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Donnerstag, 26. Januar 2017

Blick in einen Kindergarten (1)

Eigentlich war er in die USA gefahren, weil er das "Country of the free and brave" kennenlernen wollte, und zwar so richtig kennenlernen wollte, nicht unbedingt auf den üblichen septischen Touristenwegen. Er wollte mit allen und jedem sprechen, egal welcher Hautfarbe, sozialen Schichte oder politischen Ausrichtung. Was aber Tuvia Tenenbom entdeckte und in "Allein unter Amerikanern" ungemein nüchtern, distanziert, lakonisch beschreibt, entsetzte ihn. Denn er fand ein Land vor, das von Angst beherrscht wird. Niemand wagt noch, seine Meinung zu äußern, jeder hat Angst vor negativen Folgen. Fakten werden nirgendwo mehr ausgesprochen, sie sind politisch unerwünscht weil nicht correct - das Land ist eisenfest in der Hand der political correctness.

Nicht zuletzt die Politiker, die bei allen ihren Äußerungen sorgsamst darauf Rücksicht nehmen, ihre Sponsoren nicht zu vergrämen weil deren Ansichten nicht zu entsprechen. Amerika ist, so Tenenbom, eine einzige Fassade, und seine Kultur purer Schein. Was noch Wurzeln lokaler bestehender oder entstehender Kultur hätte bedeuten können - darunter die noch vor hundert Jahren so prägenden Lokalidentitäten aus den europäischen Einwanderergruppen, den Polen-, Italiener- oder Irenvierteln, den Deutschenbezirken (und immerhin sind 50 Millionen Amerikaner deutschstämmig, als größte Gruppe auch weit größer als Engländer oder Iren), ist defacto nicht mehr vorhanden. Oder nur noch eine ferne Ahnung. Dafür brüsten sich Nachfahren der Einwanderer damit, deutsch zu sprechen, weil sie "Auf Wiedersehen" halbwegs verständlich hervorbringen. 

Das Land ist regelrecht verdunstet, diesen Eindruck gewinnt man auf den 450 Seiten der deutschsprachigen Ausgabe von "Allein unter Amerikanern" ständig. Hier von einem Staat, einem Volk zu sprechen ist grotesk, umso grotesker sind die Rituale um die Staatssymbole, wie die Flagge, die omnipräsent ist.

Eine Bewegung vor allem ist auffällig: Es ist die Fluchtbewegung der Weißen ("Caucasian"), und die Ausbreitungsbewegung der Schwarzen, die durch staatliche Programm zwar überall hineingedrückt werden, aber die Folge zeitigen, daß sich Weiße zurückziehen oder zum Selbstschutz organisieren. Denn ohne jeden Zweifel: Kriminalität ist ein hochgradiges Problem der Schwarzen. Die zwar in aller Medienmund sind - "black lives matter"- aber scheinbar nur dann, wenn sie Opfer weißer Untaten werden. Das Land fällt in ekstatische und prinzipielle Erregung, wenn zwei Schwarze von Weißen Politzisten erschossen werden, aber es interessiert sich nicht die Bohne dafür, daß jedes Wochenende alleine in Chicago 50 Schwarze VON Schwarzen umgenietet werden. 

Politiker wie Obama, die ihren politischen Aufstieg vollmundigsten Versprechungen gerade in solchen Schwarzenbezirken verdanken, scheinen nicht einmal zu wissen, daß gerade in ihren Herkunftsvierteln eine Lebensatmosphäre der Gewalt und Angst herrscht, die nicht nur nicht besser wurde, sondern immer schlechter wird. Es interessiert niemanden, daß die Schwarzen sich selbst als die größten Feinde sehen und gegenseitig ausrauben, vergewaltigen und umbringen, sodaß sich in vielen Stadtvierteln die Schwarzen selbst kaum noch auf die Straße trauen, die von Gangs beherrscht wird, die miteinander im Dauerkrieg liegen.

Dafür bestehen absurd hohe Strafen für lächerlichste Vergehen, mit ein Grund, warum die Gefängnisse so überfüllt sind. Ein Viertel aller Gefängnisinsassen weltweit sitzen in amerikanischen Gefängnissen. Und Tenenbom war auch in einem Gefängnis. Da sitzt jemand schon einmal zehn Jahre ein, weil er mit einer 16jährigen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte. Und während sich halb Kalifornien niederkifft, weil Marihuana dort legalisiert ist, wird jeder Versuch, sich eine Zigarette anzustecken, in den gesamten USA mit schweren Strafen verfolgt und von den Menschen selbst fast hysterisch überwacht. Das Land ist zugepflastert mit Rauchverbotsschildern, aber niemand nimmt Anstoß daran, wenn jemand seinen Colt im Gürtel trägt und zuhause ein Arsenal von 100 Schußwaffen und tausenden Schuß Munition hortet, um für den Tag X gerüstet zu sein. Aber wer im Hotel auf dem Balkon raucht, zahlt 500 Dollar Strafe, und das wird auch noch als Ausweis ultraliberaler Einstellung gepriesen. Dafür wächst der Wirtschaftsbereich privater Gefängnisgesellschaften, die staatlich verurteilt Häftlinge per Vertrag ihre Strafe in privatwirtschaftlichen Anstalten absitzen lassen, rasant.

Und es gilt auch als besonders liberal, jene Kulturen, die man ausgelöscht hat - von den Indianern bis zu Hawaii - heute ganz besonders zu feiern. Das zieht sich durchs ganze Land. So, wie sich eine fast zwanghafte Neigung durchs Land zieht, sich für alle möglichen vergangenen Untaten zu entschuldigen und sich an allem schuldig zu sehen - konterkariert von einem absurden Sendungsbewußtsein: Die Welt im Auftrag Gottes mit Freiheit und Demokratie zu beglücken.

Den angeblichen "Schmelztiegel Amerika" erlebt Tenenbom als zutiefst zerrissenes, vielfach gespaltenes Land voller Vorurteile und Rassismus. Wo jeder verzweifelt seine Wurzeln sucht, die ihm abhandengekommen sind. Genforschung, Ahnenforschung boomt - alle diese "vielfältigen Menschen" wollen endlich wissen, woher sie kommen, wer sie sind!

Auch die Juden, übrigens, und Tenenbom ist Jude, sieht er zumindest als Kultur- und Religionsgemeinschaft in Auflösung. Was dieses Land überhaupt zusammenhält? Man könnte es als "phantastischen Nationalismus" bezeichnen, der alles tut, um Realitäten auszublenden. Zumindest so weit, als sie eine Illusion stören, der hinterherzujagen existentielle Aufgabe ist, weil sie sie über Wasser hält. Der Traum vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" wird nur für eine ganz kleine Schichte wahr. Und er hat seine Wurzeln in einem entsprechend umgedeuteten Christentum, das Tenenbaum erstaunlich richtig mit "theologisch nicht ganz korrekt" deutet - es ist eine katholische Häresie.

Und dann gibt es noch diesen ausgeprägten Veteranenkult, den Mythos des Helden in vielen Kriegen, egal wie sinnvoll dieser Krieg gewesen sein mag, von dem so viele leben. Wenn es denn nun schon aber einmal so war, dann kann es auch nicht einfach wertlos gewesen sein, dann muß auch die Idee, für die man sein Leben einsetzte, etwas wert sein. Getreu einem überall zu hörenden amerikanischen Wort: Weil es so ist.




Morgen Teil 2) Das Alte ist weg. Aber wo wäre Neues?





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