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Dienstag, 27. Dezember 2016

Antriebe zur Reformation (1)

Es ist eine Tatsache, daß spätestens mit dem Borgia-Papst Alexander VI. die römische Kirche - und viele Diözesen taten es ihr nach - weit über ihre Verhältnisse lebten, nicht zuletzt durch die ehrgeizigsten Bauprojekte, wie schließlich sogar den Beginn des Baus eines neuen Petersdomes. Das forderte enorme Geldmittel, die immer mehr durch Kredite aufgebracht wurden. 1484 sah sich Papst Innocenz VIII. sogar gezwungen, die Tiara gegen 100.000 Dukaten zu verpfänden. 

Aber wo einmal Geld gegen Zinsen geliehen wird, setzt sich eine Dynamik in Gang, die nach immer mehr Geld schreit. Denn die Zinsen fressen den laufenden Ertrag auf, wenn sie sich nicht überhaupt zu Zinseszinsen akkumulieren und dann die Schuld (samt Geldbedarf) in progressivem Verlauf wächst. Meist wurde frisches Geld schon nur noch dafür gebraucht, um alte Kredite zurückzuzahlen. Was bei den Fürsten und Königen Europas längst üblich war (deren Bankrott regelmäßig auch zu Bankenzusammenbrüchen führte, wie bei den Medici) hielt auch in der Kirche Einzug.

Auch wenn die offzielle Kirchenlehre Zinsen für geliehenes Geld als Wucher schwer verurteilte, zahlten die Päpste sehr wohl Zinsen an ihre Kreditgeber. Und als solche kristallisierten sich mehr und mehr große Handelsunternehmen heraus, wie die Fugger in Augsburg, die bereits ein einträgliches Bankgeschäft in ganz Europa aufgezogen hatten. Zu deren Hauptkunden bald der Kaiser gehörte, was den Fuggers im Gegenzug zahlreiche Privilegien und Monopolstellungen einbrachte, sodaß auch die Macht des Handelshauses enorm anwuchs.

Schließlich kam man auf die Idee, Ablässe gegen Geldspenden anzubieten. An sich ist die Gabe von Geld ja durchaus ein gottgefälliges Opfer. Als Buße gesetzt, kann es deshalb ohne theologische Bedenken auch als Opfer für einen Ablaß gesehen werden. Die Katastrophe setzte sich aber mit dem Umstand in Bewegung, daß die Kirche die Abfuhr der Ablässe ebenfalls den Fuggern als Monopol überließ. Und die betrieben es unter Jakob Fugger mit ungeheurer Professionalität. Mit jenem ungeheurem Geschäftssinn, mit der dieser das einst kleine Augsburger Handelshaus zum größten Unternehmen der damaligen Welt ausgebaut hatte, dessen Gewinne ihn ins Bankgeschäft brachten, sodaß er binnen weniger Jahre zum reichsten Mann der Welt aufstieg. 

Auch die Fugger waren durch Textilproduktion und -handel (Leinen) groß geworden, so wie die vormals dominierenden europäischen Bankhäuser (darunter die Medici) aus Florenz (mit Wollstoffen). Jakob Fugger hatte im Gegensatz zu anderen Kaufleuten aber sogar den Mut besessen, ins Bergbaugewerbe mit Eigenrisiko einzusteigen, für deren (technisch enorm vorangetriebenen) Ausbau er das Risiko übernahm, und die er für feste Zahlungen an die Regierenden pachtete. Bald besaß er zahlreiche Monopole, wie das auf Silber oder Kupfer. Und bald konnte der mittlerweile völlig überschuldete Kaiser Maximilian keinen Schritt mehr machen, ohne zuvor die Fugger um Finanzierung zu fragen. Gerade zu einem Zeitpunkt wo im Südosten die Türkengefahr immer drängender wurde!

Auch den Ablaß betrieben die Fugger aber mit derselben (schwäbischen) Professionalität wie alle ihre übrigen Gewerbe. Und so entstand fast notwendig und überall der gegen seinen theologischen Sinn gerichtete Eindruck, daß der "Ablaßhandel" schlicht ein Geschäft war, in dem Sündenvergebung gegen Geld zu "kaufen" war. Die Sache wird weiter fatal zugespitzt, als die Mainzer Bischöfe schließlich begannen, den Ablaß im Gegenzug für Kredite an Jakob Fugger sogar zu verpfänden. Wobei für Jakob Fugger nichts Anstößiges dabei war. Der ganze Ablaßhandel war für ihn noch dazu ein Geschäft, das kaum die Kosten hereinspielte. Fromm wie er war, war ihm höchstens der schon weit verbreitete liturgische Wildwuchs und Mißbrauch ein schweres Ärgernis.

Nun gab es aber nicht nur Diözesen, die sich verschuldeten. Es gab auch Diözesen, wie Brixen, die sehr reich waren, und deren Jahreseinnahmen ihre Reichtümer ständig vermehrten. Diesen boten die Fugger, die sogar bereits die päpstlichen Finanzen verwalteten (wie es zuvor die Medici getan hatten), einen festen Zinssatz von 5 % bei Verwaltung dieser Gelder, was die Bischöfe gerne annahmen. Auch wenn die Fugger (wir andere Häuser) längst "Christliche Juden" genannt wurden. Aber damit durchwucherte aber der Wende vom 15. auf das 16. Jhd. die somit korrumpierte Kirche nach und nach die stille Bereitschaft, Zinsnahme moralisch neu zu bewerten. 

In Bologna kam es schließlich 1515 zum öffentlich anberaumten Disput über den Wucher. In dem die Position des schon zum Reichsfürsten geadelten Fugger vom deutschen Theologen Johannes Eck vertreten wurde, dem enge Verbindungen zum Handelshaus nachzusagen sind. Man kann das durchaus auch aus einem gewissen inneren Konflit Jakob Fuggers heraus verstehen, denn der war einerseits zwar ein ungemein geviefter Geschäftsmann, aber auch ein tieffrommer Katholik und litt schwer unter Gewissenskonflikten. Auch er wollte Klarheit. 

Der Disput aber nahm einen folgenschweren Verlauf, der die innere Schwäche der Kirche schon anzeigt. Die mit den rasanten Entwicklungen des Wirtschaftslebens nicht mehr mitgehalten hatte. Denn eine Wirtschaftstheorie, eine Wirtschaftswissenschaft gab es nicht. Nach wie vor wurde Zins und Wucher als eine reine Angelegenheit der Moralphilosophie angesehen. Unter Ecks fulminantem Vortrag über die Komplexität und Mechanismen der modernen Wirtschaft (wie er sie bei den Fuggern kannte) wurde erstmals Zinsnahme für zukünftiges Risiko als "gerecht" angesehen. 5 % Zinsen, war der Befund, war moralisch in jedem Fall gerechtfertigt. Damit war dem Wucher Tür und Tor geöffnet. Papst Leo X. sah das alles ohnehin nur als einen unbedeutenden "Streit unter Mönchen". Die bereits tief in Geldgeschäfte verwickelte, damit durch Schuld paralysierte Kirche hatte genug damit zu tun, sich finanziell über Wasser zu halten und war über die Findigkeit ihrer Finanziers nicht unglücklich.



Morgen Teil 2) Antikapitalismus als Motiv der Reformation





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