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Donnerstag, 8. September 2016

Persönlich ein Märtyrer, als Zar am falschen Ort

Zar Nikolaus II. mit Frau Alexandra im Krönungsornat
Die Historiker geben zu, schreibt Robert K. Massie in "Nikolaus und Alexandra", daß Nikolaus ein guter Mensch war. Er war milde, hatte persönlichen Charme, war gütig, liebte seine Familie und war tief religiös. Er war ausgeprägt patriotisch, und sah sich als Vater des einfachen Volkes. Insbesonders seine (hessische) Frau hatte größte Probleme mit der feudalen Elite, und auch sie sah sich als Mutter des Volkes. Doch heißt es, schreibt Massie, diese Dinge zählen hier nicht. Es komme allein darauf an, ein guter Zar gewesen zu sein. (Selbst wenn Nikolaus II. im Jahre 2000 von der russisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochen wurde. Österrreich hat mit Karl I. ein ähnliches Problem.)

Dabei kann man das nie abstrakt oder technisch alleine sehen. Mit seinen Eigenschaften wäre Zar Nikolaus II. ein sogar hervorragender König Englands gewesen. (Zu dessen Königshaus er ja ohnehin engste verwandtschaftliche Beziehungen hatte, und dem englischen König George, seinem Cousin, sah er derartig ähnlich, daß man die beiden auf Photographien kaum auseinanderhalten kann.)

Private und religiöse Tugenden zählen hier nicht. Man muß auch der richtige Herrscher zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Und das war Nikolaus offenbar nicht für das Rußland der Wende vom 19. zum 20. Jhd. Er war kein großer Zar. Auch wenn das Krönungszeremoniell von den Byzantinern übernommen unverändert geblieben war.

Historisch waren das Peter der Große, Iwan der Schreckliche, Lenin und Stalin. Sie hatten durch bloße Macht und Terror die zivilisatorisch rückständige Nation mit der Peitsche vorwärtsgetrieben. Bis vielleicht in die Gegenwart hinein haben die Russen in ehrfürchtigem Schrecken zu dem skrupellosen Mann aufgesehen, der die Peitsche schwingt und sie vorantrieb. Peter der Große, der seine Feinde auf der Folterbank zerbrechen und am Roten Platz aufhängen ließ, der seinen eigenen Sohn dem Foltertod auslieferte, ist den Russen dennoch "Peter der Große".

Nikolaus, der mit weit milderer Hand regierte als irgendein Zar vor ihm, ist den Russen aber als "der blutige Nikolaus" in Erinnerung. Eine wirkliche Ironie, die dem Westen Europas aber mehr verständlich ist, als er sich eingestehen will. Der russische Zar war eben eine für das Europa des auslaufenden 19. und beginnenden 20. Jhds. typische Gestalt. Es gab eine Menge wie ihn. Ludwig II: von Bayern etwa, oder Franz Joseph I. und Karl I. von Österreich. Ihnen stand ein entfesseltes, losgerissenes, verwirrtes, entortetes und fehlgeleitetes Volk gegenüber, in dem ganz neue Mechanismen wirkten. Diese Könige wurden zu Köpfen ohne Leib.

Herrscher, die von einem großen Pflicht- und Hingabeethos getragen waren. Die ihre Arbeit taten und sich für nichts zu schade waren. Man denke alleine an den österreichischen Kaiser Franz Josef, einem Ausbund an Pflichtbewußtsein und Prinzipientreue. Es berührt, in Schönbrunn den Ohrenstuhl vor seinem Schreibtisch zu sehen, an dem die rechte Stütze dunkel ist, weil er so oft bis zur völligen Erschöpfung arbeitete, bis er einschlief. Oder gar an den sogar bereits seliggesprochenen letzten Habsburger Kaiser und König von Ungarn, Karl, der schon völlig hilflos noch sein Bestes versuchte, aber den Mut nicht mehr aufbrachte, sich auch mit Gewalt gegen den Zerfall zu stemmen. Ihre Mittel reichten aber nicht mehr für diese Zeit, und um sich zu modernen Despoten aufzuschwingen, wie sie als Politiker-Massenerscheinung bis heute kamen, fehlte ihnen die Niedrigkeit.

Der Zar nahm die Krone zwar aus der Hand der Kirche, setzte sie aber selbst auf
Denn die politischen Kräfte hatten sich im 19. Jhd. geändert. Sie waren technisch geworden. Zuvor war das Schicksal eines Landes noch in höchstem Ausmaß von Erfolg oder Versagen seiner Herrscher ganz persönlich und direkt abhängig. Nun traten aber abstrakte Kräfte auf, die das Persönliche unwesentlich machten. Und sie rissen die europäischen Staaten in völlig neue Wirbel, die sich der Kontrolle durch einzelne Personen entzogen. Und die auch über diese persönlich so vorbildlichen, integeren Herrscher brutal hinwegbrausten. Was zum 1. Weltkrieg führte war bereits neuzeitlich bestimmte "Politik".

Die Monarchien, aus denen Europa damals mehrheitlich noch bestand, waren solche fast nur noch einem Anspruch (logos) nach, der kaum noch sichtbar und immer schwächlicher betrieben wurde - überlagert von einem neuen Schein. Nur noch darum ging es nun.

Es ist eine der so häufigen Ironien - dabei: so gerecht! - der Geschichte, daß die Romanows ausgerechnet von jenen Kräften, die sie in ihren größten "Erfolgen" so energisch ins Land holten und weckten, dann zum Opfer fallen sollten.

(Franz Josef hat zeitlebens keinen  Fuß ins Parlament gesetzt.) Das Martyrium der beiden eng-persönlich wohl größten Herrscher des 20. Jhds. - Karl von Habsburg und Nikolaus II. von Rußland - war ein Martyrium am Abendland überhaupt. An seinem logos, seiner konstituierenden wie einzig organischen Form, die durch den Technizismus bereits unwiederbringlich zersetzt waren.

Denn die gesellschaftlich bestimmenden Kräfte waren nicht mehr an die eigentliche, einzig lebendige Achse angebunden: die des Persönlichen. Politik kann nur persönliches Stehen vor Gott, nicht eine Resultante von Ablaufoptimierungen und "Fähigkeiten" sein. Sie ist deshalb eine Frage des Ortes. Und nur mit Abscheu kann man die Politiker der Gegenwart - sämtlich illegitime (wenn auch "legale") Emporkömmlinge und Charakterwüsten - betrachten, die um diese Notsituation, in der sie in den Demokratien stehen, gar nicht mehr erkennen. Volk und Herrschaft stehen in einer organischen, persönlichen Schicksalsgemeinschaft zueinander, wo sich das Persönliche aus dem Ort definiert, dem logos, dem Wesen, nicht aus "Fähigkeiten". Oder sie fallen. Beide.

Deshalb starb Nikolaus II. mit seiner gesamten Familie wirklich als Märtyrer. So wird er auch von der orthodoxen Kirche - deren Priester er war, denn der Zar war auch Priester* - gesehen und verehrt. Denn er WAR ein außergewöhnlicher Mensch, und er bewies spätestens am Ende sein Herkommen aus heiliger Größe.





*Darüber, wieweit die Königswürde auch eine priesterliche, religiöse, also sakramentale Würde zugleich war, gab es im Westen einen jahrhundertelangen Disput. Ursprünglich und aus der im Volk bestehenden selbstverständlichen Auffassung war es so. Definitiv getrennt wurde diese Union aber im Zuge des Investiturstreits, spätestens ab dem 11. Jhd., wo das Königtum offiziell (inoffiziell etwa in Frankreich noch bis ins 19. Jhd., wo der Volksglaube dem König noch wundertätige weil sakramentale Kräfte zuschrieb) nicht mehr im sakramentalen Sinn und auch als Priesterwürde aufgefaßt wurde. Denn hier gab es für die religiöse höchste Weihe - den Papst. Welt und Reich Gottes fiel definitorisch sogar auseinander, und zu weit auseinander: Ins Falsche der "absoluten Trennung von Kirche und Staat". Beides hat in der orthodoxen Kirche - aus dem byzyntinischen Erbe heraus, wo es ja so war - bis heute aber eine äußerste enge, ja gar nicht zu trennende Verbindung. Wer das nicht sieht, begreift nicht nur das Rußland von heute nicht. Er begreift auch nicht, warum sich die Demokratie im Westen überhaupt hält. NICHT wegen der Demokratie! Sondern wegen der alten, tiefen, tiefstens verwurzelten weil ontologisch begründeten Bindungskräfte in den Menschen. Nur so ist die Akzeptanz von so abstoßend widerlichen Figuren wie Angela Merkel (etc. etc.) überhaupt erklärbar. Weil die Demokratíe, wie deMaistre so richtig feststellte, eine einzige Lüge ist, die den Niedrigen von Nutzen ist, die das Wahre und Echte in den Völkern für ihre Zwecke benützen.





*300716*