Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 13. Dezember 2016

Der Frühling, der alles umkrempelte

Die "Primavera"  von Botticcelli wurde etwa 1482 im Auftrag von Lorenzo "der Prächtige" da Medici geschaffen, der unter Plünderung des florentinischen Staatsschatzes den Zusammenbruch des Bankhauses der Medici, der unter seinem Vater Cosimo unabwendbar schien, gerade noch verhindert hatte. Die Methode, Bankenzusammenbrüche durch öffentliche Gelder aufzufangen, die enge Verknüpfung von Staat und Kapitalismus, ist keineswegs eine Erfindung der Gegenwart sondern historisch regelmäßiger Bestandteil eines in seiner inneren Logik bereits angelegten Finanzkapitalismus. 

Die Erzählung des Bildes beginnt an den Seiten und greift auf Ovid zurück. Rechts findet sich der kalte März, der Chloe zur Blüte anregt, sie also in den Frühling verwandelt, so wie sich der ganze Garten in ein Blütenmeer verwandelt hat. Florenz - Fiorentina - war ja in der Antike die Stadt der Blumen. Nun also wird diese antike, heidnische Größe wiedererweckt, Florenz findet die Wurzeln seiner Identität wieder, indem es ans Heidentum anknüpft (und dieses im Neuplatonismus "christlich tauft".) Von links betritt Merkur die Szene, der Gott des Handels und des Geldes, der die Kurzlebigkeit und Flüchtigkeit der Wirtschaft symbolisiert, die er magisch wieder und wieder hervorruft. Er trägt übrigens die Gesichtszüge eines der Söhne von Lorenzo da Medici. Er ist über die Venus mit Chloe verbunden.

Magie war das, wie die wundersame Geldwirtschaft, die mit der Finanzwirtschaft eingesetzt hatte, gleichgesetzt wurde. Denn Geld kommt und verschwindet auf wundersame Weise. Es wird in einer neuplatonischen Umdeutung der Trinität, die ihre Spuren in allem Geschöpflichen hinterlassen hat, als deren inneres Signum, aus dem Nichts, dem Niedrigen, in beidseitiger Zuhauchung mit dem Geist des Vaters, des Verstandes, des Planes, der Vorsehung geschaffen. (Was den kabalistisch-mythologischen Hintergrund für die in ganz Europa aufkommenden Versuche, Gold aus Blei etc. zu machen, bildet.) 

In der Mitte steht Venus, die Symbolisierung der erotischen Liebe. Die Schönheit ist ihre Analogie, die Verweisung auf sie, als Anwegung zu einer neu aufblühenden Welt der Freude und des Genusses (in gewisser Analogie zum Heiligen Geist also, in dem Welt und Vater einander begegnen, ja ineinander sind), als Anwegung überhaupt für eine schöne Welt des Ewigen Frühlings. Der so zerbrechlich weil zart ist: Es gibt keine Sicherheit, alles ist flüchtig, uns bleibt nur der Genuß der Schönheit des Augenblicks.

Entsprechend hat Lorenzo de Medici ganz Florenz in ein Dauerwunder der Feste verwandelt - Brot und Spiele, die über die harte Wirklichkeit, in der die im Grunde bankrotte Stadt schwebte, und in der die einfachen Menschen leben mußten, hinwegtäuschte. Die Menschen sollten sich "glücklich fühlen", die harte politische und soziale Wirklichkeit vergessen.

Sie fehlt auf dem Bild. Denn im Gefolge der Liebe der Venus steht - die Korrumpierung, die Täuschung der Wahrnehmung. Lorenzo regierte entsprechend "ohne zu regieren", nur aus dem Hintergrund, "mit der erotischen Leidenschaft", in die er die Menschen in einem ewigen Karneval (den er einführte) stürzte. Durch prächtige Feste, in die die Bevölkerung eingebunden wurde, und deren Vorbereitung Wochen und Monate dauerte, in denen mythische oder historische Begebenheiten nachgespielt und damit aktuell, in die Gegenwart geholt, ja als Topos zur Gegenwart gemacht wurden. Denn das Weltgeschehen ist nur die zufällige (geschichtlich-faktische, flüchtige) Gewandung der immer selben Topoi, als geistige Geschehensdynamiken, die der Welt zugrundeliegen.

Währenddessen plünderte Lorenzo den florentinischen Staatsschatz, kaufte seinem 13jährigen Sohn (den er mit 9 Jahren schon zum Abt hatte machen lassen) um Unsummen von Geld den Kardinalshut, um dann tatsächlich zu erreichen, daß dieser 1512 als Papst Leo X. dem Hause Medici und Florenz wie Rom einen Glanz verlieh, der alle blendete. Der unmittelbar nach seiner Wahl verkündete, daß Gott ihn zum Papst gemacht habe und er nun fest entschlossen sei, das zu genießen. Mit Geld und noch mehr Geld, mit Schulden und noch mehr Schulden, die in Steuern mündeten. So geblendet von diesem Glanz war Papst wie die italienische Gesellschaft der Stadtstaaten (nach antikem Vorbild), daß sie nicht sahen, daß sich im Norden eine Gegenreaktion bildete.

In diese unhaltbare Situation hinein stieß also die Reformation Martin Luthers, der die Kirche als Faktor fast, in manchen Ländern ganz aus dem Spiel nahm. Der Stadtstaat wurde durch den Nationalstaat ersetzt, die Methode aber - die Verquickung von Finanzkapitalismus, Schulden und Staat - wurde damit um einen Quantensprung gesteigert.


Sandro Bitticelli - Primavera (Frühling), ca. 1482



*131016*