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Samstag, 29. Oktober 2016

Demokratie führt zu Zentralismus

Aufgrund der Gleichheit als Vorausetzung der Demokratie stellt sich in einer Demokratie das Paradox ein, daß sie eine Gleichheit der Mittel zu bewirken sucht - und jedem das Ziel freistellt. Einheit aber bedeutet das genaue Gegenteil: Es bedeutet die Gleichheit des Zieles, zu dem aber lauter verschiedene Mittel führen. 

Somit stellt sich in der Demokratie - besonders in alten Demokratien - ein scheinbares Paradox ein: Daß sie automatisch zu einer immer weiteren Stärkung der Zentralgewalt führt. Warum? Tocqueville erklärt es bestechend: Die Auflösung der Zwischenmenschlichkeit als Institution, wie sie die Aristrokratie (=die Monarchie) bedeutet, stellt jeden Menschen vor die Situation, daß ihm die Machtmittel fehlen, seine Lebensprobleme zu lösen. Stattdessen füllt der Staat alle diese Leerstellen, der Bürger steht also immer einem totalen, unendlich mächtigen Staat gegenüber, dem er hoffnungslos unterlegen ist.

Dies löst bei den Bürgern eine Demokratie etwas aus das wie "Friedensliebe" aussieht, in Wirklichkeit aber die immer größere Furcht davor ist, daß sich "etwas ändert" und vor allem daß ihr Wohlstand, das Sichere in ihrem Leben, gefährdet wird - durch einen Krieg. Oberstes Gesetz im Lande wird die öffentliche Ruhe, die sogar zur einzigen Leidenschaft wird.

Das führt zu einem Verhalten, in dem jeder alles haßt, was den anderen von ihm unterscheidet - nirgendwo werden Privilegien so gehaßt wie in der Demokratie - und doch (!) im Geheimen hofft und auf verborgenen Wegen sucht, den Staat "für seine Sache" zu gewinnen, an dessen Macht durch Nähe mehr als andere teilzunehmen, zu welchem Zweck sich die Beamtenschaft als Stand am allerbesten eignet. Nur der Staat kann noch Abstufungen herbeiführen, und er wird immer gieriger, dies auch monopolistisch zu tun, indem er in immer mehr Lebensbereiche vordringt um sie nach seinen Vorstellungen - damit von ihm abhängig - zu "ordnen".

Die Demokratie führt damit aus sich heraus zu einer Haltung der selbstverständlichen, inneren Unterwürfigkeit unter die Zenralmacht, die Staatsgewalt, wie sie keine aristokratische (nicht: absolutistische!) Monarchie auch nur annähernd kannte. Denn in dieser ist zwischen dem Einzelnen und der Zentralmacht eine unendlcihe Fülle von jeweils selbst organisierenden, mehr oder weniger selbstbestimmten Ebenen eingeschaltet, die nach oben vermitteln. Auf diesen Ebenen hat der Einzelne je nach Stand und Persönlichkeit gleichermaßen Verantwortung wie Möglichkeit zu wirken, aber auch viel spezifischeren, zutreffenderen Schutz, weil diese Ebenen weit weit mehr Informationen verarbeiten können  als eine Zentralmacht. Wer die Geschichte der Monarchie in Europa studiert wird zu der überraschenden Feststellung kommen, daß die Mitsprachemöglichkeit des Einzelnen, die Möglichkeit zur Gestaltung und Anpassung seiner direkten Lebensbedingungen, bei weitem größer waren als in den heutigen Demokratien. Die gar nicht anders können als zu verallgemeinern, und dabei den Einzelnen nicht nur simplifizeiren müssen, sondern in dieser Allgemeinheit allzu leicht in die Gefahr geraten, überhaupt keinem Einzelfall mehr gerecht zu werden. Gleichzeitig werden ihre Problemlösungen immer träger und langsamer, weshalb es weithin zu beobachten ist, daß als (dialektische Gegen-)Wirkung in einer Demokratie eine Neigung mancher sozialer Gruppen zur Despotie erwächst. Die heute als "Zunahme des Radikalismus" tatsächlich beobachtet werden kann.

Weil es unausweichlich ist, daß mit der Zeit in der Demokratie das Gefühl der individuellen Ohmacht anwächst. Denn der Bürger sieht sich ständig übergroßen und in der Verallgemeinerung der Gleichheit immer weniger aufs Einzelne zutreffenden Agenden gegenüber, auf die er keinen direkten - höchstens abstrakt irgendwie (z. B. über die "Wahlen") vorgestellten - und geordneten Einfluß hat. Entsprechend gewinnen simplifizierte, abstrakte Ideen an Gewalt und Bedeutung, einersetis, udn entsprechend formieren sich Einflußfaktoren, die sich nicht mehr an demokratische Prozesse selbst halten, sondern über andere Faktoren versuchen, die Mittel und die Gewalt über Einfluß auf die Zentralgewalt zu lenken (wie im Lobbying, in NGOs und Vereinen, über Medien, Parteien etc., oder schließlich über Korruption.)

Der Zentralismus als Lauf der Demokratie führt zu einer ungeheuren Gleichheit des Fühlens, die von dieser Zentralmacht, die immer weiter anwächst, ausgeht weil sich an ihr orientiert. Was die Zentralmacht immer ausschließlicher zum Objekt der Begierde macht, und zwar auch der ausländischer Mächte. Sogar im Falle eines Krieges, denn ist es in einer aristokratischen Monarchie fast nicht möglich, ein "Volk" zu unterwerfen, weil auch der Verteidigungswille ungleich ausgeprägter und vor allem dezentralisierter ist, besiegt man die Regierung, fällt in einer Demokratie mit der Regierung sofort das Volk (was heißen kann: schon am Verhandlungstisch), das in seinem individuellen Verteidigungswillen ohnehin schwach ist. Mit der Regierung, mit der Hauptstadt eines Landes "hat" man in einer Demokratie das Volk.*

Dieses Anwachsen des Zentralismus liegt in der Demokratie schon rein in der Dauer begründet, weil die Bürger entsprechend herangezogen werden, sich immer mehr daran gewöhnen, und dieses Daseinsgefühl in dem Maß selber und progressiv steigend stärken und weitergeben, als die Gleichheit vorangeschritten ist. Die Ungleichheit selbst wird zum Störfaktor und Problem. Je länger die Demokratie als Staatsform in einem Volk dauert, desto feiger - ja, man müßte sogar sagen: desto hinterhältiger - werden ihre Bürger.

Gleichzeitig hassen zwar die Bürger alle gesellschaftlichen, staatlichen Institutionen und Organisationen der Gewalt, doch lieben sie die Gewalt direkt und immer bedingugsloser, weil nur diese die Garantie der Gleichheit bedeutet, die zugleich und vor allem die Gleichheit des anderen garantiert. Der Mensch der Demokratie gehorcht keinem Nachbarn, weil ja alle ihm gleich sind, und er von niemandem abhängig ist, weil alle gleich sind - das macht ihn stolz. Er weigert sich, die Überlegenheit des anderen anzuerkennen, er mißtraut dem Rechtsgefühl des Nächsten und betrachtet seine Macht argwöhnisch und läßt ihn jeden Augenblick die gemeinsame Abhängigkeit vom Staat fühlen. Menschen, die zuvor eine Oberschicht ablehnten, anerkennen nunmehr einen unvergleichlich mächtigeren Oberherren, dem sie sich in scheinbarem Widerspruch zu dem erwähnten Stolz völlig unterwürfig zuneigen.

Sie gewähren dieser Oberherrschaft deshalb immer mehr Rechte (treten sie ab oder lassen sie sich widerspruchslos nehmen), damit die Zentralgewalt weiter wachse und diese Ruhe nicht nur garantiere, sondern auch herstelle. Selbst wenn sich politische Richtungen unterscheiden, so wird man aber aufgrund der immer weiter zunehmenden Schwäche der Bürger feststellen, daß sich diese Richtungen in immer weniger unterscheiden, und schon gar nicht noch grundsätzliche Veränderungen anstreben - weil alle vor allem eines wollen: daß im Grunde alles in den Mitteln gleich bleibe.

Tocqueville schreibt schon 1840, daß er überzeugt ist, daß sich die Entwicklung Europas hin zu Demokratien und Gleichheit nicht aufhalten lassen wird. Und zwar eigentlich, weil die absolutistischen Monarchien selbst diesen Wünschen der Menschen die Wege bereitet haben. Damit aber werden dieselben Menschen in ihrer natürlichen Neigung auch zum Zentralismus neigen. Der instinktiv angestrebt werden wird, wenn auch auf unterschiedliche Art, jedoch unausbleiblich. Lokale Freiheit und individuelle Unabhängigkeit, schreibt er, wird über kurz oder lang nur noch eine künstliche Bestrebung sein.

Denn es gibt sie nicht zugleich: Die Freiheit und die Gleichheit.**




*Mit dem Zerfallen der aristokratischen Monarchien, deren Übergang zum Absolutismus, war der moderne Massenkrieg, wie ihn erstmals Napoleon führte, logische Folge, der auf ein Europa traf, wo ihm mit den Regierungen und Hauptstädten auch das gesamte Land zufiel. Bis auf jene Reste, wo dieser Absolutismus noch nicht prägend genug gewesen war - wie Tirol. Entsprechend zwang er aber die absolutistischen Staaten, zu den selben Mitteln des Volks- und Massenkrieges zu greifen.

**Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit sind eine untrennbare Trias des menschlichen Heils, also auch das eigentliche Ziel des Gemeinwohls (nicht: Wohlstand ...) Die Kirche hat nie aufgehört, die Demokratie als "geringeres Übel" (mangels realistischer Alternativen) zu sehen. Als Form an sich aber ist sie prinzipiell ungenügend (denn das Idealbild einer menschlichen Gesellschaft muß die Kirche sein, die als "societas perfecta", als Urbild jeder Gesellschaft eine aristokratische Monarchie ist) und extrem gefährdet, das Gemeinwohl als Ziel der Politik nicht nur nicht zu erreichen, sondern einem solchen entgegen zu wirken. Grundhaltung kann deshalb nie mehr sein als ein "Versuch, das beste daraus zu machen".






*090916*