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Sonntag, 30. Oktober 2016

Ohne Feudalismus kein Adel, ohne Adel keine Familie

Wie es im Abendland seit der Renaissance in unaufhörlicher Entwicklung geschah, seit die eigentliche ständisch-organismmische Organisation unserer Kultur von "Stand" zu "soziale Schichte (oder sozialer Stand)" gewandelt wurde, löst sich damit auch der eigentliche Sinn des Adels in Luft auf. Wie immer man ihn heute noch zu rechtfertigen oder zu bewahren vesucht, so geschieht es nur noch im Rahmen bürgerlicher Kategorien. Dabei war er noch von Montesquieu als notwendiger Mittler zwischen Zentralmacht und einfachem Bürger gesehen worden, der Franzose hatte die notwendige Organizität jeder Form von Gesellschaft wenigstens noch geahnt. Aber es war zu spät. Mit dem sukzessiven Auflösen der Grundherrschaft, der Verwandlung von Adel in bestenfalls noch Großgrundbesitzer und Unternehmer (oder, wie in England, Pachtherren) löste sich das Haus auf, aus welchem Begriff der Adel seit je gelebt hatte, ehe er im 19. Jhd. endgültig unterging.*

Ein Zerfall, der sich heute bis in die Familie fortsetzt, denn auch dieser Begriff ist heute bereits ein Restbegriff, der der Familie - soziologischer, abgeflachter, entleerter Reduktionsbegriff des Hauses - ein ähnliches Schicksal wie das des Adels nicht ersparen wird. Wobei jedes Begreifen dort endet, denn darüber hinaus gibt es nichs mehr, hier endet die Geschichte. Fällt die Grundherrschaft, fällt der Adel. Fällt das Haus, fällt die Familie. Zuvor aber - werden die Staaten fallen.**

"Wir wissen heute, daß die Hochkulturen aus der Überschichtung von Ackerbauvölkern durch Hirtenkrieger, vor allem durch das Pferd beherrschende Reitervölker hervorgegangen sind. So war die Hochkultur durch Jahrtausende ein Welt der Herrschaft reiterlicher Herrenschichten auf dem Land und in der Stadt Sie ruht aber überall auf dem paternal geordneten Pflugbauerntum auf. Diese adelig-bäuerliche Herrschaftswelt hat sich im neueren Europa und dessen überseeischen Siedlungsländern zur industriellen Welt der Arbeit gewandelt und diese ist nun daran, die ganze Erde zu ergreifen. Hier verschwindet nicht nur die adelige "Herrschaft", sondern auch das "bäuerliche Haus" wird als gültige Sozialform beiseite geschoben, wenn nicht überhaupt aufgelöst.

Dieser neuen Welt ist es bisher nicht gelungen, dauernde Formen des menschlichen Zusammenlebens und ein ihr gemäßes Geistesleben zu gestalten. Wir leben noch immer in stärkstem Maße aus dem geistigen Erbe einer andersartigen Vergangenheit, ohne in ihm zwischen dem Dauernd-Gültigen, Allgemein-Menschlichen und dem zeitbedingten, nun zur Vergangenheit Gewordenen mit Sicherheit scheiden zu können. Es gibt uns in vielem keine Antwort auf die uns bedrängenden Fragen mehr und doch können wir es nicht aufgeben, ohne vor dem Nichts zu stehen. Sollte hierin nicht eine der wesentlichen Wurzeln der geistigen Krise der Gegenwart liegen?"



Otto Brunner, "Adeliges Landleben und europäischer Geist"




*Was ab dem 18. Jhd. noch an "Adel" entstand, ist bis auf ganz wenige Ausnahmen - jenen wenigen, die in Landstandadel stiegen - im eigentlichen Sinn kein Adel mehr. Schon gar trifft das ab dem 19. Jhd. zu. Ihn 1918 in Österreich formell aufzulösen hat also schon seine Richtigkeit, denn als vererbte soziale, also nicht mehr landständisch-feudale Kategorie hat er keine Berechtigung als Gliederungsmerkmal mehr.

**Jeder Versuch, "die Familie" zu stärken, der nicht primär auf "das Haus", die paternale Struktur abzielt, muß scheitern oder ist bestenfalls naive, "gut gemeinte", meist langfristig aber sogar kontraproduktive Kosmetik, meist aus der Unbeholfenheit geboren, weil man das Problem - die wurzeln, worin Familie begründet liegt - nicht in seiner ganzen Dimension erkennt. Das oft genug regelrecht zynishe Dimensionen annimmt, schon gar wenn gleichzeitig mit den "Verbesserungsmaßnahmen" die eigentlichen auflösenden Kräfte (etwa durch "gleichberechtigungsmaßnahmen" o. ä.) gestärkt werden. Familie und Ehe wird dadurch auf ein "privates Glück" reduziert, was ihr ihre eigentliche existentielle und staatstragende Dimension aber raubt. 

Diese Einsicht ist aber derartig weit weg von dem, was heute zu diesem Thema gedacht und geglaubt wird (auch in den Kirchen, auch in sogenannten Protestbewegungen und -schichten), daß es unausweichlich scheint, daß ein exstremer Niedergangspunkt erreicht werden wird müssen, der herkömmliche Systemwege definitiv nicht mehr möglich macht und eliminiert. Sodaß sich das "Haus" (als Bedingung der Familie) aus chthonischen, gewissermaßen archaisch-anthropologischen Ungeformtheiten über einen langen Weg des Versuchens heraus wieder regenerieren wird müssen. Die anthropologische Verankerung der Ehe ist es nämlich, die gar keine Alternative zuläßt: Entweder Ehe und "Haus", oder der Mensch (und damit jede Kultur) wird nicht mehr sein. Man kann diskutieren, ob man das als Hoffnung sehen kann.





*140916*