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Freitag, 28. Oktober 2016

Aber die größere Gefahr ist der Relativismus (5)

Teil 5)





Aber das Heilsgeschehen, der schöpferische Weltengrund, ist kein berechnbares, rein menschlich-irdisches Nutzengeschehen

In keinem Fall kann aber diese liturgische Formenstrenge als "fanatische Starrheit" bezeichnet worden, wie es neuerdings selbst höchste vatikanische Stellen plötzlich wieder definiert sehen wollen. Das ist nicht nur falsch, sondern ungerecht, nicht nur oft verleumderisch, sondern Gotteslästerung. Denn nur sie ist der Garant, nur der direkte Nachvollzug dessen, was Gott selbst als Gegenwärtigsetzung des Heiles in dieser Welt tat und somit zum Sakrament - der jedes Symbol durch seine Realität übersteigenden wirklichen Wirklichkeit des reinen Geistes in der Gestalt - hinterließ, das alles ins Sakramentale hebt, in diese reale, fleischlich-dinglich konkrete Verbindung von Übernatur und Natur, die die endgültige, ewige Welt unter die Menschen getragen hat, für jeden guten Willens zur Teilhabe an ihr offen. Eine Wirklichkeit, die 2000 Jahre lang die Menschen so überwältigte, daß nichts die Grenzenlosigkeit erreicht, mit der sie diesem Vollkommensten alles gaben, was sie hatten, Gold und Silber gegen den Geist gaben, der sich der Hingabe bedient, um unter ihnen zu wohnen, auch wenn sie die Kirchentore verlassen. Das ist der Grund der Üppigkeit, die die liturgischen Formen annahmen - Hingabe, Freude, Spiel, grenzenloser Gestaltungsüberschuß, der jede rein irdische, banale Alltagsform überhöhte, in ihre größte Möglichkeit trieb, der reinen Schönheit, dem reinen Symbol wegen. Auf daß dieser Himmel das ist, was er ist: Lückenloses Gewebe aus Geist, in dem keine Form, kein Ding, keine Gestalt nur "weltliche Funktion" ist, sondern auf das Schöne hin aufreißt, weil er erst dann wirklich es selbst ist.

Das Motiv hinter der heute so beklagenswerten, ja sogar oft angestrebten Entwertung der Form aber scheint klar: Denn in der Ablehnung dieser Formenstrenge, die als Haltung eine der dogmatisch sehr abgesicherten, philospohisch sehr klar erkennbaren Gnadenevokation ist (siehe oben), soll das Tor zu einem Relativismus geöffnet werden, der aber dogmatisch wie philosophisch genau das nicht ist: Wahrheit. Er ist vielmehr der simplifizierende Weg zu einer Gnadentheorie, die das subjektive, rein menschliche Erleben, damit auch die Sentimentalität (als unreines Gefühl der Psychogenese, also: rein innerpsychisch entstandene Realitätssimulation) als den eigentlichen Ort des Gnade - im bewußten "Feststellen, daß es so ist", als eigentlichem Glaubensakt - ansieht. 

Damit wird klar, daß hinter der Auflösung der liturgischen Formen, deren nachlässige Praxis, deren Ersetzen durch menschliche Gesten, ein völlig anderes Glaubens- und Gnadenverständnis steht. Es ist genau das, was Paul Hacker als den eigentlichen Moment des dogmatischen Abfalls von Martin Luther so überzeugend identifiziert hat, wie er in der Kirche aber etwa über charismatische, freikirchlich-protestantische Annäherungen längst Eingang gefunden hat, nur notdürftig dogmatisch "gezähmt" ("katholisiert") wurde, sich aber als Grundstruktur vor allem junger Menschen zu einer breiten, bereits protestantischen und damit nicht mehr allumfassenden, katholischen Erlebensstruktur verfestigt hat.  

Aus dieser Haltung heraus haben sich auch seit Jahrzehnten philosophische Ansätze entwickelt, die unter oft offenen Rückgriff auf Hegels Dialektik das rein Faktische als den eigentlichen Ort der Gnade identifizierten. In dem die Form selbst keinen immer gleichbleibenden Part mehr einnimmt, sondern aus den zufälligen Wechselspielen der menschlichen Lebensvollzüge sich ohnehin "immer" das "Wahre" in einer immer weitergehenden Annäherung zum "Punkt Omega" (T. de Chardin) auf Jesus Christus hin annähert. Damit braucht es keine Formenstrenge mehr, denn wenn letztlich jeder menschliche Impuls, jedes menschliche Handeln einen absoluten Zug hat, der sich in jedem Fall in der Auseinandersetzung mit der Antithese der Begegnung durchsetzt, ist die konkrete Gestalt menschlicher Verfaßtheit völlig gleichgültig. SOLANGE gewissermaßen die Erlösungsfrüchte selbst bejaht werden, zum einen. Zum anderen wird das menschliche Bewußtsein zum eigentlichen Ort des Seins des Menschen. Damit wird auch der Glaubensakt in dem Moment zum "glauben", in dem dieses Bewußtsein als "wissend" formiert ist, daß es sich so verhält, wie der Glaube sagt.

Machen wir es an einem Beispiel konkret: Wer den anderen umarmt, macht ihm die Liebe erfahrbar. Nicht mehr der, der wahr am anderen handelt, der gerecht handelt, auch wenn das meist gar nicht direkt "als Liebe" erfahrbar wird, sondern der, der den anderne "glauben macht", daß er nun gliebt würde, der würde auch die Liebe Christi weitergeben. Nun soll nicht gesagt werden, daß das überhaupt nicht auf diese Weise möglich ist. Aber sehr wohl soll gesagt werden, daß dies als Weiterreichen der Flamme des Reiches Gottes kategorial völlig ungenügend ist. Denn die Weitergabe des Reiches Gottes ist die Weitergabe der fleischgewordenen Gestalt der zur Welt hernieder gekommenen Gnade. Und diese Gnade, dieses göttliche Leben ist (potentiell, nicht mechanisch-automatisch, s. o.) präsent ... in den Formen der Symbole.

Wer deshalb die Menschen liebt, und nicht nur davon redet, gibt und achtet (und vor allem: läßt) die Welt als Geflecht der Symbole. Wer Mensch sein will lebt, wer Lehrer sein will leitet sie an, in diese Symbolwelt hinaufzusteigen. Und das geht nur über Liebe zur Form. Selbst der dunkelste Materialismus als politisches System kam nicht aus, ohne eine Welt der Symbole zu schaffen - er hätte sich bei den Menschen sofort als Todbringer entlarvt. Und keine Frau glaubt dem Manne die Liebe, der ihr keine Welt der Symbole schafft, denn die Frau ist wesentlich reines Symbol, sonst ist sie überhaupt nicht. Wo die Frau in eine Welt des reinen, weltbegrenzten Nutzendenkens hineinfällt, verfällt sie beobachtbar und körperlich binnen kurzem. Sie braucht deshalb die Form, fast noch mehr als der Mann, auf die hin sie sich transzendiert, die ihr nur der Mann als Geber der Idee vermitteln kann, weil erst das ihrer Körperlichkeit Körperlichkeit, also Gestalt gibt. Wo der Mann sie nicht mit dieser Heiligkeit der Formensprache umgibt, tobt sie bald in sich, weil ihre Kräfte im Leeren bleiben.

Und deshalb gilt dies nicht nur für die Kirche, sondern für jeden Leib, dem jemand vorzustehen hat. Leib, der deshalb alles daran setzt, die Gesetze die ihm die Form vorgibt zu halten, zu beachten, auszutragen und zu gebären. Nicht einmal das kleinste Unternehmen kann ohne diese Polarität - Form und gehorsamer Inhalt, in wechselseitiger, aber andersgearteter Zubehörigkeit aus Geben und Nehmen (meinetwegen: das ist sogar im Yin-Yang-Symbol ausgedrückt, ein tiefes Symbol einer der Grundwirklichkeiten der Welt) - bestehen. Wehe aber dem Yin, das der Form des Yang nicht exakt gehorcht. Außerhalb dieser Form ist das reine Nichts.

Nur so kann eine wahrlich menschenwürdige - weil an der Göttlichen Weisheit anhangende - Welt geschaffen werden. Die aus der Opferdramatik heraus lebt, und weiß, daß ihre Aufgabe nicht darin liegt, ein rein irdisch-menschliches Paradies zu schaffen. Das nämlich genau das nicht hätte, was es zu simulieren versucht: Liebe und Geglücktheit, die sich an "irdischem Erfolg" oder "Wohlstand" niemals bemessen kann. Denn die Welt ist mehr als Stein und Materie, als geistlose Lebensdynamik in Pflanze und Tier, deren geistige Analogie nicht in ihnen begründet liegt, sodaß sie sie halten könnten - sie vereht mit ihrem Tod. Der Mensch aber ist mehr als irdisches Fleisch und Gebein. Er ist jenes Wesen, das zwar mit den Füßen auf der Erde steht, aber mit dem Kopf, dem Geist, dem "Führungsorgan", in den Himmel ragt, und so die Wege seiner Füße bestimmt. Er ist jenes Wesen, das die banalen Verrichtungen der Aktions-Reaktionswelt der unbelebten, der vegetativ-belebten, der animalisch-belebten Welt zu übersteigen hat, um sie über die Form des Symbols in den Geist Gottes zu heben.







*Das Reich Gottes in der Neuen Schöpfung, nach allem Ende dieser ersten Schöpfung, nach dem Jüngsten Tag, wird nicht mehr untergehen, weil dann auch die in der jedem Menschen als Erbe weitergegebenen Hinfälligkeit, Brüchigkeit des Menschen - der Grund für die ständige Gefährdung der Welt, aus Gott zu fallen, und damit ins Nichts - wegfällt, das ewige und höchste Glück für alle also (wieder) Bestand hat, weil auch kein Teufel mehr Versuchung zum Abfall bilden kann.




*070916*