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Montag, 5. September 2016

Wenn Soziales Interessensübereinkunft wird

Weil als Folge der Auflösung sozialer Gefügtheiten, wie sie nur ein aristokratisch-monarchischer, hierarchischer Gesellschaftsaufbau herausbilden kann, der Verlust der natürlichen sozialen Bindungen immer augenfälliger wurde, entstand eine völlig neue Anthropologie, die den Schrecken vor dem Egoismus, der nun latent wurde, umdeuten sollte. Umdeuten, denn verleugnen kann sie ihn nicht.

Und das geschah durch die Theorien von der "Interessensübereinkunft". In dem moralisches, soziales Handeln als "vorteilhaft" erklärt wurd. Vorteilhaft sowohl für den, der sozial handelt, als auch für die Mitmenschen, an denen er handelt. Die aus sozialem Bindungsverlust entstandene Leere ist eben nur noch durch Zweckdenken zu füllen, weil ja "beide etwas davon haben". Kann man Eigensucht besser kaschieren? Denn diese jene leugnen ja gar nicht, daß nur Eigeninteresse als Handlungsmotiv bleibt. Sie rechtfertigen aber soziales Handeln genau aus diesem Eigeninteresse - denn man häte ja auch selber Nutzen davon.

Aber um die soziale Aufeinandergewiesenheit (die Abhängigkeit aller von allen) zu entkräften, der man nicht mehr dienen will, brauchte es auch eine Anthropologie, die den Einzelnen nicht mehr in der Hingabe an den anderen, im Opfer, in der Selbstüberschreitung sah, sondern im rationalen Zweck der Bildung eines Selbst am Leitfaden des Eigeninteresses. Jenes Eigeninteresses, das als einzige Richtlinie bleibt, wenn soziale Bindungen nicht mehr den Zweck der Werdung durch den anderen bedeuten, der andere also zur Selbstwerdung notwendig gebraucht wird, und zwar in seiner gegebenen Position mir gegenüber, sondern mangels sozialer Verbindlichkeit (aus der Gleichheit aller) zu einem Kampf der Selbstbehauptung aller gegen alle wird. 

Womit wir im übrigen mitten im psychosozialen Grund der Evolutionstheorien stecken, die mangels Schöpfer gleichfalls keine anderen Ordnungsprinzipien fand als diesen Kampf aller gegen alle. Die keine Handlung kennt, die keinen "eigennützigen Zweck" intendiert, und sei es indirekt - wie bei der sozialen Tat.*

Das geht sogar so weit, daß es als falsch und unvernünftig gilt, sich zu unberechnetem, selbstlosem Handeln hinreißen zu lassen (wie es dem Menschen nämlich eigen ist!), sodaß man es zu rechtfertigen versucht. Man gibt, schreibt Tocqueville einmal zu diesem Punkt, sogar lieber seiner Philosophie die Ehre - als sich selbst. Warum?  

Weil sich diese Theorie so wunderbar an die eigenen Schwächen anschmiegt. Und weil sie so verführerisch wirkliche Tugend vorzutäuschen vermag. Diese Theorie entspricht eben in hervorragender Weise der Verfaßtheit des modernen Menschen: Man erklärt einfach die eigene Schwäche, die Resultat der Zerfallsprozesse des Sozialen und damit der Identität ist, zur unausweichlichen Natur.

Und wie viele der heute populären Theorien fußen nicht darauf! Von den Naturwissenschaften bis hin zu Wirtschaftswissenschaften, wo auch (im selben Zeitrahmen) die Thesen aufkamen, daß die Wirtschaft sich auf Eigeninteresse aufbaue. Es ist der schwerste Fehler auch in der sogenannen "Österreichischen Schule der Volkswirtschaft", die sich (bei allen Verdienstlichkeiten im Einzelnen) wie der Liberalismus generell als ein Kartenhaus darstellt, das als Weltanschauung ohne diese (irrige) Prämisse augenblicks zusammenfällt.

Gibt es in aristokratischen Gesellschaften noch die Tugend um der Schönheit willen, zumindest als (aber darin: gesellschafts-, kulturbildendes) Ideal, so hat die Schönheit in einer Welt, die reines Zweckgefüge ist, keinen Sinn mehr. Denn die Schönheit ist zweckfrei.** Und die Tugend mißt nicht, berechnet nicht, sondern ist um ihrer selbst willen ein Wert, der sich nicht durch irdische Zwecke rechtfertigen läßt. 

Es sei denn, man konstruiert die verschrobensten Erklärungsmodelle (wie all diese heute so verbreiteten Theorieluftballons udn Religionskatablasen, die wie Knetmassen um Realitäten und Erfahrungswerte herumgelegt werden, um Ergiebigkeit vorzutäuschen), die das, was jedem einleuchtet - die Schönheit der Tugend, ja die Schönheit als eigentlichsten Sinn der gesamten Welt und Schöpfung! - doch noch irgendwie rechtfertigen soll. Ja, das Schöne ist sogar identisch mit dem Heiligen selbst.





*Besonders bedauerlich ist dabei die unselige, aber zur wahren Volksseuche gewordene Mißdeutung Kants, dessen kategorische Maxime simplifiziert (weil unverstanden) und zur Moral aus Eigennutz umgedeutet wird: Schließlich habe man ja selber etwas davon, wenn alle sich anständig verhielten (á la "Was du nicht willst daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu!")

**Zweckfrei, aber nicht nutzlos oder gar sinnlos.





*010816*