu oft greift er auch sachlich völlig daneben, da wird der (an sich neutrale) Empörungsimpuls zu deutlich durch Irrtum befüttert. In solchen Fällen weiß man oft, wo etwas fehlt, aber zieht die völlig falschen Schlüsse.

Die Arbeit mit Teilwahrheiten ist an sich eben die Arbeit von Verführern. So arbeitet gute Propaganda. Was im großen Ganzen rauskommt interessiert gar niemanden. Solagne die Pointen stimmen. Viele Teilwahrheiten geben eben auch gerne die Illusion, daß das Ganze dahinter wahr ist. Bei Pispers beschleicht einen regelmäßig das Gefühl, er wäre einem Entschluß der Bergarbeitergewerkschaftsgruppe Bochum entsprungen.

Man sieht aber noch etwas: Intelligenz, Talent ist an sich eine völlig leere, ja in sich sinnlose, sogar gefährliche Fähigkeit. Denn es ist immer erst der Sinn, der Ort, an dem ein Mensch steht, der ein Talent zur sinnvollen Aufgabenbewältigung - zur "Kompetenz" - macht. Wie überall, kann man bei Pispers nur einen sehnsuchtsvollen Wunsch ausstoßen: Wäre er nur so klug, wie er talentiert ist! Denn sein Kabarett ist zum Brüllen komisch. Er weiß scheinbar aber selber nicht, daß man auch über Dinge lacht, die man nur als Möglichkeiten im Kopftheater hin- und herschieben läßt, ja, mit denen man sich selbst im Fiktiven herumschieben läßt. Das heißt, daß gerade die, die NICHT seine Gesamtsicht teilen, wohl am meisten über ihn lachen können müßten.









*140716*