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Dienstag, 11. Oktober 2016

Man überliest meist das Entscheidende

Die Schriftstelle (die sehr bekannt ist) aus dem Matthäus-Evangelium findet sich hier, weil sie der VdZ jüngst wieder las und ihm erstmals klar wurde, daß sie heute fast immer falsch, ja gar nicht gelesen wird. Auch der VdZ kennt sie so, wie sie meist heute verwendet wird: Als würde die gottgefällige Lebensart darin bestehen, die "Talente" (im Sinne von: Begabungen, Neigungen etc.) zu entwickeln. Auch dem VdZ wurde sie von Jugend an eigentlich so erzählt, daß es darauf ankäme, ja daß es vor allem darauf ankäme, aus seinen Begabungen "etwas zu machen". Daraus würde sich dann seine Lebensposition ergeben, der Ort, an dem er zu stehen komme. Das zeige sich - in den Begabungen. So wurde es ihm seinerzeit erzählt, und so wird sie auch heute erzählt: Es käme alles auf die Begabungen an. Daraus folge dann die Möglichkeit, einen Ort (Identität) zu finden.

Wer aber die Stelle genau liest, wird erkennen, daß das FALSCH ist. Wird sehen, daß man diese Erzählung sogar für eine pädagogische Verirrung weil in Wahrheit für die ideologische Botschaft der faktischen "Gleichheit" aller Menschen mißbraucht hat, in der nur "Fähigkeiten" zu entscheiden hätten. (Was im übrigen der problematischeste Punkt am Amerikanismus ist.)

Weder steht es so in der Heiligen Schrift, noch ist es so zu verstehen, noch ist es wahr hinsichtlich der Lebenserfüllung! Denn im Gleichnis passiert etwas ganz anderes: Der Mann der Erzählung gibt seinen Dienern ZUERST eine Aufgabe. Und er tut es in zweiter Linie in einem Maß, in dem er ihre Fähigkeiten einschätzt. Die Fähigkeiten betreffen also die Art, in der der Mann erwartet, daß jemand seine Talente (als Möglichkeiten, als Aufgaben) zum Blühen bringt.

Und das ist der neuralgische Punkt. Agere sequitur esse - Das Handeln folgt dem Sein. Die entscheidende Lebensleistung ist die Ausfüllung eines Ortes als Synapse eines Beziehungsgeflechts namens "Welt", NICHT die der Betätigung von "Talenten" im Sinne von Befähigungen. Nicht Talente, Begabungen konstituieren Identität, sondern Identität konstituiert Fähigkeiten als umgesetzte Begabungen. Ja, sogar scheinbar ungenügende Begabungen sind nicht zwingend der Verweis, daß man am falschen Ort steht. Denn wie heißt es an anderer Stelle? Gott wählt das von den Bauleuten Verworfene, das Schwache, um seine Stärke zu zeigen. Er selbst wird am Schwachen am deutlichsten sichtbar, wenn dieser seinen Ort ausfüllt, in diesen Ort hineinstirbt, um so den Raum für Gott zu öffnen, ja diesen in und aus Gott zu konstituieren.

ERST ist der Ort da, an den wir gestellt sind, und DANN können wir davon ausgehen, daß unsere Begabungen und Fähigkeiten ausreichen, um ihn auszufüllen. Fähigkeiten, die aber bereits mehr sind als Begabungen, die ja reine Potenz sind: die bereits erworbene, gefestige Weisen sind, mit der Welt umzugehen, also einen viel umfassenderen Begabungsbegriff tragen, als den bloßer technischer Skills, die also auch Persönlichkeit etc. bereits einschließen. 

Liest man diese Stelle oberflächlich, erscheint einem dieser Unterschied unbedeutend. Aber er ist von entscheidender Bedeutung. Wir haben an diesem Ort bereits mehrfach darüber gehandelt. Diese Bibelstelle widerspricht damit dem was heute als Kult um Begabungen angestellt wird. Ja, die pädagogischen leitlinien unserer Schulen sind sogar ausdrücklich darauf abgestellt, den Ort an den wir hingestellt sind, unsere Herkunftsidentität zu eliminieren, zu neutralisieren, um DANN die Begabungen zu entwickeln, die zu fördern man verspricht.

Das ist anthropologisch und damit pädagogisch völliger Schwachsinn, und wird keinen Menschen zur Erfüllung seiner Lebensmöglichkeiten führen. Im Gegenteil, es wird ihm fast unmöglich machen, eine befriedigende Lebensaufgabe zu finden. Denn das geschieht durch den genau gegenteiligen Weg: Durch die Selbsttranszendierung auf jenen Ort hin, an den man gestellt ist, um IN DIESEM unsere Begabungen FÜR DIESE aus dem Ort sich ergebende AUFGABE mutig einzusetzen.

Um in dieser Erzählung des Neuen Testaments zu bleiben: Unsere Pädagogik lehrt unsere Kinder, das Talent zu vergraben. Die Folgen sind evident.

Hier nun die Stelle aus dem Evangelium nach Matthäus.


"In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab.

Sofort begann der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, mit ihnen zu wirtschaften, und er gewann noch fünf dazu. Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei dazu. Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn.
Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen. Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!

Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!

Zuletzt kam auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder.


Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen." (Mt 25, 14-30)






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